Müssen wir wirklich gegenüber allem und jedem tolerant sein, wenn es nur laut genug gefordert wird? Sollten wir nicht gerade bei allzu auffälliger Lautstärke besonders kritisch und misstrauisch sein?

„Stell dir mal vor, hier sollte eine Moschee gebaut werden…“

Es ist Juli 2016 auf einem Sommerfest in einer südwestdeutschen Kleinstadt. Erwin, in den 1970ern aus dem Ruhrgebiet hierher gezogen, und ich unterhalten uns seit über einer halben Stunde über lockere Belanglosigkeiten. Erwin ist ein umgänglicher, sympathischer Typ, dessen 60. Geburtstag zwei Jahre zurückliegt. Ich habe gerne mit ihm zu tun. Privat gehört er zu dem Schlag Mensch, mit dem man sprichwörtlich Pferde stehlen kann. Außerdem ist er SPD-Wähler der ersten Stunde.

Als er plötzlich, relativ unvermittelt, eine Diskussion über einen hypothetischen Moscheebau in seinem idyllischen Wohnort beginnt, kann ich mir bereits ungefähr vorstellen, dass es mit der Einigkeit der letzten halben Stunde gleich vorbei sein wird.

Erwin:

„Stell dir mal hier sollte eine Moschee gebaut werden. Wenn hier eine Moschee gebaut werden soll, dann bin ich der Erste der das unterstützt. Das sage ich auch immer den Meckerern bei unseren Vereinstreffen. Die gehen selber nicht in die Kirche, aber meckern über Moscheen und Muslime. Wenn hier jemals ein Antrag auf Moscheebau gestellt wird, dann werde ich ihn aktiv unterstützen.“

Ich:

„Da solltest du kritischer sein. Mit einer pauschalen Unterstützung verhält es nämlich, wie mit einer pauschalen Ablehnung.“

Erwin:

„Aber man muss doch tolerant sein!“

Ich:

„Genau deswegen habe ich den Einwand vorgebracht. Ich hoffe dir ist klar, dass der größte Moscheebetreiber Deutschlands und nicht wenige andere, diskriminierende Ansichten gegen Minderheiten vertreten. Der Sakis, bei dem du freitagabends dein Bier trinkst, ist z.B. syrischer Christ. Und wenn er geschlossen hat, gehst du zu Dimitris. Der Vater seiner Frau ist aus dem Pontos geflohen. U.a. der angesprochene Moscheebetreiber und Islamverband vermischt Nationalismus und Religion. Das führt zu intoleranten bis diskriminierenden Ansichten gegenüber z.B. diesen beiden und noch einer ganzen Reihe von anderen. Auch von den Antisemitismusskandalen, die er sich leistet, solltest du als politisch interessierter Mensch eigentlich gehört haben. Es gibt auch unabhängige Verbände, bei denen das nicht so ist.

Im Gegensatz zu den Erstgenannten ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie hier ein Gebetshaus errichten, sehr gering. Frag dich mal, wie tolerant du noch gegenüber deinen bevorzugten, örtlichen Gastronomen bist, wenn du bedingungslos jeden unterstützen willst, der hier eine Moschee errichten will.“

Eigentlich hätten an dieser Stelle Rückfragen kommen müssen. Dass Erwin die Bezeichnung Pontos nicht geläufig ist, verriet mir seine Mimik. Auch kam es wahrscheinlich zu keinem Denkanstoß, dass ihm dieses Detail in der Familiengeschichte von Dimitris nach 20 Jahren Bekanntschaft nicht bekannt war, während ich nach zwei Gesprächen Bescheid wusste. Eine Rückfrage zu meiner Anspielung auf den Antisemitismusskandalen? Fehlanzeige!

Warum Erwins Toleranz für einen syrischen Christen Intoleranz bedeuten könnte, dass er eventuell Verwandte in der Heimat hat, die von dschihadistischen Milizen bedroht werden, die der gleiche Staat finanziert, welcher ebenfalls hinter mindestens zwei der vier großen deutschen Islamverbände steht, dass seine Vorfahren vielleicht vor 120 Jahren vor den Hamidischen Massakern oder vor 100 Jahren vor dem Völkermord durch das Osmanische Reich - Verbrechen die von besagten Islamverbänden geleugnet werden - aus z.B. dem Turabdin ins heutige Syrien flohen... auch dazu keine Rückfrage!

Erwin:

„Aber tolerant muss man doch trotzdem sein!“

Dass hier jede weitere Diskussion sinnlos sein würde, war seit diesem Satz klar. Also wechselte ich das Thema.

Es war vollkommen klar, dass er aus offensichtlich ideologischer Überzeugung bereit ist, toleranterweise intolerante Gruppierungen zu unterstützen, obwohl eine hohe Wahrscheinlichkeit gegeben ist, dass dies zu Lasten von Menschen geht, deren Bekanntschaft er sonst gerne als Beweis für seine Weltoffenheit anführt.

„Blick über den Tellerrand“ endet oft an der Wand hinter dem Küchentisch

Gäbe es nicht die Möglichkeit, Texte zu solchen Begegnungen zu verfassen und zu veröffentlichen, man hätte es, was dieses Gespräch angeht, mit drei Minuten vergeudeter Lebenszeit zu tun.

Trotz aller persönlicher Sympathie, zählt das Gespräch mit Erwin zu jenen, gehäuft vorkommenden, Begegnungen, die mir etwas immer wieder vor Augen führen.

Er hat meistens mit Menschen zu tun, die aus Unkenntnis und Desinteresse etwas ablehnen, was sie nicht kennen, geschweige denn verstehen. Dass er demgegenüber eine Antihaltung einnimmt, ist zu einem gewissen Grad verständlich. Allerdings geht diese Haltung soweit, dass er mittlerweile jenseits von Argumenten und Erfahrungswerten, etwas verteidigt was er auch nicht wirklich kennt und nicht versteht, geschweige denn ernsthaft zu verstehen versucht.

Viele Menschen, die gerne die Floskel vom „Blick über den Tellerrand“ bemühen, haben ihn selbst nie wirklich gewagt, bzw. sind von der mit vermeintlicher Toleranz tapezierten, Wand hinter dem Küchentisch daran gehindert worden.

Durch ihre bedingungslose Toleranz gegenüber allem Fremden und ihrem Desinteresse an echter Binnendifferenzierung, unterstützen sie, auch wenn ihnen das nicht wirklich klar ist, sehr oft einfach diejenigen, die am lautesten schreien und am rücksichtslosesten die Ellenbogen ausfahren. Es spielt keine Rolle. Solange sie nach Toleranz verlangen, werden sie schon Recht haben…

Mit Menschen wie Erwin habe ich in letzter Zeit immer öfter zu tun. Sie kennen aus ihrem sozialen Umfeld der Kleinstadt- und Dorfvereinsmitglieder Ü45 viele, die alles Fremde ablehnen, nur weil es fremd erscheint. Im Umkehrschluss haben die Erwins dieser Welt das Bedürfnis alles Fremde bedingungslos zu verteidigen, ohne es in seinen Varianten und Facetten zu verstehen. Daraus resultiert allzu oft, die Unfähigkeit dunkle Seiten, Zwischentöne und helle Seiten erkennen zu können. Tatsächlich haben sie nicht mehr als die einfachen Lösungen parat, die sie ihren politischen Kontrahenten gerne vorwerfen. Im Kleinen äußert sich das, wie oben beschrieben.

Mangelnde Skepsis kann Toleranz in ihr Gegenteil verkehren

Auf bedeutenderer Ebene verteidigen Spitzenpolitiker, wie der Hamburger Oberbürgermeister Olaf Scholz (SPD), unter dem Deckmantel der Toleranz Staatsverträge mit massiv intoleranten Verbänden.

Ein Moscheebau ist nicht grundsätzlich und prinzipiell abzulehnen. Man sollte aber genau prüfen, welcher Verband, Träger oder Betreiber davon profitiert. Gerade in Deutschland ist hier die Wahrscheinlichkeit auf Organisationen zu stoßen, die das Gegenteil von Toleranz und Weltoffenheit verkörpern, sehr hoch!

Aber, man muss doch tolerant sein?! Muss man das wirklich immer? Und wenn ja, gegenüber wem und wie vielen?

Nota bene:

Alle Namen in diesem Beitrag wurden aus Rücksicht auf Sicherheit und Reputation der betroffenen Personen geändert.

Zum Weiterlesen und besseren Verständnis:

- Zentralrat der Juden entsetzt über antisemitische Hetze von Ditib, Jüdische Allgemeine, 30. Januar 2017

- Türkischer Verband macht Stimmung gegen christliche Kultur, Hamburger Abendblatt, 06. Januar 2017

- defacto deckt auf: DITIB-Hetze gegen Juden und Christen?, Hessischer Rundfunk, 30. Januar 2017

- Ditib-Gemeinde stellt antisemitische Hetze ins Netz, Welt, 24. November 2015

- DITIB: Antirassismus heucheln, Antisemitismus leben., Jüdische Rundschau, 07. Oktober 2016

- Die netten Herren von Milli Görüs, taz, 18. Juli 2010

- Das Problem der CDU mit türkischen Nationalisten, Welt, 11. Juli 2014

- Erdogans "unheimliches" Propaganda-Netz: Wie der türkische Präsident in Deutschland an Macht gewinnt, Huffington Post 21. Juli 2016

- „Das ist wie eine Demo mit Pegida gegen Nazis“, Welt, 13. Januar 2015

- Ignorierte Gefahr: Türkische Rechtsextreme in Deutschland stärker als die NPD, Haypress, 23. Januar 2017

- „Für meine Familie ist es beängstigend, wenn Gruppen von „Allahu Akbar“-Schreiern marschieren“, Ruhrbarone 17. August 2016

- SPD und Grüne "machen Radikale salonfähig", Welt, 22.April 2011

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