Wien Anders – Als Spitzenkandidatin des Bündnisses von KPÖ, Piraten, Echt Grün und Unabhängigen geht die 22jährige Physikstudentin Juliana Okropiridse bei der Wien-Wahl ins Rennen. Zum Interview bittet die Jungpolitikerin in ein Café am Ottakringer Yppenplatz, einem hippen Multi-Kulti-Hotspot.
Wien Anders ist bunt, es sind vier Parteien in einem Bündnis. Wie kann das in der Praxis funktionieren?
Juliana Okropiridse: Es sind nicht nur vier Organisationen, sondern auch sehr viele unabhängige Personen dabei. Die wollen sich politisch einbringen, fühlen sich keiner Partei zugehörig, sind aber bei uns gut aufgehoben. Wir haben ja bereits bei der Europawahl zusammengearbeitet. Es gibt mehr Übereinstimmungen als Widersprüche, wir ergänzen einander in vielen Bereichen sehr gut. Wir haben einen Rat gebildet, der als Koordinationselement dient, in dem von jeder Partei und den Unabhängigen jemand sitzt. Das funktioniert wunderbar, besser, als sich jede*r erträumt hätte.
Wien Anders ist ein wahnsinnig tolles Projekt, wo total unterschiedliche Leute mitwirken. Das ist der wichtigste Grund, weshalb man uns wählen sollte. Wir haben es in unserem Wahlbündnis geschafft, sehr viele verschiedene Lebensweisen, Herangehensweisen an Politik, Gesellschaftsschichten und Altersgruppen abzudecken.
Es braucht unbedingt mehr junge Frauen in der Politik. Weibliche Stimmen und vor allem jene junger Frauen gehen in unserer Gesellschaft total unter! Außerdem braucht es einen Linksruck, denn derzeit rutscht alles in die rechte Richtung. Die Grünen haben es leider nicht geschafft, genügend Stachel im Arsch zu sein, damit die anderen Parteien sich bewegen. Wir müssen anfangen zu stochern, denn sonst geht da nix weiter!
Wir - also als Gesellschaft gesprochen - müssen aufhören, uns vor Veränderungen zu fürchten und müssen jetzt beginnen einzusehen, dass sie nötig und wichtig sind. Wir, als buntes, ganz neues Bündnis, glauben, endlich die nötige Veränderung in die Wiener Politik zu bringen.
Für den Fall, dass es Wien Anders in den Gemeinderat schafft. Braucht es da nicht zumindest vier Mandate, damit jede Gruppierung vertreten ist?
Juliana Okropiridse: Wir haben eine gewählte Liste, mit Reißverschlusssystem. Das betrifft sowohl Geschlecht, als auch politische Zugehörigkeit. Der Plan ist, unabhängig davon, wieviele Personen auf welcher Ebene hineingewählt werden, als Wien Anders zusammenarbeiten. Gemeinsam.
Juraczka schließt nicht aus, unter einem Bürgermeister Strache der Vize zu werden.
Juliana Okropiridse: Mir graut vor jeder Person, die es sich vorstellen kann, in irgendeiner Art und Weise mit Strache zusammenzuarbeiten. Das ist ein absolutes „No Go“. Dass über Strache als Bürgermeister überhaupt nur nachgedacht wird, finde ich total dramatisch. Ausgehen wird sich das aber sicher nicht. Wir sollten uns trotzdem darauf einstellen, auf die Straße zu gehen. Oft und laut.
Welche Koalition könnten Sie unterstützen?
Juliana Okropiridse: Wir sehen uns realistischer Weise als Opposition und sind dort als kleine, aber mutige und motivierte Partie gut aufgehoben. Wen wir unterstützen ist eine gute Frage. – Niemanden so richtig, sonst würden wir ja nicht selbst antreten. Die einzige Konstellation, die nicht ganz so sehr zum Weinen wäre, ist Rot-Grün, wenn das denn die Roten wollen. (Wir würden aber auch die vor uns hertreiben.) Wenn man sich andere Bundesländer ansieht, scheinen koalitionstechnisch aber leider auch ganz abstruse Dinge möglich.
Die Verbesserung der Bildungssituation in der Stadt steht in Ihrem Programm. Was sind die wichtigsten Vorschläge?
Juliana Okropiridse: Wir stecken seit viel zu vielen Jahren in einem System fest das erschaffen wurde, um endlich Bildung für (fast) alle möglich zu machen. Damals war das auch wunderbar so. Aber die Zeiten haben sich geändert. In die Schule müssen immer noch alle. Das ist super. Aber heutzutage, sind andere Dinge wichtig als früher. Das Leben und im Berufsausübung hat sich stark verändert. Es gibt das Internet. Es kann auf andere Arten gelernt werden. Das Bildungssystem ist hier nicht nachgekommen und junge Menschen sitzen in einem Lehrplan fest, der nicht mehr zeitgemäß ist. Man lernt nicht das Wesentliche, um ein aktives Mitglied unserer Gemeinschaft werden zu können.
Es ist mir ein persönliches großes Anliegen, dass das Bildungssystem baldigst gravierend verändert wird. Es gibt das Internet, man muss nicht mehr alles auswendig lernen. Man kann alles und jederzeit nachschauen. Das macht eh jede*r. Weshalb sollte ich Zeit damit verbringen, mir diese Dinge zu merken? Weshalb lerne ich nicht, dass es wichtig ist, eigene Entscheidungen zu treffen? Wie ich mir meine Meinung bilde? Wo kann ich am besten nachschauen? Wie kann ich mich absichern, dass die Informationen auch stimmen? Wie arbeite ich mit anderen zusammen? Wie kann ich ein Projekt voranbringen? Das sind wichtige Dinge, auf die in unserem Bildungssystem ganz absichtlich vergessen wird.
Wenn man mit dem Gymnasium fertig ist, kann man wunderbar Latein und Altgriechisch. Das habe ich gerne gelernt, es war toll und es hat mir etwas gebracht. Aber ich hab‘ nicht gelernt, wie ich eine Steuererklärung mache oder einen Zahlschein ausfülle oder das Online-Banking einrichte.
Ich befürworte die unterschiedlichen Schulformen, die es gibt, aber man muss sich viel zu früh entscheiden. Mit zehn Jahren weiß noch kein Kind, ob es eher mathematisch begabt ist oder sprachlich, oder sich für Naturwissenschaften interessiert oder für Musik. Das Schulsystem muss viel flexibler werden. Es muss einfacher zu werden, zwischen Schultypen zu wechseln und sich umzuorientieren. Unser Vorschlag ist ein Modulsystem, aus dem man wählen kann. Außerdem fordern wir projektorientiertes Arbeiten, bei dem sich Klassen mit einem Thema fächerübergreifend beschäftigen. Zum Beispiel mit dem Thema Migration. Das kann man in allen Fächern behandeln. Da gehören Wirtschaft, Mathematik, Geschichte genauso dazu wie Sprachen, etc. Ein Projekt, das gemeinsam erarbeitet und recherchiert wird, und bei dem man mit anderen zusammenarbeitet. Da bleibt man am echten Leben dran, ohne Verse und Formeln auswendig zu lernen.
Die Arbeitslosigkeit steigt, der Wirtschaftsstandort Wien schwächelt. Haben Sie Ideen, wie Wien wieder flott gemacht werden kann und wie neue Jobs entstehen sollen?
Juliana Okropiridse: Vielleicht ist es nicht einmal schlecht, dass wir kein so gigantisches Wirtschaftswachstum wie andere Länder haben. Ich bin nicht der Meinung, dass wir zwingend mehr Arbeitsaufgaben schaffen sollten. Wir sollten Jobs schaffen, indem wir die Arbeit die da ist, besser verteilen. So, dass sie für alle reicht. Es gibt Menschen, die viel zu viel arbeiten, und viele Leute, die keinen Job finden. Weshalb teilt man das nicht einfach auf? Jede*r arbeitet Halbzeit oder 30 Stunden, wunderbar! Ich bin ganz dagegen, zwanghaft neue Arbeitsplätze in Bereichen zu schaffen, die gar nicht nötig sind. Ich bin dafür Arbeit dort abzubauen, wo sich nicht nötig ist. Und sie mit unseren technologischen Möglichkeiten zu ersetzen, ohne Menschen zu brauchen.
Arbeitsverteilung, Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden bei vollem Lohn. Das ist finanzierbar. Das Geld ist ja da. Natürlich wird es in gewissen Bereichen Einbußen geben. Aber es geht uns darum, dass es uns allen gut geht. Und nicht nur, dass einige wenige Unternehmer großartig leben und verdienen, und die Arbeiter*innen ausbeuten. Wenn es uns allen gut gehen soll, müssen jene, die viel in der Tasche haben, etwas abgeben. Eine Umverteilung ist dringen nötig. Zusätzlich muss es einen gesetzlichen Mindestlohn von zumindest zwölf Euro pro Stunde in allen Bereichen geben, auf dem Weg zu einem BGE für alle, also ein bedingungsloses Grundeinkommen.Kein Mensch möchte doch einen unnötigen Job haben. Es ist doch viel schöner, wenn Menschen Jobs machen, die wichtig sind. Wir forden ein BGE, damit jede*r machen kann, was sie*er vom Leben möchte. Zusätzlich dazu kann man sich in Bereichen, auf die man Lust hat oder in denen man gebraucht wird, etwas dazu verdienen.
Aber würden dann noch viele Menschen arbeiten?
Juliana Okropiridse: Ich bin stark der Meinung, dass es ein Gerücht ist, dass die Menschen so wahnsinnig faul sind. Ich glaube, dass viele denkfaul gemacht wurden von unserer Gesellschaft und unserem Bildungssystem. Wenn man den Menschen ein Grundeinkommen gibt, mit dem sie ihr Leben finanzieren können, grade so, dann werden sie sich überlegen, was sie eigentlich machen wollen oder am besten können. Das würde viele Menschen motivieren, wieder ins Arbeitsleben einzusteigen oder sich umzuorientieren oder sich beispielsweise für soziale Projekte oder Kunstprojekte zu engagieren.
Ist das die Möglichkeit, die größer werdende Kluft zwischen Arm und Reich zu schließen?
Juliana Okropiridse: Auf jeden Fall, das wäre ein Schritt in diese Richtung. Aber das ist nicht das Einzige. Es braucht eine massive Umverteilung, die Verkürzung von Arbeitszeit und gerechte Verteilung von Jobs. Es muss dafür gesorgt werden, dass es keine Menschen geben kann, die ein Tausendfaches von anderen verdienen, die eine ähnlich schwere, verantwortungsvolle Aufgabe haben.
Eine Ihrer Grundforderungen sind Öffis zum Nulltarif. Wie soll das finanziert werden?
Juliana Okropiridse: Gerade bei den Öffis finanziert die Stadt Wien einen Großteil, es ist nicht so, dass der Ticketverkauf die Kosten deckt. Ein riesiger Kostenfaktor ist außerdem das Kontrollieren und Vertreiben der Tickets. Fallen Kontrolleur*innen weg, Fahrscheinautomaten, Geldeintreiber*innen, dann fallen auch viele Kosten weg. Das sind viele unnötige Jobs, die künstlich erhalten werden. Gratis Öffis würden das Bewegen in der Stadt für alle gleichermaßen einfach machen.
Haben Politiker längst den Bezug zum Alltag verloren?
Juliana Okropiridse: Ja, auf jeden Fall, die allermeisten! Das sieht man bei unserem Herrn Bürgermeister der meint, alle Lehrer*innen können in der Hälfte der Woche Feierabend machen. Das ist gerade in Österreich ein großes Problem. Da gibt es Menschen die seit Jahrzehnten gefangen sind in diesem Sumpf der Parteipolitik. Wenn man als Jungpolitiker*in in der Schulzeit, beginnt sich zu engagieren, kann man in so eine Laufbahn hineinrutschen. Dann ist man eines Tages Kanzler oder Bürgermeister. Denen kann man dann keinen Vorwurf machen wenn sie nicht wissen, wie das echte Leben funktioniert. Aber das System ist halt ein Kas.
Wir haben uns hier einen finanziellen Deckel gesetzt. Jede*r, die*der in den Gemeinderat kommt, bekommt höchstens 2.500 Euro. Der Rest vom Gehalt soll in einen Sozialtopf fließen, wir wollen einen Rechtshilfefonds gründen und soziale Projekte unterstützen.
Die Parteienfinanzierung soll auch abgeschafft werden?
Juliana Okropiridse: Warum müssen das alles die Steuerzahler*innen bezahlen? Völlig abschaffen ist eh nicht möglich, gewisse Dinge müssen Parteien haben. Büromiete und so. Aber wie das jetzt geregelt ist, ist unmöglich. Die Summen sind nicht rechtfertigbar gigantisch und es ist nicht transparent, wie diese Gelder genau vergeben sind und vor allem ausgegeben werden.
Wie man mit Flüchtlingen umgeht, ist das beherrschende Thema der vergangenen Wochen. Ist Österreich unmenschlich?
Juliana Okropiridse: Leider tun sich da derzeit nur ganz schreckliche Sachen! In Deutschland und Österreich, aber auch sonst in Europa. Was hier passiert, hätte ich vor einem Jahr für unmöglich gehalten. Dass Geflüchtetenunterkünfte angezündet werden, Flüchtende in LKWs sterben wenn sie schon einmal hier sind und sich dann Menschen auch noch drüber lustig machen, ist unsagbar grausam. Aber unmenschlich? – Es gibt einige Entscheidungsträger*innen, die unmenschlich handeln und Menschen schlechter als Tiere behandeln. Das ist wirklich unmenschlich! Es werden Zeltlager errichtet, obwohl es genügend Plätze in Gebäuden gäbe, wo Geflüchtete wohnen können. Diese Diskussion wird künstlich erschaffen. Und der rechte Mob rüstet auf. Und was machen wir? Wir diskutieren einmal. Wir laden Leute ein, die sich die Situation ansehen und sagen, wie schrecklich alles ist. Aber gemacht wird gar nichts. Das finde ich ganz, ganz schrecklich, besonders weil es auf Kosten und auf den Schultern von vielen, vielen Menschen stattfindet, die gerade gar nichts haben.
Natürlich gibt es auch viele Menschen, die sich mit unglaublicher Motivation und Kraft dafür einsetzen, dass sich Flüchtende willkommen geheißen fühlen oder mit weniger Angst und unter ein bisschen besseren Bedingungen weiterreisen können. Das zeigt sich gerade jetzt wieder ganz stark und ist wunderschön und macht ein kleines bisschen Hoffnung für die Zukunft.
Man müsste nur jene Gebäude, die vorhanden sind, nutzen. Und sie nicht zusperren und daneben Zeltlager errichten. Auf keinen Fall soll man externe Agenturen anstellen, so wie das in Traiskirchen abgehandelt wird. Dort macht das eine Security Agentur, die sich weder mit Kochen noch mit medizinischer Betreuung auskennt. Die Menschen werden schlimmer gehalten als in einem Gefängnis, unter den grausamsten Bedingungen. Das müsste staatlich geregelt werden, so könnten auch Menschen eingebunden werden, die helfen wollen. Es gibt ja sehr viele die unterstützen wollen, kochen, Sachspenden vorbeibringen, gratis Deutschkurse geben, usw. Das alles darf auf keinen Fall an eine profitorientierte Agentur outgesourced werden, die Geflüchtete schlechter als Kühe im Stall behandelt, und diesen nur überwacht. Das ist wirklich unmenschlich.
Hier, am Yppenplatz, gab es vor kurzer Zeit Razzien. Soll man Cannabis freigeben?
Juliana Okropiridse: Ja, wir fordern eine Legalisierung, nicht nur die Entkriminalisierung. Darin sehen wir nur Vorteile: Im Gesundheitsbereich, was die gesamte Suchtpolitik betrifft, in der Justiz, wirtschaftlich. Denn ein offizieller, staatlicher Verkauf würde Geld einbringen und den Markt regeln und somit verhindern, dass gesteckte oder viel zu hoch dosierte Produkte ihren Umlauf finden. Mit dem eingenommen Geld könnte man unter anderem bessere Suchtprävention in Schulen finanzieren. Ein geregelter Markt würde für mehr Sicherheit und Schutz sorgen. Außerdem müsste dringend mehr über Alkohol aufgeklärt werden, in Österreich gibt’s da eine ganz komische Situation. Niemand sagt etwas, wenn sich jemand am Vormittag ein großes Bier bestellt oder wenn man zu einem Sektempfang geladen wird um 10:30 Uhr, wo alle trinken müssen. Das ist ganz normal. Wenn man da nichts trinkt, wird man schief angeschaut. Wenn man lieber einen Ofen raucht, wird man noch schiefer angeschaut. Mit der gefährlicheren Droge Alkohol wird da ganz falsch umgegangen. Mit Cannabis, das vielen auch gesundheitliche Vorteile bringen würde, wird umgegangen, als wäre es Heroin. Das ist falsch.
Kiffen Sie?
Juliana Okropiridse: Ja, klar!
INTERVIEW: Alexander Haide
FOTOS: Rudi Fröse