Halblaut singe ich mit, hold ist der Tag, die Sonne steht in der Himmelsmitte, strahlt jeglichen Kummer heraus, macht dumm und glücklich. Und endlich, da ist die Kurve erreicht. Vor uns öffnet sich die See in der sich kaum das Wasser bewegt - türkisblau und kristallklar liegt es vor uns: das Mittelmeer. Ich drehe die Musik leiser, beginne mit der Geschichte der Sirenen. Immer fange ich an dieser Stelle damit an, es ist der Anfang der Amalfitana entlang der Küste hier beginnt die Geschichte der Weiblichkeit.
Die Sirenen, hier saßen sie, beginne ich und schaue in den Rückspiegel, und sehe wie mit großen Augen Mutter und Tochter meinen Worten lauschen. Neben mir sitzt Papa, ihm ist heiß, er ist dick, Nichtraucher und hat was mit den Knien, heute hat er sich zurechtgemacht, als wollte er hohe Berge ersteigen, trägt eine Baseballmütze auf der "Australia" steht. Er solle doch das Fenster öffnen, die mediterrane Luft genießen, sage ich zu ihm und ich lenke das Steuer, fahre langsam in die nächste Kurve.
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Ihre Gesänge waren so bezaubernd, erzähle ich, auch ihre Erscheinung, sie lockten damit Männer hin zu sich. Doch Odysseus erkannte die Gefahr, die von den diesen weiblichen Wesen ausgingen. Seht ihr sie, frage ich seitlich und nach hinten, dort liegt sie die Insel Li Galli.
Papa schaut mich an, ein winziges Lächeln huscht über seine faltigen Lippen und auch in seinem Ohrläppchen sehe ich eine dicke Falte, die wahrscheinlich in all den Jahren entstanden ist, seitdem er mit dem Kopf Nacht für Nacht auf dem Kissen liegt. Ich lache ihn zurück an und erzähle weiter, dass die Sirenen bezaubernd sangen, doch Odysseus und seine Männer sich Wachs in die Ohren stopften und so dem Zugriff der weiblichen Wesen entkamen.
Jetzt schaut auch er hinunter auf die Insel, die unter uns liegt und hört meiner eigenwilligen Erklärung der homerischen Sage zu. Die Tochter, die ich im Rückspiegel erkennen kann, hat ihr Telefon in der Hand, schaut ebenfalls aus dem Fenster, versucht ein Foto zu schießen. Wie die Insel nochmal hieße, fragt sie nach, ich nenne ihr den Namen.
Homer - ob sie schon je von ihm gehört haben, vergewissere ich mich und, ich habe es mir schon gedacht, niemand kennt etwas von der griechischen Sage. Mein Glück!
Odysseus und seine Männer schafften es jedenfalls, den Sirenen zu entkommen, fahre ich fort. Warum nur tat Odysseus das, frage ich rhetorisch. Ja, er hatte zu Hause, in Griechenland eine Frau, die auf ihn wartete. Aber ist das ein Grund sich den bezaubernden Wesen zu entziehen? Vielleicht sind sie ja gefährlich, diese weiblichen Geschöpfe, vielleicht ist es besser sich ihnen fernzuhalten, sagte ich hin zum Papa, der jetzt breiter lacht und sagt, Frauen seien schon ein Problem. Seine Frau klopft ihm von hinten auf die Schulter lacht laut auf, sagt die Frauen seien gewiss nicht das Problem, eher doch die Männer.
Ich fahre die nächste Kurve entlang, die Insel ist jetzt nicht mehr zu sehen, doch Papa schaut trotzdem noch dahin, wirkt nachdenklich und es ist als will er sie wieder finden, diese Insel, wo angeblich die Geschichte begann.
Zur Strafe - erzähle ich weiter - dass die Sirenen Odysseus und seine Männer nicht ans Land locken konnten, befahl ihnen Zeus, sich ins Meer zu stürzen. Die Tochter schaut auf das Display ihres Smartphones, hört nicht mehr zu, der Vater schaut aus dem, inzwischen geöffneten Fenster. Die Sirene Parthenope wurde an das Ufer von Neapel angespült. Man fand dort ihren schönen Körper liegen und die Bevölkerung wurde herbeigerufen, ihr eine schöne Beerdigung zu geben.
Ein Bus kommt uns entgegen, ich muss an die Seite fahren und halten, klappe den Seitenspiegel ein und nur wenige Zentimeter von mir entfernt, zwängt sich der Bus an mir vorbei.
Parthenope wurde in ein weißes Leinentuch gehüllt, und so blieb sie bis zur Beerdigung an dem Ufer liegen. Ein großes Fest sollte ihr zu Ehren gegeben werden, doch als man sie zu Grabe tragen wollte, war ihr Körper verschwunden.
Es ist zuviel, ich spüre es, es ist immer zu viel mit dieser Geschichte, niemand hört mehr zu. Die reizende Tochter fährt gelangweilt mit dem Zeigefinger über ihr Telefons. Die Geschichte aber muss weiter gehen und eigentlich erzähle ich sie mir selbst und erfinde neue Dinge hinzu.
Der Körper war also verschwunden, setze ich fort, aber und das ahnten die Bewohner noch nicht, der Geist Parthenopes bliebt bestehen. Sehr viel später erst gründeten die alten Griechen eine Stadt und gaben ihr den Namen dieser Sirene. Sie erbauten sie, wo einst die Sirene angespült wurde, hoch auf einem Berg, mit dem Blick auf das ewig blaue Meer. Später entstand drum herum eine neue Stadt sie hieß „Neue Stadt“ - im griechischen „Neapolis“. So wurde daraus Neapel oder Napoli. Neapel, geschaffen aus dem stummen Gesang - noch heute spukt der Geist dort von Parthenope umher. Nächtens, wenn man die Promenade entlang geht, die ihren Namen trägt, wird der Mensch, der sein Herz geöffnet hat, ihr begegnen. Sie macht, so die Sage, die Leute liebestoll, tanzt mit ihnen hinein ins Land der Phantasie ...
Wen interessiert schon die Geschichte von Parthenope, ich blicke in fragende Gesichter, drehe die Musik wieder lauter und fahre weiter.
Das ist doch die Insel? , fragt mich die Tochter wir haben Halt gemacht an einer Aussichtsplattform, wo wir von oben über die Küste schauen können. Ja, bestätige ich und sie ruft die Mutter herbei, sie solle sich neben sie stellen, an der Mauer, die die Plattform, auf wir stehen, vom Abgrund trennt. Mache ein Foto von uns Beiden, fordert sie mich auf, die Mutter steht daneben,,ich bekomme einen kleinen Fotoapparat in die Hand gedrückt. Schön sehen sie aus, Mutter und Tochter und sie lächeln mich hell an, neben ihnen die eindrucksvolle Kulisse der Felsenschluchten der Amalfiküste, hinter ihnen das Meer, in dem die Sonne sich spiegelt und worin die Insel liegt, auf dem einst die Sirenen sangen. Papa kommt so schnell nicht hinterher, hat einen Rucksack auf seinem Rücken und wirkt leicht abgekämpft. Ich halte den Fotoapparat in die Höhe, neben uns stehen andere fotografierende Touristen, die auch festhalten wollen, wo sie sind und ich schaue auf das Display, versuche den richtigen Ausschnitt zu finden. Schwarze, geschmackvolle Kleider tragen die beiden Frauen und große Hüte, die vor Sonnenstrahlen schützen, unendlich viele Menschen haben genau an diesem Punkt gestanden, und ich drücke auf den Auslöseknopf, habe sie festgehalten, mit den Felsen, dem Meer und der Sonne, habe ihre Schönheit gefangen genommen, mit ihrem Lächeln und der Insel im Hintergrund. Papa kommt hinzu, ein neues Bild wird gemacht, mühsam versucht er einen freundlichen Gesichtsausdruck hinzubekommen. Wieder drücke ich ab, aber die Magie des ersten Bildes ist verschwunden.
Wohin wir jetzt fahren, fragt aufgeregt die Tochter, und ich antworte, nach Positano, dort wo die bunten Häuser sich in die Felsen wie festgekrallt haben, dort wo auf dem Friedhof Essad Beey begraben liegt. Wir steigen ein, das Auto fährt los, schließt sich der Kolonne der Busse und Autos der anderen Touristen an. Neue Leute kommen, stellen sich an den Platz, wo wir vorher standen, schießen Fotos, wie wir sie schossen... Wissen sie, wie die Sirenen hier sangen?
Aus den Lautsprecherboxen singt Dean Martin zusammen mit einem Frauenchor heraus:
(Til the roses turn to ashes)
Til the organ turns to rust
(If you never come I'll still be there)
Til the moonlight turns to dust ...
Unser Auto fährt weiter, schlängelt sich die Strasse entlang, rotes Licht am Heck beim Bremsen, wird kleiner und kleiner, wird zum Punkt, verschwindet, löst sich auf im Blau zurück bleibt Erinnerung.
If you never come I'll still be there
Til the moonlight turns to dust