Von Kathrin Mix

"Sie glauben an den Menschen. Ich glaube nicht an den Menschen, habe nie an den Menschen geglaubt." – das bescheinigte Konrad Adenauer seinem sprachgewaltigen SPD-Kontrahenten Carlo Schmid im Parlamentarischen Rat.

Man mag sich heute kaum vorstellen, was die Mütter und Väter des Grundgesetzes im Parlamentarischen Rat für Diskussionen ausfochten, um das Grundgesetz, so wie es bis heute gültig ist, auszuformulieren, gab es doch viele Entwürfe.

Welches Menschenbild steckt dahinter? Der Glaube an den Menschen, der frei und selbstbestimmt in der Gemeinschaft sein Leben fristet? Oder ein Mensch, der von Grund auf schlecht ist und der der ständigen Regulation und Überwachung des Staates bedarf?

Sicher waren die Diskutanten in Herrenchiemsee über diese Fragen nicht einig, was angesichts der politischen Lage nicht verwunderlich war, zudem musste ein Entwurf die Zustimmung der Besatzungsmächte finden.

Was man aber im Grundgesetz erkennen kann, ist doch das Grundprinzip des Liberalismus, der freie selbstbestimmte Mensch – von den fehlenden Plebisziten auf Bundesebene abgesehen - trägt sich dieser Gedanke doch durch die meisten Artikel. Gleichberechtigung der Frau, die Unverletzlichkeit der Wohnung, die Pressefreiheit, die Versammlungsfreiheit, dies sind alles Indikatoren für ein positives Menschenbild, was angesichts des historischen Kontextes schon verwunderlich ist.

So können wir heute nur dankbar zurückschauen auf diese Basis unseres heutigen friedlichen und demokratischen Zusammenlebens und Bilanz ziehen: das Grundgesetz ist hervorragend geglückt – „vom Pfusch am Bau“ wie die ehemalige Bundesverfassungsgerichtspräsidentin Jutta Limbach es formuliert – den unzähligen Nachbesserungen und Ergänzungen im Bereich der Freiheit und Unverletzlichkeit der Wohnung u.a. einmal abgesehen.

Worauf man aber wirklich dankerfüllt zurückschauen kann, ist die Tatsache, dass Deutschland ein föderaler Staat ist. Hier kann man vor so viel Weitsicht der USA, Großbritanniens und Frankreichs nur staunen. Ein zu starkes zentralistisches Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg zu verhindern, das war der Grundgedanke, er bringt uns jetzt aber so viel Segen.

Warum, das mag manch einer fragen, der (nicht nur) in der aktuellen Coronasituation nach einem autoritären und starken Staat, nach einer klaren Spur ruft, der die unterschiedlichen Zuständigkeiten und Vorgehensweisen der Bundesländer nicht versteht. Der sich wundert über abweichende Standards und Vorgaben in der Bildungspolitik und der lautstark eine Föderalismusreform fordert. Dem kann man nur zurufen: doch gerade jetzt! Wir brauchen mehr Vielfalt denn je. Der Föderalismus entfaltet gerade jetzt seine ganze Kraft. Es ist nicht der bayrische und hessische Sonderweg, nein er schafft durch unterschiedliche Regierungskonstellationen eine politische Handlungsvielfalt, die auf Bundesebene in der Raute der Alternativlosigkeit verschwand. Erfrischend ist es zu sehen, wie eine Situation schnell neu bewertet wird, reduziert es zudem ein zu technokratisches und lobbyistisches Handeln, das den Primat der Politik aushebelt, wie wir es jetzt in der Krise gerade erleben.

Was im Kleinen auf Ebene der Bundesländer funktioniert, muss auch im Großen bestehen bleiben. Europa stellt in schnell zu entscheidenden Fragen keine Antwort dar, das wissen wir spätestens seit der Flüchtlingskrise. Der gut funktionierende Nationalstaat ist in einem geeinten Europa nicht verzichtbar, wie sich in Krisensituationen zeigt. Der Wasserkopf in Brüssel ist eben nicht für alle Entscheidungen notwendig. Warten wir ab, welche Lehren Europa nach dieser „Krise“ ziehen wird - und ob es sie ziehen wird.

Freiheit kann sich nur in klaren aber natürlich auch durchlässigen regionalen, föderalen und nationalen Begrenzungen in einem geeinten Europa ergeben. Es ist wie in der Kindererziehung: wahre Freiheit erleben wir nur bei klar gesteckten Grenzen.

Der typisch Deutsche, wenn ich den so nennen darf, ruft in der Krise mehr denn je nach Führung und Autorität. Influencer und andere "Promis" rufen lautstark nach dem "Shutdown", ohne Ahnung über Wirksamkeit und Folgen. Mir schaudert es doch, wie schnell und selbstverständlich alle auf wesentliche Grundrechte verzichten, ohne über die Wirksamkeit in Kenntnis gesetzt zu sein. Das zeigt, wie wenig Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen „der Deutsche“ hat, ruft er doch freiwillig nach „Mami“ und der Beschränkung seiner Bürgerrechte. Es ist Zeit, dass der Mensch dieses Selbstbewusstsein zurückbekommt. Eine Stärkung der föderalen Befugnisse und eine Erhöhung der regionalen Bindung wären hier eben genau förderlich und nicht hinderlich, um eine Identität auszubilden, die in der Krise trägt und Selbstbewusstsein schafft. Nur so ist wahre Freiheit und Selbstbestimmung möglich.

Glaube ich an den Menschen? Ich weiß es nicht. Ich möchte es, allein mir fehlt der Glaube.

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