Conchita - die Bärte haben den Song Contest erobert

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Ich war überzeugte Verweigerin des Songcontests. Dann kam Conchita, sah und siegte. Und: sie holte den ESC nach Wien. Ich ließ mich daher mitreißen, saß Samstag Abend gebannt vor dem TV-Screen und verfolgte das ORF-Mega-Giga-Spektakel, das schlicht durch nichts zu toppen war.  Eine Perfektion in der Choreographie, der nicht bloß Jahrzehnte Opernball, Festwocheneröffnung, Lifeball und Neujahreskonzert anzusehen waren, sondern dieses gewisse „Imperiale“, dieser üppige Glanz, den das AEIOU Felix Austria in die Jetztzeit hinüberretten konnte.  Postmoderner Barock. Ein wunderbarer Schmelz, dem die Aussetzer bei der Satellitenübertragung der Punkteauswertung nichts anhaben konnten und auch nicht der peinliche österreichische ESC Beitrag der makemakes  lonesome Cowboys.

Zuerst einmal: Diese Bühne! Ihre über 1200 LED Röhren, die jede nur erdenkliche visuelle Fantasiewelt erstehen lassen konnten, dieses prächtige Bühnenrund oder Oval aus -Zig auf und ab schwebenden, sich ständig in wellenförmiger Bewegung befindlichen Bällchen, das alles sein konnte, das Eurovisionsemblem, das ORF-Logo, das Auge von Tosca der Bregenzer Seebühne, das Auge des Orkans, die Öffnung in ein anderes Universum á la Interstellar, und für rasante Kamerafahrten immer neue, kühnere Perspektiven bot. Dazu kam noch das Lichter- und Farbenspiel, das sich in einem ewigen Fluss befand. Und und und.

Und erst Conchita selbst, die nicht nur von oben auf uns herabschwebte wie die Madonna, sondern auch mit ihrem Eröffnungssong, dem Siegerlied vom letzten Jahr ein Level vorgab, das kaum zu erreichen war. Auch dem schwedischen Sieger Mons Zelmerlöw gelang dies meiner Meinung nach nur knapp.

Knapp, aber dann doch, denn in vieler Hinsicht war „Heroes of our Time“ die beste Darbietung von allen.

Denn, was bekam man wirklich zu sehen? Stimmt, es gab unbestritten wunderbare Visuals. Wenn man schon die Musik nicht mochte konnte man sich ohne Ton in ein nicht enden wollendes psychedelisches Fantasia hineinfallen lassen und den Abend auch so genießen. Allein der rumänische Beitrag brachte etwas Unbehagen ins Wohnzimmer, zeigte er doch mit den statisch die Bühne bevölkernden Koffern die Tragödie verelendeter Wanderarbeiter aus dem Osten und ihrer daheim zurückgelassenen Kinder. Ansonsten schöne, bunte Welten. Und die Barden und Bardinnen?

Ungefähr in der Mitte des Finales packte mich leichte Verzweiflung. Es gab entweder singende Männer in Anzug, mit identem  Kurzhaarschnitt und Oberlippenbärtchen, Vollbart oder Dreitages- Bart, gelegentlich mit Hut, singende Diven mit Gegenwind in der Mähne und Schleppenkleid,  oder Pärchen im mikroverstärkten Liebes-Sanges-Nahkampf. Die Weibchen zuckersüß oder tief dekolletiert, die Männchen, siehe oben.

Musikalisch war auch nicht wirklich etwas zu holen. Die Brunftschreie von Edurne, Aminata und Maria Elena klangen alle gleich. Australien, Montenegro und Israel stampften schnurrbärtig zu Volksmusik und einer der Österreicher bestach durch eine frappante Ähnlichkeit mit Alfred Dorfer alias Mike Weber in MA 2412. Auch nicht gerade die topaktuelle Referenz.

Die einzige Frau, die optisch und stimmlich herausragte war die Serbin Bojana Stamenov. Aber so dick darf frau auch wiederum nicht sein. Das Körpergewicht torpedierte jede Gewinnchance. Ebenso der Rollstuhl der Polin oder das Down-Syndrom der Finnen. Das Publikum will eine schöne, heile Welt.

Die Italiener hatten die Chuzpe mit einer aalglatten Italo Sommerschnulze aufzutreten, die Eros Ramazotti vor 25 Jahren nicht besser hingekriegt hätte. Nur wir sind nicht mehr in den 90ern, sollte man auch in Italien schon wissen. Auch sie waren bärtig und im Anzug. Das Schlimmste daran: sie landeten sogar auf Platz drei.

Dann war da noch Polina Gargarina, Berufsblondine, ein rührendes Pflänzchen mit Super Stimme und einem nichtssagenden Feel good Lied.

Lieblich, Monroe-like und hilfsbedürftig. So dass sogar Conchita sich schützend neben sie setzte, als die Buh-Rufe im Saal immer lauter wurden. Buh gegen Putin, nicht gegen Polina. Was mich vollends nachdenklich macht: sie hätte gewonnen, wenn Russland nicht so absolut und total „non grata“ wäre.

Aber letzteres half dann doch dem Besten zum Sieg. Mons Zelmerlöw hat sogar die LED-Wall auf seine Weise besiegt, denn so originell wie sein puristischer schwarz-weißer Dialog sowohl mit der Wall  als auch mit seinen Dämonen, den von ihm wie von Zauberhand kreierten Strichmännchen auf schwarzem Grund war kein anderer Beitrag.

Das post-barocke Österreich machte Platz für das Schweden des neuen Jahrtausends.

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Herbert Erregger

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Silvia Jelincic

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