Lady Gaga, Dominatrix der Kuscheltiere, performte in Wien

Eine Nacht im candy store. So süß und so bunt ist Lady Gagas Artpop Ball in der Wiener Stadthalle. Erst warten wir viel zu lang unter dem Techno Gedonner der Vorgruppe, mein Herz ist kurz davor, sich aus dem gewohnten Sinusrhythmus auszuklinken, während meine Begleiterin in Tiefschlaf verfällt.

Dann plötzlich bricht das Glück über uns herein.

‚Oh, das sind ja alle Life Bälle des letzten Jahrzehnts, Las Vegas und André Heller, Eisrevuen und Musicals, Jerome Savary, drag shows, fashion shows, Seebühne Mörbisch mit Czardasklängen, Disneyland und Rise like a Phoenix hier und jetzt in einem Saal und auf einem Schlag!‘

Die Bühne: frontal vor uns prunken Schaumstofftrullis und Iglus – ertränkt in einem nie enden wollenden Videofarbenregen, seitlich schlängeln sich die Bühnenfortsätze mit spitzen Neonröhrenzungen ins Publikum. Tänzer in bunten Strumpfhosen, geschürzt mit Ranzen aus aufgeblasenen Gummiwürfeln tragen Pezzibälle hin und her.

Aus dem Souffleurskasten schwebt alsbald SIE im Silberglitzertrikot und umweht von geschmeidig tanzenden Schimmerfedern empor, performt ‚artpop‘ in einer freundlich gefälligen Weise, die mich schmerzlich ihren Auftritt mit Elton John in ‚Lady Gaga & the Muppets Holiday Spectacular‘ vermissen lässt. Da war sie ausdrucksstark, verschmitzt, charaktervoll, erotisch intellektuell. Hier aber ist davon nicht viel zu spüren. Ebensowenig bei Yoü and I. Am Klavier, im Studio war sie widerspenstig und elegant glamourös mit der Stimme einer Ausnahmemusikerin. Hier aber ersäuft der Song in einer überschwappenden Klangsuppe und ihre Persönlichkeit verschwindet phasenweise hinter gelackter Poledance-Akrobatik. Dazu bietet sie für mehrere Altersstufen eine ausgeklügelte Kombination mit Ohrenwürmern aus allen Genres. Die Zwangslogik der großen Shows?

Dem Publikum jedoch gefällt‘s, die Stimmung ist fantastisch. Viele haben sich verkleidet, Mädchen in Tüll und Perücken, Jungs mit kajalschwarzen Augen oder in Netzstrümpfen und Stöckeln. Schrill ist Lady Gaga ja schon, aber harmlos und besänftigend. Eine postmoderne Marilyn Monroe, die dem Gedanken an Sex das Bedrohliche nimmt, wenn sie mit platinblondem Haarbob auf einem Plastikeisberg am Klavier sitzt und Soul anstimmt. Da denk ich sehnsüchtig an Amy Winehouse, die mit jeder Note auch dräuendes Unheil mitsang.

Die Fans sind aber dankbar für das Bombardement von feel good music und Pastelltönen. Tagaus, tagein wird ihre Welt ja zugemüllt mit pinkfarbenen Gadgets, Smileys, Herzchen und neon rubber bands aller Sorten.Nun haben wir das Resultat. Arglos und treuherzig werfen die Kids ihre Papierknödel mit Love Letters auf die Bühne. Lady Gaga liest sie gerührt vor. Dann fliegen die Plüschtiere aus den Ecken des Saals. Die Brüste bandagiert in schwarzem Latex, die Haare basiliskengrün nimmt sie in dem bunten Spielzeughaufen Platz, greift mit spitzen Fingern nach einem Teddy und küsst ihn zu Tränen gerührt. Dazwischen nettes Geplauder in Gutmenschensprech: Umwelt, freedom, Regenwald, Toleranz, queer people. So geht’s dahin. Am Ende singt eine seidenhaarige Loreley auf ihrem Kunststofffelsen ‚Gypsy‘ als Abschiedslied.

Sind nun ihre Shows, Songs und Travestien Zitate okkulten Symbolismus oder gar Entlarvung massenmedialer Mind Control Mechanismen, wie ‚VigilantCitizen‘ schreibt? Und ist sie die Königin der Dekonstruktion kultureller Bedeutungssysteme? Schön wär‘s! In Wien war davon nichts zu bemerken.

Dominatrix ist zur Animatrix geworden.

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