„Der Verbrennungsmotor soll verboten werden.“ „Die Menschen müssen ihre Autos verschrotten.“ Immer wieder gibt es Leute, die behaupten, dass die Europäische Union so etwas plane. Aber was hat die europäische Union wirklich vor und warum ist das Verhalten der FDP und des Kanzleramtes in dieser Frage so problematisch?
Beim Streit um die Zukunft des Autos geht es um die europäische Regelung für die sogenannten Flottengrenzwerten der Pkws.
Was sind Flottengrenzwerte? Diese Regelung gibt es seit dem Jahr 2000 also seit über 20 Jahren. Damals ist festgelegt worden, dass der CO2 Ausstoß im Schnitt aller verkauften Fahrzeuge eines Autokonzerns, der Flotte, auf 120 Gramm im Jahr 2005 sinken muss. Diese Grenzwerte wurden nach und nach verschärft und jetzt sollte eigentlich beschlossen werden, dass sie im Jahr 2035 auf null sinken sollen.
Das bedeutet, die Autokonzerne dürfen ab dem Jahr 2035 – also in 12 Jahren – keine Autos mehr neu produzieren, die noch CO2 ausstoßen. Menschen, die sich davor ein Auto gekauft haben, das noch CO2 ausstößt, dürfen es weiter nutzen.
Niemand regelt, wie die Autoindustrie das erreichen muss. Denkbar sind nach heutigem Stand der Technik batterieelektrische Autos oder wasserstoffelektrische. Genauso erlaubt ist es, einen Verbrennungsmotor einzubauen, der mit Wasserstoff funktioniert.
Die Behauptung, der Verbrennungsmotor solle verboten werden, stimmt schlicht nicht. Es gibt nur eine Bedingung: Aus dem Auto darf kein CO2 mehr kommen.
Worum geht dann der Streit? Es geht darum, dass die FDP erreichen will, dass auch sogenannte E-Fuels zugelassen werden. E-Fuels sind synthetisch hergestelltes Benzin und Diesel oder auch Kerosin. Sie werden hergestellt, indem man Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff spaltet, dann CO2 aus der Lust filtert, dieses wiederum in Kohlenstoff und Sauerstoff spaltet und im nächsten Schritt dann aus dem gewonnenen Kohlenstoff und Wasserstoff ein langkettiger Kohlenwasserstoff synthetisiert wird.
Jeder dieser Schritte benötig erhebliche Mengen an Energie. E-Fuels sind nur unter den Voraussetzungen in der Bilanz CO2 neutral, wenn all diese Energie aus erneuerbaren Quellen stammt und der verwendete Kohlenstoff in Form von CO2 aus der Atmosphäre gefiltert wird. In der Folge wird die 7 bis 8-fache Menge an Energie benötigt im Vergleich zu einem Elektroauto, um dieselbe Strecke mit E-Fuels zu fahren.
Das ist keine Folge der Technologie, sondern der Physik. Denn bei Umsetzungen geht zwar keine Energie verloren – das ist der erste Hauptsatz der Thermodynamik – aber bei jeder Umsetzung verwandelt sich unvermeidlich ein Teil der Energie in nicht mehr nutzbare Wärmeenergie. Das ist der 2. Hauptsatz der Thermodynamik. Und diese Grundsätze der Physik lassen sich auch nicht durch irgendwelche noch nicht erfundenen Technologien aushebeln.
Das nächste Problem ist, dass Autos mit E-Fuels genauso viel CO2 ausstoßen wie mit fossilen Kraftstoffen, da sie chemisch de facto das Gleiche sind. Deshalb macht eine Sondergenehmigung für E-Fuels aus einer sehr einfachen Regelung (Autos dürfen kein CO2 mehr ausstoßen) eine äußerst bürokratische und komplizierte Lösung. Man wird alle E-Fuel-Produktionsanlagen zertifizieren und systematisch dafür sorgen müssen, dass niemand betrügt und einfach normales Benzin oder Diesel nutzt.
Hinzu kommt, dass mit derart unklaren und bürokratischen Lösungen viele Arbeitsplätze in der Autoindustrie gefährdet werden. Denn große Teile der deutschen Autoindustrie haben über viele Jahre gezögert, auf modernste Technologie wie Batterien oder Wasserstoff zu setzen. Sie haben jetzt große Mühe den technologischen Vorsprung der asiatischen Hersteller einzuholen. Jedes weiteres Zögern kann deshalb tausende Arbeitsplätze gefährden.
Und dann gibt es noch die zweite Ebene der Auseinandersetzung. Die hat mit der Sache als solches nichts zu tun, sondern mit dem Prozess und da ist das Agieren der FDP und des Kanzlers noch einmal deutlich kritischer zu sehen.
Deutschland hat die Einigung über die Flottengrenzwerte ganz am Ende eines europäischen Gesetzgebungsprozesses in Frage gestellt und eine Einigung verhindert. Das ist für Europa ein großes Problem und geht weit über die Frage Auto oder Verbrennungsmotor hinaus.
Es hängt damit zusammen, wie der europäische Entscheidungsmechanismus gestaltet ist. Entscheidungen auf europäischer Ebene werden in der Regel im sogenannten Trilog zwischen dem europäischen Parlament, der Kommission und dem Rat getroffen. Dafür müssen die Kommission, das Parlament und der Rat (der sich aus den 27 Mitgliedsstaaten zusammensetzt) erstmal selbst eine Position finden und im Anschluss miteinander verhandeln.
Wenn dann am Ende der Verhandlungen, nachdem sich alle geeinigt haben, einem Land einfällt (und noch dazu dem größten und mächtigsten Land), dass es seine Meinung geändert hat und jetzt eine andere Position vertritt als noch bei der Kompromissfindung im Rat, funktioniert der gesamte Gesetzgebungsprozess nicht mehr.
Wenn sich das zukünftig alle anderen Länder zum Vorbild nehmen nach dem Motto, wenn Deutschland schon so handelt dann wir auch, wird die EU entscheidungsunfähig. Und dies in einer Zeit, in der Krieg in Europa ist und weitere riesige Herausforderungen auf die europäischen Demokratien zukommen.
Deshalb war das Vorgehen der FDP so verantwortungslos. Deshalb ist der Ärger in Europa so groß. Und deshalb ist auch der Kanzler in der Verantwortung, weil er dem ganzen Trauerspiel bislang nur von der Seitenlinie aus zugesehen hat.
ThomasWolter/pixabay https://pixabay.com/photos/automobile-highway-road-tunnel-962083/