Asylkritiker und Sozialromantiker – eine Sprachkritik, Teil 1.

Wer sich gegenwärtig in der Nähe deutscher Flüchtlingsheime aufhält, lebt zwar ortsabhängig nicht unbedingt gefährlich, muss sich jedoch gewiss sein, an einem Ort zu sein, der stets unter Beobachtung steht. Wenn es auch nicht immer unser aller Freund und Helfer in Grün ist, so sind es mindestens regelmäßig die sogenannten Asylkritischen, welche es mit der Kritik nicht immer ganz so theoretisch halten. Sind es auch nicht überall ganz offene Rechtsaußen der Gesellschaft, so sind sie vor allem nie alleine, wenn es darum geht, sogenannte Kritik an der Situation in Deutschland mit Flüchtlingen zu üben. Den aufmerksamen Lesenden wird das kleine Wort „sogenannte“ im vorigen Satz aufgefallen sein. Denn um Kritikäußerung geht es den Kritisierenden nur in den wenigsten Fällen.Wer sich durch verbale Äußerungen nicht mehr im Zaun halten kann, der lässt seinen Neigungen eben anders freien Lauf. Die Redaktion von konkret hat auf ihrer Webseite eine Dokumentation über Angriffe auf Flüchtlingsheime angelegt, das erschreckenderweise nahezu täglich aktualisiert werden muss. Die gelangweilten Reaktionen der deutschen Polizei auf diesen rechtsextremen Terror werden lediglich von den erschrockenen und betroffenen Erklärungen deutscher Politiker übertroffen. Innenminister De Maizière, der vor Wochen noch fremdenfeindliche Ressentiments schürte, kündigt nach den letzten Ausschreitungen an, man wolle nun mit „aller Härte des Rechtsstaats“ gegen den Mob vorgehen. Es ist nicht die Intention dieses Textes, aufzuzeigen, wie verlogen diese Äußerungen sind. Es sei daher nur am Rande bemerkt, dass vor allem Fußballfans Woche für Woche eben diese Härte mehr als deutlich zu spüren bekommen.Der nicht nur an Ort, Heim und Stelle, sondern vor allem im Internet unter Klarnamen wütende Mob der Kritisierenden hat mithilfe untrüglicher Schwarmintelligenz ein verführerisch einfach klingendes Lexikon der beliebtesten Floskeln entwickelt, auf das in Facebook- oder Twitterdebatten nur allzu gern zurück gegriffen wird.  Zwar sollte man den Kontext bei der Beurteilung diverser Kommentare nie unberücksichtigt lassen, doch einige Formulierungen sind an sprachlicher und logischer Perfidie so eindeutig, dass man guten Gewissens bei den Autoren nicht nur den kleinen Goebbels herauslesen kann. Offensichtlich stellt die Entschlüsselung mancher Floskeln die deutsche Presse vor so große Schwierigkeiten, dass sie einiges einfach gleich in ihren Artikeln übernimmt.AsylgegnerNicht zu verwechseln mit dem Asylkritiker. Die Asylgegner haben die mentale Schwelle vom Kritiker zum Gegner überschritten. Und wie das so mit Gegnern ist, verschärfen sich Ton und Taten. Asylgegner, oder jene, die sich als solche bezeichnen, offenbaren gleichzeitig entweder ihr völlig falsches Verständnis der Gründe, weshalb Menschen Asylanträge stellen, oder kennen das Wort Mitleid nur als leere Worthülse. Asylgegner sind häufig um's deutsche Gemeinwesen so besorgt, dass sie ihren Standpunkt in einer für klar denkende Menschen nur schwer erträglichen Häufigkeit mitteilen müssen. Selbst wenn nicht alle Asylgegner Fackeln schleudernd am Flüchtlingsheim stehen, so sind sie trotzdem diejenigen, die als verbale Brandbeschleuniger fungieren.AsylkritikerEiner der wichtigsten Protagonisten des deutschen Jahres 2015 und zugleich eine Modeerscheinung, die in diesem Jahr von SZ, FAZ und Co. entdeckt wurde. Der Asylkritiker ist ein Nazi in charmant, ein Nazi, der nicht so genannt wird, weil er seinem dumpfen Hass noch nicht durch Handeln freien Lauf gelassen hat, ein Nazi, der einer sein darf, weil das beschreibende Wort ausgetauscht wird. Wenn also eine Masse vermeintlich „asylkritischer“ Menschen beschrieben wird, spart sich die Diagnose der Zutat Ausländerfeindlichkeit aus, da nicht die Asylsuchenden, sondern das Asyl an sich das Problem sein soll. In einem Satz: Der Asylkritiker ist eine Erfindung, ein Neologismus, der Asylkritiker nutzt den Begriff des Asylkritikers, um die eigene wahre Gesinnung in ein neues und schickes Gewand zu kleiden. Asylkritiker gibt es nicht. Es gibt nur Rassisten, Populisten und Idioten. Leider ist dies noch nicht allen deutschen Schreiberlingen bewusst geworden.SozialromantikerDas Sozialromantikertum wird häufig diagnostiziert, wenn Menschen auf unwürdige und unzumutbare Lebensumstände anderer hinweisen, um diese auf eine vermeintliche Realitätsferne hinzuweisen, die Vorstellungen sollen der eigenen Fantasie entspringen, in der Realität nicht umzusetzen seien. In Diskussionen um Flüchtlinge wird das ausgestellte Sozialromantikertum oft mit der vielsagenden Phrase, dass „wir nicht jeden aufnehmen können“ garniert – eine charmante und tätschelnde, auf Naivität verweisende Diskreditierung sozusagen, während die eigene Sichtweise ungetrübt bleibt. Die sprachliche Zusammensetzung aus „Sozial“ und „Romantiker“ zeugt ebenso von großer Durchtriebenheit. In diesem Begriffsverständnis will der Soziale bessere Bedingungen für Menschen schaffen, während der Romantiker lediglich ein Träumer ist. „Sozial“ wird übrigens gerne als Wortbaustein für das Wortfeld der Neurechten verwendet. Lediglich mit der Verwendung der Kombination aus „Sozial“ und „National“ tun sich die Realisten dieser deutschen Welt schwer.GutmenschenNicht nur selbsternannte christlich-konservative Geister, die die Werte und Normen des Christentums speziell in der Flüchtlingspolitik gerne mal beiseite schieben, halten es nach der Parole Wolfgang Niedeckens „Ein Gutmensch ist ja nur einer, der labert und nix tut“, wenn sie sich politische Gegner vorknöpfen. Es sind all jene kritischen Geister, für die die Gutmenschen eigentlich die Schlechtmenschen sind, weil sie sich, ähnlich wie die Sozialromantiker, Träumereien hingeben würden. Die Diagnose Gutmensch wird in der Regel allerdings tatsächlich von den Schlechtmenschen ausgestellt, die die eigene rassistische Fratze durch eine pseudo-realistische Sichtweise zu kaschieren versuchen. Überschneidungen zwischen den „Alles Gutmenschen!“- Sagern und „Man darf in Deutschland ja nix sagen, ohne als Nazi zu gelten!“-Heuchlern sind nicht zufällig extrem hoch. Wenn die als Gutmenschen Bezeichneten der Meinung sind, dass Länder Europas Kriegsgeflüchtete aufnehmen sollen, weil es eine Aufgabe ist, der zivilisierte Staaten nachkommen müssen, treten sogleich die Schlechtmenschen  selbstauferlegter Opferrolle auf und verweisen pflichtbewusst auf Überfremdung und zu wenig Geld für Renten und Familien. Mehr Geld für die Oma statt für Sinti und Roma eben. Auf wessen Wahlplakaten stand das noch gleich?„Wir können nicht jeden aufnehmen.“Eine flexibel und mittlerweile auch vom Innenminister gebrauchte Floskel, die sich auf eine angebliche Begrenzung der Aufnahmekapazitäten von Flüchtlingen bezieht. Die Trennung zwischen den einen und den anderen steht bereits im Subjekt. „Wir“ sind anders als „die“, denn „die“ sind ja Geflüchtete und haben sich gefälligst „unseren“ (An-) Weisungen zu fügen. Natürlich sind „die“ aus Kriegsgebieten geflohen und haben Leib, Leben und sonstwas riskiert, um nicht mehr Leib, Leben und sonstwas riskieren zu müssen, aber „die“ wollen ja auch zu „uns“. Schlimmer ist aber die implizite Botschaft des Senders der Aussage, denn mit „nicht jeden“ ist eigentlich „keinen (mehr)“ gemeint. Gleichzeitig wird jenen, die angeblich fordern, „jeden“ „bei uns“ aufzunehmen (wer tut das?), der gleiche realitätsferne Blick unterstellt, wie beim Gutmenschentum. Gebrauchen Politiker dann noch solche Begriffe, schüren sie bewusst Ab- und Ausgrenzung der Geflüchteten, die den deutschen Paternalismus am Allerwenigsten brauchen können. Noch dramatischer ist es nur, wenn Reden durch Handeln unterstützt wird und Grenzzäune errichtet werden.

2
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

irmi

irmi bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:15

fischundfleisch

fischundfleisch bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:15

7 Kommentare

Mehr von KohlC