Es kam in der Nacht vom 15. auf den 16. Juli 2016 nicht nur zu einem gescheiterten Putschversuch - die Folgen und Hintergründe sind sowohl für die Türkei als auch für uns einzigartig.
Tradition der Militärputsche in der Türkei
Um es vorwegzunehmen: Militärregierungen sind in der Regel kurzlebig und dienen oft eher dazu, um das Land vor Gefahren (ideologischer, religiöser, terroristischer Natur) abzuwenden. In der Türkei kam es innerhalb der letzten 56 Jahren zu mehreren Putschversuchen, wobei die meisten davon erfolgreich waren. Traditional ist das Militär in der Türkei der Garant für einen säkularen, nach Atatürk ausgerichteten Staat und schaffte es immer wieder islamistisch angehauchte Regierungen zu stürzen.
Militär geschwächt, Erdogan gestärkt
Bezeichnend ist einerseits das Scheitern des Militärs per se, gleichzeitig aber auch der Putschversuch. Denn das Militär wurde in den letzten Jahren in der Türkei zunehmend geschwächt. Säkulare Generäle wurden durch loyale Erdogan-Marionetten ersetzt. Der Putschversuch zeigt uns, dass die Türkei den Pfad des gesellschaftlichen Fortschritts verlassen hat und eine Hinwendung zur Säkularisierung immer unwahrscheinlicher wird. Weiters wird es die Position von Erdogan stärken - er wird ausländische Mächte und allen voran die Opposition dafür verantwortlich machen. Das alles erinnert viel mehr an eine Satire - wenn Erdogan selbst Demonstrationen brutal unterdrückt, jetzt aber die Menschenmengen aufruft zu protestieren und sich selbst dabei versteckt.
Hintergründe für den Putschversuch
Über die Hintergründe lässt sich nur spekulieren. Die wahrscheinlichsten Beweggründe für den Putschversuch sind: Es könnte sich tatsächlich um einen von der politischen Opposition gelenkten Putschversuch handeln. Nicht auszuschließen ist auch die Teilnahme von ausländischen Mächten am Putschversuch. Natürlich ist es durchaus denkbar, dass es sich hierbei weniger um einen politisch motivierten Putsch gehandelt hat, sondern das Militär einerseits ihre traditionelle Rolle einnehmen und andererseits das Machtverhältnis wieder herstellen wollte. Interessant ist auch die Überlegung, dass es sich hierbei um eine von Erdogan organisierte Putsch-Inszenierung gehandelt hat, um endgültig die untreuen Teile des Militärs unter seine Kontrolle zu bringen und um seine Position ein weiteres Mal zu stärken.
Auswirkungen für Österreich und Deutschland
Dabei geht es hier weniger um die außenpolitischen Auswirkungen - viel interessanter ist an dieser Stelle die Reaktion der türkischstämmigen Bevölkerung in Österreich und Deutschland, nicht zuletzt die der türkischen Verbände. DITIB kritisierte den Putschversuch und fügte hinzu, dass Demokratie und Rechtswesen zu beschützen seien. Zahlreiche türkischstämmige Nutzer im Internet aber auch Demonstrationen (4000 Menschen in Wien) zeigen ein weiteres Mal wie stark die Unterstützung Erdogans im Ausland ist. An dieser Stelle eine berechtigte Frage: Was haben diese Leute hier zu suchen? Ihr Idol regiert das Land am Bosporus - währenddesssen leben sie in "scheiß Deutschland und Österreich", verfluchen die westliche Zivilisation. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Einer Satire würdig ist auch die Argumentationslinie der Erdogan-Anhängerschaft in Österreich und Deutschland: Es gehe um die Demokratie - ein militärischer Putsch einer demokratisch gewählten Regierung sei doch Heuchelei. Nein, liebe Türken - es ist Heuchelei ein System, welches Minderheitenrechte weiter einschränkt, den Rechtsstaat durch Willkür ersetzt, das Kurdenproblem durch das Militär löst, Demonstrationen niederschlägt, die säkulare Grundordnung abbaut, als Demokratie zu bezeichnen. Und zum Argument, dass Erdogan die Türkei wirtschaftlich sehr weit nach vorne gebracht hat: Auch Hitler hat Autobahnen gebaut...