Völkermord: Die Anerkennung einer Tragödie

Nach 101 Jahren ist es endlich soweit. Nach dem 100. "Jahrestag" am 24.04.2015 wurde die Diskussion um die Anerkennung des Völkermordes wieder angestoßen und wurde heute endlich anerkannt. Es ist nicht nur ein Sieg der Gerechtigkeit - es wird hoffentlich auch ein Beitrag dazu sein, andere Völkermorde anzuerkennen.

kurier.at

Was ist ein Völkermord?

Dass bei den Ereignissen vor 101 Jahren Menschen ums Leben kamen, darin waren sich alle einig. Die Debatte drehte sich viel mehr um den Begriff "Völkermord". Während es für den einen eher eine "Wortklauberei" ist, ist die Wichtigkeit dieses Wortes enorm. Dieser Begriff wurde erst im 20. Jahrhundert geprägt und beschreibt die vollständige oder teilweise systematische Ausrottung einer Menschengruppe auf Basis von ethnischen, rassischen oder religiösen Merkmalen. Ein weiterer wesentlicher Unterschied zu einem Krieg (wovon die Türkei immer noch ausgeht), ist, dass eine bewaffnete Partei eine unbewaffnete Partei zerstört - unabhängig vom Geschlecht.

Vorkommnisse von 1915:

Der Völkermord, der oft mit dem 24.04.1915 datiert wird, ist in Wirklichkeit natürlich eine Tatsache, die länger geplant und umgesetzt wurde. Die Massaker fanden in etwa seit Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die 20er Jahre des nachfolgenden Jahrhunderts statt. Verschiedenen historischen Schätzungen zufolge sind im Zuge dieses Völkermordes bis über 3 Millionen Menschen getötet worden, von denen 1,5 Millionen Armenier waren. Neben den Armeniern sind ebenso allen voran christliche Minderheiten wie etwa die Assyrer, Aramäer, Chaldäer, (Pontos-)Griechen, aber auch Eziden und Aleviten getötet worden. Viele der Opfer wurden oft in lange Märsche geschickt oder brutalst ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht getötet.

Die Türkei hingegen stellt die Ereignisse von damals als einen Krieg dar, bei dem es auf beiden Seiten Opfer gab. Ankara argumentiert damit, dass Armenier damals den Russen halfen und aus diesem Grund deportiert wurden. Es ist von international anerkannten Historikern bestätigt, dass es sich um keinen Krieg drehte. Dass es auf der armenischen Seite den einen oder anderen bewaffneten Widerstand gab, ist Tatsache - es ist aber auch Tatsache, dass es sich dabei um eine sehr kleine Minderheit handelte, die sich schützen wollten - die Mehrheit hatte nicht einmal die Gelegenheit dazu, da Armenier im Vorfeld schon entwaffnet wurden. Weiters gibt es neben den genannten Fakten weitere Tatsachen, die gegen die türkische Begründung sprechen. Sollte es sich so ereignet haben, wie die Türkei es schildert, stellt sich zum einen die Frage wieso Frauen, Kinder und alte Menschen ebenso massakriert wurden. Sind die Kinder und die Frauen die militärische Gefahr für die Türkei gewesen, die angeblich Russland militärisch unterstützten? Während die Türkei mit dem nicht haltbaren Argument der Kooperation mit Russen argumentiert, stellt sich die Frage: Aus welchem Grund wurden dann die Aramäer, Assyrer, Eziden und Griechen getötet? Es bestand nicht einmal die geringste Verbindung zwischen ihnen und dem Russischen Reich. Die Begründung der türkischen Verbände und der Türkei besteht voll aus Widersprüchen. Des Weiteren sei zu erwähnen, dass die Armenier damals als Volk kein homogenes Gebilde darstellten und es ein russisches und türkisches "Armenien" gab, was wiederum dazu führte, dass Armenier auf beiden Seiten der Fronten kämpften.

Die von der Türkei erfundene "Dolchstoßlegende" entkräftet sich selbst und wird von keinem ernstzunehmenden Historiker anerkannt. Was hingegen Fakt ist, ist der Umstand, dass die "moderne Türkei" teils auf die Reichtümer der armenischen Elite aufbaut - jener Elite, die am 24.04.1915 in Istanbul gehäutet, geköpft, gehängt und erschossen wurde(n).

edb.utexas.edu

Historikerkommission - vorgeschobene "Scheinaufarbeitung"

In beinahe jeder Diskussion über den Völkermord findet man dasselbe Argument seitens der türkischen Seite: "Die Türkei hat Armenien vorgeschlagen die Archive zu öffnen und eine gemeinsame Historikerkommission zu schaffen."

Bei diesen Argumenten fehlt oft die Vollständigkeit der Aussagen - hier werden populistische, propagandistische Quasi-Argumente in den Raum geworfen mit der Hoffnung deutsche Mitbürger, die wenig von diesen Ereignissen wissen, umzustimmen.

1. Armenien hat nicht die Öffnung von Archiven an sich abgelehnt, sondern vorgeschlagen, dass auch Archive NEUTRALER Länder hinzugenommen werden. Es gibt nämlich eine Reihe von Ländern, die sehr viele Zeugenaussagen haben.

2. Es ist ein vollkommen absurder Vorschlag, wenn die Türken vorschlagen, dass NUR armenische und türkische Historiker an der "Aufklärung" teilnehmen. Denn beide Länder sind von der Sache betroffen (Täter und Opfer) und ein betroffenes Land wird mit Sicherheit nicht ganz objektiv urteilen. Vielmehr fürchtet sich die Türkei über die Teilnahme internationaler Historiker - denn international ist der Genozid eine unumstrittene Tatsache.

3. Die Türkei über den Genozid urteilen zu lassen bzw. zu befragen, ist ungefähr dasselbe, wie wenn man Holocaustleugnern/Nazis über ihre Meinung zum Holocaust fragen würde. Oder wenn man einen Mörder fragen würde, ob er getötet hat. Natürlich wird man nein sagen.

4. Die Türkei erwähnt immer wieder, dass sie die Archive öffnen würden. Inwiefern kann man auf Archive eines Täterlandes vertrauen? Es ist doch klar, dass die Archive bereits gesäubert wurden bzw. vor der Veröffentlichung nochmal gesäubert/korrigiert werden. Würde man die Geschichtsschreibung nur der Türkei überlassen, wissen wir was herauskäme: Ein türkischer Nikolaus und die türkische Entdeckung Amerikas.

5. Die Türkei hat mehrmals bewiesen, dass sie nicht in der Lage sind wissenschaftlich/objektiv an diese Sache heranzugehen. Nach dem Sturz Mubaraks wurde die Muslimbruderschaft mit Millionen bezahlt, um die Archive zum Genozid in Ägypten zu vernichten. Und sie haben es gemacht.

Muskelspiele gegenüber der Türkei?

Türkische Vertreter versuchen immer stärker davon zu überzeugen, dass es sich bei der Resolution garnicht um die Anerkennung des Völkermordes per se geht, sondern um sich gegenüber der Türkei durchzusetzen. Alleine der Umstand, dass die Ausarbeitung der Resolution nicht 2016, sondern bereits vor rund einem Jahr in Arbeit war, widerlegt diese These. Kurzum: Der Text wurde nicht während der Böhmermann-Debatte und dem Flüchtlingsdeal geschrieben, um der Türkei eine reinzudrücken.

Wieso Bundestag und kein Gericht?

Damit sollten sich doch Historiker und Gerichte beschäftigen - oder doch nicht? Man muss sich vor den Augen führen, dass es sich hierbei um die Anerkennung einer bereits bewiesenen Tatsache handelt. Es geht hier nicht um das Beweisen der Vorkommnisse als solche. Der Völkermord ist mehrmals auf internationaler Ebene (z.B. durch die UNO) verurteilt worden und ist anders als in der Türkei ein unumstrittenes historisches Ereignis.

Was hingegen die Gerichte betrifft: Es gibt zwei Gerichte auf internationaler Ebene und beide können sich der Sache nicht annehmen, weil es nicht in ihren Kompetenzbereich fällt. Zum einen ist es der Internationale Gerichtshof, der nur Staaten verklagen kann und das nur dann, wenn der angeklagte Staat damit einverstanden ist (es sei denn man hat die Unterwerfungserklärung unterschrieben) und zum anderen gibt es den Internationalen Strafgerichtshof, der nur über einzelne Personen urteilen darf. Wie unschwer zu erkennen sind beiden Gerichten hier die Hände gebunden, da kein Täter (Person) am Leben ist, um ihn anzuklagen.

Die Anerkennung durch politische Institutionen und Staaten ist wichtig, um wichtige Signale nicht nur Richtung Türkei zu setzen (sich mit der Aufarbeitung der Geschichte zu beschäftigen), sondern auch künftige Völkermorde anzuerkennen bzw. diese zu verhindern. Wie Hitler einst sagte: "Wer spricht heute von den Armeniern?"

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