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Die Wahlen sind seit etwa einem halben Jahr Thema Nummer Eins in Österreich. In zwei Sachen sind sich dabei alle Österreicher einig: Halb Österreich ist deppad und zum Glück ist's vorbei. Ich gehe hier auf eine kleine Analyse der letzten Monate ein.
1. Zwischen Unabhängigkeit und Lagerkampf:
Zu Beginn des Wahlkampfes war ich aufgrund der hohen Werte der Frau Griss davon überzeugt, dass die Leute genug von alten Parteistrukturen haben und einen unabhängigen Präsidenten wollen. Auch die Unabhängigkeitsbekundungen anderer Kandidaten ließen auf eine ähnliche Tendenz schließen. Doch letztendlich sind wir genau im Gegenteil davon gelandet: Einem typischen Lagerwahlkampf zwischen links und rechts, bei dem sowohl Van der Bellen als auch Hofer führende Politiker ihrer Parteien sind/waren.
2. Nicht FÜR, sondern GEGEN VdB/Hofer Wahlen:
Auszeichnend für diese Wahl sind zum einen die zwei Kandidaten und zum anderen das knappe Endergebnis. Beide Kandidaten sind zwar die beliebtesten und doch zugleich auch die am meisten "verhassten". Viele Bürger wählten ihre Kandidaten nicht aus Überzeugung, sondern als das "kleinere Übel", um VdB bzw. Hofer zu vermeiden. Daher können wir weder sagen, dass 50% tatsächlich hinter den Inhalten von VdB, noch 50% hinter den Inhalten von Hofer stehen.
3. Polarisiert und populistisch:
Was aber beide Kandidaten und Stammwählerschaften größtenteils verbindet, ist die maßlose Polarisierung und der Populismus. Dieser Populismus betrifft dabei eindeutig beide Seiten. Beide Seiten haben immer wieder Öl in's Feuer gegossen, die jeweils andere Seite pauschalisierend als Nazis/Gutmenschen abgestempelt. Von Versöhnung zu reden und die "anderen" in einen Topf zu werfen, ist kontraproduktiv. Der Populismus zeigt sich auch bei der Flüchtlingsproblematik - während die eine Seite größtenteils aufgrund der Flüchtlingsfrage punktet, handelt die andere Seite genauso populistisch, in dem sie (aus Prinzip) maßgebliche Probleme ignoriert/schönredet. Interessant ist dabei auch, dass Vorschläge, die vor Monaten noch als rechtsextrem abgestempelt wurden (Zäune, Abschiebung von Kriminellen, Aufnahmestopp), mittlerweile sogar von der Regierung (teils) umgesetzt werden.
4. Wahl voller Überraschungen.
Neben der Spaltung gibt es einige weitere Merkmale - die Wahlen haben gezeigt, dass Prominente nicht mehr die Rolle spielen, die sie bei früheren ÖVP-SPÖ Wahlen gespielt haben. Im Gegenteil, sie haben womöglich sogar einen gegenteiligen Effekt gespielt. Die Wahlen haben weiters einen Diskurs über wichtige Themen wie etwa das Amtsverständnis, TTIP, Flüchtlingsfrage und EU aufgeworfen und das Land politisiert. Der Vorteil dabei ist, dass sich die Leute (auch wenn vielleicht nur oberflächlich) mit diesen Themen mehr oder minder auseinandergesetzt haben. Bermerkenswert ist auch, dass die FPÖ trotz des Verlustes aufgezeigt hat, dass prinzipiell etwa 50% im Land (notfalls) bereit wären die FPÖ zu wählen. Selbiges gilt natürlich in einem geringeren Ausmaß für die Grünen. Typisch und bekannt aus den Wien- und OÖ-Wahlen war der "alle gegen rechts"-Kampf - unter'm Strich lässt sich sagen: Die Eliten der Grünen, SPÖ, ÖVP (großem Teil), NEOS, Griss-Team und VdB haben so viel erreicht wie Hofer auf der anderen Seite. Gleichzeitig ist aber die erstaunliche Aufholjagd von Van der Bellen zu erwähnen, der ca. 14% aus dem ersten Wahlgang aufholte.
5. Niemand ist "schlecht" - Verständnis auf beiden Seiten fehlt.
Anstatt die jeweils andere Meinung sich anzuhören, wird auf beiden Seiten reflexartig diffarmiert. Wir erleben seit Jahren die typische Argumentationslinie beider Seiten: Wenn du nicht meiner Meinung bist, dann bist du ein "Nazi" bzw. ein "Gutmensch". Beide Seiten werfen sich Taten vor, die sie selbst kaum einhalten. So werfen sich beide Seiten eine Nähe zum Extremismus vor und was ich bedauerlich finde, ist: Auf Vorwürfe wird mit Gegenvorwürfen geantwortet, anstatt sich zu distanzieren. Das gilt gleichermaßen sowohl für die Rechtsextremen, als auch oft unterstätzten Linksextremen. Man muss nicht die Meinung der anderen Seite vertreten, diese aber von vornherein als "dumm" abzustempeln, ist schlechthin engstirnig. Stattdessen wäre ein konstruktiver Dialog um die verschiedenen Themen viel angemessener gewesen.
6. Wie gespalten das Land ist.
Einerseits spielten die Themen eine zentrale Rolle, doch andererseits schien es sich um eine klassische Schlammschlacht zu drehen. Es ist schade, dass man die Zeit nicht nutzen konnte, um statt populistischen Lösungen (auf beiden Seiten) die Themen richtig auszudiskutieren, doch andererseits ist es eben das Wesen eines Wahlkampfes - nicht konstruktiv zu disktutieren. Das Land ist nicht nur bei der Flüchtlingsfrage gespalten, sondern auch EU und im geringeren Ausmaß TTIP. Das sind zweifelsohne Themen, die wichtig sind und seit Monaten den politischen Diskurs bestimmen - doch aufgrund dessen gehen andere nicht weniger wichtige Themen wie die hohe Arbeitslosigkeit, Bildungsreformen und Pensionen unter. Anzumerken ist natürlich, dass das keine klassischen Präsidentschaftswahlthemen sind - aber so gesehen ist es die Flüchtlingsfrage auch nicht unbedingt.
7. Erkenntnisse unabhängig vom Kandidaten.
Trotz allem steht fest: Es sind die ersten Wahlen, in denen SPÖ und ÖVP nicht einmal in die Stichwahl geschafft haben. Es sind die ersten polarisierten Lagerkampf-Präsidentschaftswahlen. Das Interesse an Politik steigt aufgrund des Diskurses auf Online-Netzwerken und nicht zuletzt der Wahlbeteiligung. Die Präferenzen der Bevölkerung zu Kernthemen sind ersichtlicher denn je und das Land ist gespalten wie nie zuvor.
Entgegen allen "ich könnte das eh besser"-Hobbypolitikern würde ich ungern weder in der Haut des neuen BP noch des neuen BK stecken, da sehr große Herausforderngen vor diesen Personen stehen. Der neue Kanzler muss wieder Schwung in die Wirtschaft bringen und die Kernprobleme lösen. Und die Hauptaufgabe des Präsidenten wird es sein, das Land wieder zu vereinen, eine Brücke herzustellen und niemanden auszugrenzen. Um wieder etwas Zusammenhalt wiederherzustellen, reicht es nicht sich gegenseitig mit Dreck zu bewerfen - jeder sollte in erster Linie bei sich selbst anfangen und beide Richtungen kritisch hinterfragen. Das demokratische Ergebnis sollte man wiederum akzeptieren - unabhängig davon ob es Hofer geworden wäre oder ob es (wie tatsächlich) Van der Bellen ist. Ich verstehe beide Seiten (oder versuche es zumindest) und an dieser Stelle: auf ein gutes Gelingen.