Sie war sich immer noch nicht vollständig darüber sicher, was sie für ihn empfand. Er zeigte ihr ein abgegriffenes, altes Foto von ihnen beiden, das er immer in seiner Brieftasche trug, selbst als er verheiratet war. Sie konnte es kaum glauben.
Weihnachten stand vor der Tür und sie verabredeten sich zu einem gemütlichen Punch an einem der Christkindlmärkte. Diesmal betonte G. wie wichtig ihm dieses Treffen sei, und schon flatterte es in ihrer Magengrube verdächtig. Bei der Begrüßung herzte und drückte sie G. wie üblich, sie stießen mit ihren heißen Getränken an, und dann küsste er sie einfach! Völlig überrascht, setzte ihr Herz aus, und sie fiel, tatsächlich, in Ohnmacht!
Als sie wieder zu sich kam, hing sie in seinen Armen wie ein nasser Sack, und eine Menschentraube hatte sich um sie herum gebildet. Der Ruf nach einem Krankenwagen war bereits zu hören, doch sie winkte beruhigend ab, und lies sich von G. buchstäblich abschleppen. Vorsichtig hievte er sie in seinen Wagen und brachte sie nach Hause. Ganz der Gentleman wollter er sie in dieser Nacht nicht alleine lassen, und es wurde eine lange Nacht, in der die einstige, auch körperliche Vertrautheit, wieder neu entstand.
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Er gestand ihr sehr schnell seine Liebe, sie war noch immer vorsichtig. Eine innere Stimme warnte sie ganz leise, doch die neu gewonnene Lebensfreude übertönte diese jeden Tag ein bisschen lauter, bis sie nicht mehr zu hören war. Sie zogen zusammen und sie erklärten sich ganz klar, was jeder vom anderen erwartete. G. wünschte sich, dass sie eine gute Beziehung zu seinen Töchtern aufbauen möge, und als das erste Treffen mit seinem Nachwuchs anstand, was sie dementsprechend nervös. Völlig unnötig, denn sie verstand sich auf Anhieb blendend mit beiden Kindern. Sie erwartete sich von G. "nur" Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit. Wie unmöglich die Erfüllung ihres Wunsches für ihn sein sollte, zeigte sich erst später.
Den ersten Urlaub verbrachten sie am Meer. Sie weinte vor Ergriffenheit, als sie es riechen und schließlich auch sehen konnte. So viele Jahre hatte sie so große Sehnsucht nach dem Meer verspürt. G. musste sie immer wieder regelrecht aus dem Wasser ziehen, so sehr war sie darin in ihrem Element.
Der nächste Urlaub sollte eine Rundreise durch ganz Griechenland werden. In diesen Ferien zeigte sich, dass sie sehr unterschiedliche Vorstellungen von der Gestaltung eines solchen, hatten. Er wollte jeden Tag neue Eindrücke sammeln, sie wollte zwischendurch auch Tage am Strand verbringen. Diese ruhigen Momente, waren die Hölle für ihn, unruhig wetzte er neben ihr hin und her, während sie die Zehen in den Sand grub, und dem Rauschen der Wellen lauschte.
Die ersten Jahre vergingen wie im Flug, sie spürte wohl, dass er ihr gegenüber verschlossener wurde, doch wenn sie G. daraufhin ansprach, winkte er immer ab, oder murmelte etwas von Problemen in der Firma.
Eines Tages waren sie gemeinsam auf die Hochzeit einer Freundin eingeladen. Im allgemeinen Trubel verloren sie sich aus den Augen. Stunden vergingen, schließlich machte sie sich besorgt auf die Suche. Sie fand ihn in einer sehr eindeutigen Situation mit einer anderen Frau. Es traf sie völlig unvorbereitet und mitten ins Herz. Sie hatte ihn vertraut! Fluchtartig verließen sie die Veranstaltung gemeinsam. Sie schrie und heulte, völlig außer sich, während der gesamten Heimfahrt so verletzt fühlte sie sich, und er verstärkte noch diese Gefühle, indem er sich wie ein kleiner, ertappter Schuljunge versuchte, hinaus zu reden. Zu Hause angekommen, packte er seine Sachen und zog aus. Sie vereinbarten ein Treffen in einem Monat, Zeit zum Nachdenken, Zeit zum Aufarbeiten, Zeit um vernünftig miteinader umzugehen.
Sie nutzte dieses eine Monat, na gut, vielleicht nicht gerade die erste Woche davon. In dieser lag sie fast ausschließlich im Bett und heulte, doch sie war immer schon zäh und willensstark, so rappelte sie sich ganz allein wieder hoch und nahm ihr neuerliches Singledasein in Angriff. Der Monat verging schnell, sie fühlte sich wieder sicherer und gestärkter, als sie wieder, wie vereinbart, aufeinander trafen. G. war fasziniert von ihrer Souveränität und Selbstsicherheit, er wollte sie unbedingt zurück! Das Techtelmechtel wäre vorbei, es täte ihm so leid, usw. Immer wieder beteuerte er ihr seine tiefe Liebe.
Nun war sie nicht ehrlich, weder zu sich selbst noch zu ihm. Sie wollte ihm so gerne vergeben, sie wollte großzügig sein und verzeihen, anderen Frauen gelang dies ja schließlich auch! Ein Jahr bemühte er sich außerordentlich um sie, er trug sie buchstäblich auf Händen, und trotzdem war sie nicht wirklich glücklich. Sie spürte, dass er sich verbog und nicht mehr authentisch reagierte.
Ihre einst so besondere Beziehung verkümmerte zur Mittelmäßigkeit. Diskutiert oder gestritten wurde kaum, es war schwer G. aus der Reserve zu holen, lieber verkroch er sich hinter seiner Arbeit, oder bunkerte sich hinter selbst aufgezogenen Stahlbetonmauern ein. Ihre einstige Verbundenheit war nur noch manchmal zu spüren. Dann, wenn einer einen Satz begann, und der andere ihn beendete, oder die Antwort schon lieferte, bevor die Frage noch gestellt wurde.
In einem letzten Versuch, zu retten, was noch zu retten war, beschlossen sie, sich räumlich zu trennen. Ihr gemeinsames schönes Zuhause lösten sie auf, und zogen in zwei Wohnungen. Einige Zeit funktionierte diese neue Lösung ausgesprochen gut. G. besuchte sie regelmäßig, sich kochten gemeinsam, oder gingen Essen, unternahmen schöne Ausflüge in die Natur, und vor allem gingen sie wieder unbeschwerter, lockerer und herzlicher miteinander um. Neuerlich versprachen sie sich, ehrlich miteinander umzugehen.
Eines Tages erzählte er ihr, dass er nach Indonesien fliegen werde, betonte dabei, und das ganz alleine! Es kam ihr zwar irgendwie komisch vor, trotzdem versprach sie ihm, während seiner Abwesenheit, seine Pflanzen zu gießen. Als sie nichtsahnend sein Zuhause betrat, spürte sie bereits im Vorzimmer, dass er hier sicher nicht mehr ein Singledasein frönte. Auf seinem Schreibtisch stand ein großes Foto von ihm mit neuer Freundin und in diesem Moment zerbrach ihre Liebe endgültig.....
Epilog:
Heute lebt sie alleine. Sie geht offen auf Männer zu, doch beim (subjektiv gesehenen) kleinsten Verdacht von Unaufrichtigkeit verschließt sie sich sofort wie eine Muschel, was es möglichen, potentiellen, künftigen Partnern fast unmöglich macht, ihr Herz zu gewinnen.
G. lebt mehr oder weniger glücklich mit ihrer Nachfolgerin zusammen.