Wie ist das, wenn die Hände nicht mehr mitspielen? Das Kreuz nicht mehr gerade ist? Und die Augen nur mehr Konturen wahrnehmen können? Wir finden es heraus – beim Instant-Ageing-Kurs für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Häusern zum Leben des Kuratorium Wiener Pensionisten-Wohnhäuser. In insgesamt 30 Häusern und in der Zentrale werden somit rund 4.100 MitarbeiterInnen auf Beschwerden im hohen Alter sensibilisiert.
Es ist nicht leicht. Die große, schwarze Brille nervt. Und erst die Einschränkung des Sichtfeldes. „Der graue Star war angenehmer“, sagt meine Instant-Ageing-Partnerin. Sie ist 26 Jahre alt. Ich bin 42. Wir beide sind heute jeweils rund um die 90. Ausgestattet mit Brillen, die verschiedene Sehschwächen simulieren, mit Gehörschutz zur Vortäuschung von Schwerhörigkeit, die Hände mit einer Schiene in eine verkrampfte, schwer bewegliche Haltung gezwungen. „Schreiben Sie Ihren Namen“, sagt Irmgard Moldaschl, Ergotherapeutin im Haus Schmelz. Das Geschmiere ist sagenhaft, jedes Volksschulkind würde uns auslachen.
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Instant Ageing bedeutet, dass MitarbeiterInnen im KWP in die Rolle vieler Bewohnerinnen und Bewohner schlüpfen. Der entsprechende Kurs, ein halber Tag, ist verpflichtend für alle von der Küchenhilfe bis zur Geschäftsleitung. Die Hilfsmittel wurden teilweise im KWP selbst entwickelt: ein Overall, der gebeugte Haltung erzwingt. Ein bewegungsloser Silikonarm, der schlaff nach unten hängt. Rollstühle und Rollatoren.
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„Parkinson ist nicht nur das bekannte Zittern“, erklärt Kollegin Moldaschl, während sie am orangefarbenen Overall Marke „Gefängniskluft“ zwei Klettverschlüsse fixiert. Die erzwingen eine Fortbewegung in winzigen Schrittchen. Auch ein Merkmal dieser verbreiteten Krankheit. Das Trippeln funktioniert auf der Geraden recht gut. Einige Stufen stellen jedoch ein beinahe unüberwindbares Hindernis dar. Wir klammern uns an den Handlauf. Das Sackerl mit den zwei Mineralwasserflaschen wiegt plötzlich Tonnen – und sie schwanken gefährlich hin und her, bringen uns aus dem Gleichgewicht.
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Keine Simulation kann perfekt sein. „Was wir nicht imitieren können, sind die dauernden Schmerzen“, so die Kursleiterin. „Und sehr oft kommt noch Demenz dazu“. Dafür gibt es übrigens einen eigenen verpflichtenden Kurs für alle MitarbeiterInnen: Einführung in die Validation. Gemeinsam mit Instant Ageing ergibt sich so ein sehr schlüssiges Bild, wie sich das Leben im hohen Alter anfühlen kann.
Wir sehen unsere neuen Arme an. Die sind zwar nur aus Silikon, während der richtige, funktionsfähige, hinter dem Rücken verschnürt ist. Der neue Arm bewegt sich natürlich keinen Millimeter; ganz wie bei verschiedenen Krankheitsbildern. Ich bereue, keine Jacke mit weiteren Ärmeln angezogen zu haben – wer kann das schon ahnen. Meine bequeme Kapuzenjacke hat sportlich enge Ärmel. Das ist… suboptimal. Der Weg von der Schulter bis zum Saum ist ein langer. Aber noch komplizierter ist, mit nur einer Hand eine Semmel aufzuschneiden und mit Butter und Marmelade (natürlich zuckerarm und speziell für die Häuser zum Leben hergestellt) zu versehen.
Was nehmen wir mit von diesem Vormittag? Dass es auch beim besten Willen oft nicht mehr schneller geht. Viel Geduld. Und noch mehr Verständnis.
(zuerst veröffentlicht auf www.kwp-blog.at)