Seit dem Mittelalter lag das Gebiet um die Stadt Trabzon an der türkischen Schwarzmeerküste mitten im Herzen der griechischsprachigen Welt. Das Land des legendären Amazonenkönigreichs wurde von den Griechen im 8. und 7. Jahrhundert vor Christus kolonialisiert. Durch die Sagen der griechischen Mythologie wurde es unsterblich. Von hier aus starteten, der Legende nach, Jason und die 50 Argonauten ihre Reise über das Schwarze Meer auf der Suche nach dem Goldenen Fließ.
Es ist bemerkenswert, dass trotz wechselhafter Jahrtausende und bewegter soziopolitischer Geschichte in der unwegsamen und bergigen Region immer noch Griechisch gesprochen wird. Die Einzigartigkeit des Dialekts, den seine Sprecher selbst Romeyka nennen, stellt laut Dr. Ioanna Sitaridou, Dozentin für Altphilologie an der Fakultät für moderne und mittelalterliche Sprachen und Kovorsitzende des Instituts für Linguistik am Queens’ College, einen faszinierenden Einblick in die Vergangenheit und Gegenwart der Sprache dar.
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Frauen in heutiger pontischer Tracht. Die wenigen verbliebenen pontischen Griechen (türkisch: Rum, im Gegensatz zu Griechen in Griechenland: Yunan) wurden, ähnlich wie die Mehrheit der sog. “Kryptoarmenier” in den 1920ern zum sunnitischen Islam zwangskonvertiert. Man spricht im Türkischen von “Dönme” (wortwörtl.: “Die Umgedrehten”)
Vom Aussterben bedroht
Romeyka ist eine linguistische Goldmine. Das liegt an seiner verblüffenden Anzahl von urtümlichen Sprachbestandteilen, die es mit der griechischen Sprache zu Zeiten des Hellenismus und aus der Römerzeit gemeinsam hat, wie es zur Blüte der griechischen Hochkultur in Kleinasien zwischen dem 4.Jahrhundert vor Christus und dem 4.Jahrhundert nach Christus gesprochen wurde.
“Obwohl Romeyka schwer als etwas Anderes als ein moderner griechischer Dialekt beschrieben werden kann, enthält es eine beeindruckend große Anzahl an Elementen, die der sprachlichen Struktur des Dialektes eine altgriechische Note verleihen. Solche, im Romeyka präsenten Elemente, sind in anderen Varietäten des modernen Griechisch komplett verloren gegangen”, erklärt Dr. Sitaridou.
Weil einige von ihnen gläubige Muslime waren, wurden viele Sprecher des pontischen Griechisch vom, durch den Vertrag von Lausanne von 1923 beschlossenen, Bevölkerungsaustausch zwischen der Türkei und Griechenland ausgenommen. Religion war damals, obschon Atatürks vordergründig laizistischer Doktrin etwas Anderes vermuten ließe, das Hauptkriterium für den Bevölkerungsaustausch, von dem insgesamt 2 Millionen Menschen betroffen waren. Für die Region Pontos (Nordosttürkei) bedeutete dies einen Massenexodus christlicher griechischer Genozidüberlebender, während eine kleine Enklave bereits islamisierter griechischsprachiger Muslime zurückblieb.
Wiederkehrende Migrationswellen aus Trabzon in Kombination mit der Gefährdung durch vorherrschende türkischsprachige Mehrheit und die jahrzehntelange Einsprachenpolitik der türkischen Republik bedrohen den Fortbestand dieses einzigartigen Dialekts. Die UNESCO stuft Romeyka, das pontische Griechisch, als “eindeutig bedroht” ein. “Mit knapp 5.000, in der Region verbliebenen, Sprechern könnte Romeyka eher eine Erbsprache sein als eine lebender Dialekt” sagt Dr. Sitaridou. “Mit seinem Niedergang würde eine unvergleichbar wertvolle Gelegenheit verschwinden, die Entwicklung der griechischen Sprache von der Antike bis heute zu untersuchen”.
Sprachkartographie
Dr Sitaridous Forschungsprojekt schickt sich an, die Geheimnisse eines kaum erforschten Dialekts aufzudecken. Sie erforscht sowohl Syntax, also die grammatischen Regeln und Satzstrukturen, als auch wie und warum Sprache sich verändert. “Bei Romeyka habe ich die schönste Gelegenheit diese beiden Komponenten zusammen in einem Tandem zu untersuchen." Der Dialekt demonstriert nicht nur Elemente, die zeitgenössische sprachwissenschaftliche Theorien auf die Probe stellen. Er stellt ebenso ein lebendes Beispiel für eine, sich entwickelnde, Sprache dar.
Dr. Sitaridou arbeitet bei ihren Forschungen zusammen mit Professor Peter Mackridge von der Universität Oxford, der sich in den 1980ern als einer der ersten Wissenschaftler überhaupt mit dem pontischen Dialekt beschäftigte, Dr. Hakan Özkan von der Universität Münster, Professor Stavroula Tsiplakou von der freien zypriotischen Universität, dem Meertens Institut (europäisches Dialekt-Syntax-Netzwerk) und den drei Doktoranden, Stergios Chatzikyriakidis, Petros Karatsareas und Dimitrios Michelioudakis.
Im Kern ihrer Arbeit stehen Exkursionen in die Dörfer des Pontos, um eine sprachliche Landkarte zur erstellen. Diese soll Aufschluss darüber geben, wie Romeyka funktioniert, wie viele Mikrovariationen es gibt (Synchronie), und wie die morphosyntaktische Struktur sich im Laufe der Zeit verändert hat (Diachronie). Die Informationen werden einerseits durch Video- und Audioaufnahmen von Dorfbewohnern gesammelt. Darüber hinaus hat Dr. Sitaridou spezielle Fragebögen entworfen, welche komplexe Daten herausstellen, die sie benötigt, um die Sprachstruktur zu entschlüsseln.
Fenster zur Vergangenheit
Sprachentwicklungen und -veränderungen zu untersuchen, ist offenkundig sehr schwierig. Das liegt in erster Linie daran, dass ein Mangel an lebenden Sprechern besteht, die uns einfach sagen könnten, was sie für ungrammatisch und nur für den mündlichen Sprachgebrauch geeignet halten. Im Gegensatz stehen Texte, die uns nur zeigen, was im schriftlichen Sprachgebrauch verwendet wurde und wird, also grammatisch ist. Bei der Untersuchung der Geschichte des Hochgriechischen sieht das, mit Ausnahme der Fülle von zur Verfügung stehenden alten Texten, nicht anders aus.
“Stellen Sie sich einmal vor, wir könnten mit Menschen sprechen, deren Grammatik viel näher an vergangen geglaubten Sprachen ist, als unsere. Wir könnten dann nicht nur die Grammatik heutiger Dialekte besser herleiten, sondern auch die Sprache der Vergangenheit besser verstehen”, sagt Dr. Sitaridou, Mitglied der Cambridge Gruppe für bedrohte Sprachen und Kulturen (Cambridge Group for Endangered Languages and Cultures (CELC)).
Verbleib der Infinitive (grammatische Grundform von Verben)
Bereits die ersten Ergebnisse der Studie liefern bemerkenswerte Einblicke. Dr. Sitaridou gab während der ersten Liguistenkonferenz zu Romeyka (türk. “rumca”) überhaupt bekannt: “Im Gegensatz zu altertümlichen Formen der griechischen Sprache, ist der Gebrauch von Infinitiven in allen anderen, heute gängigen und bekannten, griechischen Dialekten verloren gegangen. Z.B. würden Sprecher des modernen Griechisch sagen: “Ich möchte, dass ich gehe” anstatt “Ich möchte gehen”. Im Romeyka aber blieb der Infinitiv erhalten. Das bedeutet, dass das pontische Griechisch die letzte Form der griechischen Sprache ist, in der der Infinitiv weiterhin gebraucht wird. Darüber hinaus finden sich hier eigenartige Infinitivkonstruktionen, die niemals zuvor beobachtet wurden. Zu ihnen gibt es allenfalls Parallelen in der romanischen Sprachfamilie (Latein, Französisch, Spanisch, Italienisch, Portugiesisch, Rumänisch, Rätoromanisch).
Umso verblüffender erscheinen die bisherigen Ergebnisse, die nahe legen, dass Romeyka näher am hellenistischen Koine (Erklärung: Bereits die ersten Ergebnisse der Studie liefern bemerkenswerte Einblicke. Dr. Sitaridou gab während der ersten Liguistenkonferenz zu Romeyka (türk. “rumca”) überhaupt bekannt: “Im Gegensatz zu altertümlichen Formen der griechischen Sprache, ist der Gebrauch von Infinitiven in allen anderen, heute gängigen und bekannten, griechischen Dialekten verloren gegangen. Z.B. würden Sprecher des modernen Griechisch sagen: “Ich möchte, dass ich gehe” anstatt “Ich möchte gehen” . Im Romeyka aber blieb der Infinitiv erhalten. Das bedeutet, dass das pontische Griechisch die letzte Form der griechischen Sprache ist, in der der Infinitiv weiterhin gebraucht wird. Darüber hinaus finden sich hier eigenartige Infinitivkonstruktionen, die niemals zuvor beobachtet wurden. Zu ihnen gibt es allenfalls Parallelen in der romanischen Sprachfamilie (Latein, Französisch, Spanisch, Italienisch, Portugiesisch, Rumänisch, Rätoromanisch).
Umso verblüffender erscheinen die bisherigen Ergebnisse, die nahe legen, dass Romeyka näher am hellenistischen Koine (Erklärung: http://www.uni-muenster.de/imperia/md/content/fb2/a-biblischetheologie/zeit-undreligionsgeschichtedesnt/schumacher/text_5__reiser_.pdf) als alle modernen griechischen Dialekte, deren Ursprung allgemein im mittelalterlichen Griechisch, wie es zwischen dem siebten und 13 Jahrhundert nach Christus gesprochen wurde, verortet werden kann) als alle modernen griechischen Dialekte, deren Ursprung allgemein im mittelalterlichen Griechisch, wie es zwischen dem siebten und 13 Jahrhundert nach Christus gesprochen wurde, verortet werden kann.
Veränderung in “Echtzeit”
Dr. Sitaridous Studie versucht genau zu bestimmen, wie sich das pontische Griechisch entwickelte. “Wir wissen, dass Griechisch im Pontos seit der Antike fortwährend gesprochen wurde, und gehen davon aus, dass seine geografische Isolation vom Rest der griechischsprachigen Welt ein wichtiger Grund dafür ist, dass die Sprache in ihrer heutigen Form existiert”, sagt Dr. Sitaridou. “Was wir bislang nicht wissen, ist ob Romeyka sich auf die selbe Art und Weise herausbildete wie andere griechische Dialekte, um später seine einzigartigen Merkmale zu entwickeln, die dann eher nur zufällig dem archaischen Griechisch ähneln würden. Oder ob Romeyka sich, anders als der Rest der griechischen Dialekte, aus einer früheren Version der griechischen Sprache entwickelte. Wäre dies der Fall, so würden seine archaischen Bestandteile aus der direkteren Abstammungslinie und seiner, Jahrhunderte andauernden, geografischen Isolation gegenüber anderen Dialekten resultieren.”
Gleichwohl finden sich im Romeyka auch neuartige Merkmale, die insbesondere aus seinem Kontakt mit dem Türkischen entstanden sind. Vor diesem Hintergrund möchte Dr. Sitaridou erforschen, welche Einflüsse das Türkische und die kaukasischen Sprachen, wie z.B. Georgisch, Lazisch oder Armenisch auf die Entwicklung des pontischen Griechisch hatten. Der vorhandene sozio-historische und linguistische Kontext des pontischen Griechisch führen laut Dr. Sitaridou zu “nahezu perfekten experimentellen Bedingungen, die eine Bewertung dessen zulassen, welche Art linguistischer Elemente durch Sprachkontakt einerseits verloren gehen und andererseits neu Einzug in eine Sprache halten.” Genau diesen Fragen möchte sie als ehemalige Teilnehmerin des renommierten Stanley J.Seeger Forschungsaustauschs bzgl. hellenischer Studien im Frühjahr 2011 an der Universität von Princeton nachgehen.
Die Konsequenzen einer solchen Studie sind jedenfalls sehr umfassend, weil sie ein Verständnis vermittelt, wie Sprachfunktionen einen Einblick in kulturelle Identitäten, die Selbstwahrnehmung der sprechenden Menschen und die Wechselwirkungen kulturellen Austauschs geben.
Dr. Sitaridou, deren Urgroßeltern selbst aus der Region stammen, glaubt dass linguistische Beweise helfen werden, den sprichwörtlichen Faden der Sprachentwicklung zu entknoten und zurückzuverfolgen. Wir müssen noch feststellen, ob uns dieser Faden uns den ganzen Weg zurück in die Zeit Jasons, seiner Argonauten und dem goldenen Fließ führt und welche weiteren Überraschungen uns erwarten.
Zuerst veröffentlicht am 24.06.2015 auf https://kurmenistan.wordpress.com/2015/06/24/faszinierende-studie-der-cambridge-universitat-uber-das-pontische-griechisch/
Quelle