Flüchtlinge sind häufiger seelisch krank. Das besagen beinahe alle Studien, die ich kenne. Allerdings lohnt sich hier ein genauerer Blick auf die Thematik, die über eine Boulevardschlagzeile hinaus geht.
Ja, die Studien kommen zum Schluss, dass psychische Erkrankungen bei Flüchtlingen doppelt so oft auftreten als in der heimischen Bevölkerung. Das heißt aber nicht, dass es jetzt auf einmal viel mehr beispielsweise Schizophrene gibt. Die Prävalenz, also das prozentuelle Vorkommen von Erkrankungen deckt sich in etwa mit der heimischen Bevölkerung. Unterschiede gibt es aber doch. Diese beziehen sich auf kulturspezifische Besonderheiten. So gibt es im Nahen Osten so gut wie keine Essstörungen, also zum Beispiel Anorexie oder Bulimie. Dafür wirken sich seelische Probleme oft psychosomatisch aus. Das heißt beispielsweise, dass Menschen, die psychisch leiden, auf den ersten Blick unerklärliche Schmerzen haben, wie etwa Kopf- oder Unterleibsschmerzen. Da, wo in Europa eine Depression mit den bekannten, vor allem psychischen Symptomen einhergeht, leiden Menschen im Nahen und Mittleren Osten körperlich. Wie aber ist die doppelt so hohe Erkrankung der Seele erklärbar.
Die Studien kommen zu dem Schluss, dass es sich bei einem großen Teil um Reaktionen der Psyche auf belastende Lebensumstände handelt, sogenannte Belastungsreaktionen. Ich möchte betonen, dass eine Belastungsreaktion nicht mit (der sehr schweren Erkrankung) Trauma (genauer: posttraumatische Belastungsstörung) gleichzusetzen ist. Hier geht es nicht unbedingt gleich um extreme Erlebnisse wie zum Beispiel sexuellen Missbrauch oder das Miterleben von Mord und Totschlag in Kriegen. Es geht eher um länger andauernde belastende Umstände, wie sie oft auch im Rahmen der Flucht und der langen Strapazen auf dem Weg nach Europa entsteht. Ein Afghane, der beispielsweise zuerst im Iran interniert wird, dann in der Türkei in ein Lager gesteckt wird und wenig essen bekommt und von den Sicherheitskräften schlecht behandelt wird, in Griechenland auf der Straße leben muss und dann lange an der Grenze zu Österreich warten muss, ist psychisch belastet.
Es ist also, neben dem Fluchtgrund, auch die Flucht selbst, die sich belastend für die Seele auswirkt. Die Studien decken sich zwar in den Ergebnissen nicht gänzlich. Aber es scheint so zu sein, dass die bei uns ankommenden Menschen psychisch gesünder wären, wenn sie zumindest nicht über tausende Kilometer unter gefährlichen und menschenunwürdigen Umständen kommen müssten.