Wie der Staat uns angeblich arm rechnet
Das Internet – ein Ort, an dem sich komplexe Zusammenhänge wie Steuerpolitik auf 280 Zeichen reduzieren lassen, idealerweise mit einem Schuss Empörung und einem Hauch von Mathematik, die nur der Ersteller selbst versteht. Nehmen wir das Beispiel im Screenshot: „Einkommenssteuer 42 % + Mehrwertsteuer 19 % = 53 % weg!“ Zack, der Staat hat wieder die Hälfte unseres sauer verdienten Einkommens gestohlen. Danke, Merkel! Ach nee, warte, danke Scholz? Egal, irgendwer eben.
Lassen Sie uns kurz innehalten und diese Gleichung für Genies analysieren. Wie funktioniert das eigentlich, diese magische Steueraddition? Und könnten wir damit nicht auch andere Probleme lösen?
Die geniale Rechnung
Die Grundidee ist so einfach, dass sie schon fast poetisch ist: Man nehme zwei Steuersätze, addiere sie, und voilà – der perfekte Beweis, dass der Staat uns ausbeutet. Dass Einkommenssteuer und Mehrwertsteuer auf völlig unterschiedlichen Grundlagen berechnet werden, ist ein Detail, das uns Steuerrevolutionären nicht im Weg stehen sollte. Schließlich ist das Internet kein Ort für Feinheiten.
Noch besser wird es, wenn wir die Rechnung weiterführen:
- Sozialabgaben? Drauf damit! +20 %
- Die Rundfunkgebühr? Klar, 17,50 € sind gefühlt 90 % vom Netto.
- CO₂-Steuer, Hundesteuer, Schaumweinsteuer? Wir addieren einfach alles! Schon sind wir bei 150 % Steuerlast. Heißt das, wir schulden dem Staat am Monatsende unser Leben? Theoretisch ja – aber zum Glück gibt es Netflix und Bier.
Die Kunst der Übertreibung
Natürlich fragt man sich, wie weit man diese absurde Logik treiben kann. Angenommen, ich kaufe mir einen Laib Brot (7 % Mehrwertsteuer) und zahle damit von meinem Einkommen, das zuvor mit 42 % versteuert wurde. Heißt das, ich habe 49 % Steuern gezahlt? Vielleicht sogar 100 %, wenn ich dazu noch Butter und Marmelade kaufe? Ist die Steuerlast eine Reinkarnation von Schrödingers Katze – mal mehr, mal weniger, je nachdem, wer hinsieht?
Für die Empörung ist das irrelevant. Fakten zerstören den Flow. Die wichtige Botschaft lautet: „Der Staat nimmt uns ALLES!“ Und das klingt einfach besser als: „Ich habe nicht ganz verstanden, wie Progression und Steuerklassen funktionieren.“
Die Lösung: Steuerfreie Utopien
Wenn die Rechnung der Wahrheit entspricht, bleibt uns Bürgern nur eines: Revolution! Wir fordern das Recht, unser Geld zu behalten – ohne Steuern! Straßen? Brauchen wir nicht, wir haben SUVs. Krankenhäuser? Youtube hat genug Tutorials für Erstversorgung. Bildung? Wer braucht schon Mathe, wenn man Steuerformeln einfach selbst erfinden kann?
Alternativ könnte man auch einen Schritt weiter gehen und eine Rückerstattung verlangen: Schließlich habe ich als Bürger meine 150 % Steuern pünktlich abgedrückt und fordere nun vom Staat 50 % zurück. Das nennt man dann „Reverse Steuerlogik“.
Ein kleiner Reality-Check
Natürlich ist die Rechnung im Screenshot Unsinn. Einkommenssteuer und Mehrwertsteuer wirken auf völlig unterschiedliche Dinge – die eine auf das Einkommen, die andere auf den Konsum. Niemand zahlt 42 % Einkommenssteuer auf sein gesamtes Gehalt, sondern nur auf den Anteil, der über dem Spitzensteuersatz liegt. Und nein, die Mehrwertsteuer trifft auch nicht alle Ausgaben gleich, denn viele Dinge (Miete, Lebensmittel) sind steuerfrei oder ermäßigt.
Aber das ist unwichtig, denn in der Welt der Internet-Mathematik zählt nur eines: Laut schreien, falsche Zahlen präsentieren, und hoffen, dass niemand nachrechnet.
Fazit
Die „53 %-Steuerlüge“ ist ein Paradebeispiel dafür, wie sich Komplexität mit einem Taschenrechner und einer großen Portion Empörung ins Lächerliche ziehen lässt. Aber seien wir ehrlich: Wenn es um Steuern geht, wollen die meisten von uns einfach nur schimpfen. Also lassen wir die Fakten beiseite und genießen die Vorstellung, dass der Staat heimlich 200 % Steuern einzieht, während er mit dem Rest unserer sauer verdienten Euros Radwege in Peru finanziert.
Vielleicht sollten wir einfach auswandern. Aber wohin? Ach ja, stimmt, alle anderen Länder erheben auch Steuern. Mist. Dann bleibt uns wohl nur eines: zurück ins Internet und den nächsten Screenshot posten.