Wahrheit und Lüge zu unterscheiden, das ist heute vielfach nicht so einfach. Gerade in Zeiten der sozialen Medien schwirren unzählige Meldungen herum, meist völlig ohne überprüfbare Quellenangabe. Man kann oft gar nicht selbst feststellen, ob etwas erfunden ist, oder nicht. Jedenfalls nicht definitiv, denn Zugang zu Primärquellen wie Polizeiberichte etc. hat man als Privatperson ja nicht. Auch Medienberichte werden heute oft hinterfragt und angezweifelt.

In meiner Geschichte gibt es zwei Personen: Den einen verorten wir politisch eher links, den anderen eher rechts; vereinfacht gesehen und bezogen vor allem auf ihre Standpunkte in Asyl- und Migrationsfragen.

Die Geschichte des Linken

Der Linke sieht sich in der Asylfrage als Realist. In erster Linie ist er froh, dass Menschlichkeit gezeigt und geholfen wurde. Natürlich weiß er auch um Probleme, die immer wieder auftauchen. Gewalttaten, Überfalle etc. darf man nicht verschweigen, sagt der Linke. Allerdings warnt der Linke davor, dieses Bild des kriminellen Ausländers auf alle zu übertragen - das schüre Angst und Zweifel. Man brauche nur in der Kriminalitätsstatistik nachlesen: Die Situation sei bei weitem nicht so schlimm, wie sie von den Massenmedien, die in erster Linie auf Quote und Werbeeinnahmen aus sind, dargestellt würde.

Der Linke liest in der Zeitung, dass eine Frau von einem Asylwerber vergewaltigt worden sei. Er wundert sich ein wenig, hatte er eine ähnliche Meldung doch schon gestern und vorgestern gelesen. Geht es hier um denselben Fall? Er liest noch einmal in den vorigen Ausgaben nach - nein, es werden unterschiedliche Daten angegeben. Dem Linken kommt das etwas seltsam vor. Natürlich passiert immer wieder etwas, doch so viel auf einmal? Für überragende Recherche ist die Zeitung nun nicht gerade bekannt, ist vom Presserat schon mehrmals abgestraft worden. Der Linke denkt sich, hier wird vermutlich Schindluder getrieben - er weiß genau, Onlineberichte von solchen Themen ziehen Klicks an wie sonst was. Die Werbekasse klingelt also, völlig egal, ob an der Geschichte etwas dran ist. Vermutlich will die Zeitung das hochspielen. Das ist manipulierend, weil dadurch ein übertrieben schlechtes Bild auf Asylwerber geworfen wird, denkt sich der Linke.

Die Geschichte des Rechten

Der Rechte sieht sich in der Asylfrage als Realist. In erster Linie will er, dass die Politik die Probleme der eigenen Bevölkerung ernst nimmt. Darum solle sich die Politik primär kümmern, danach könne man über Hilfe für andere reden, wo es zweckmäßig und machbar ist. Gegen Ausländer hat der Rechte nichts, sagt er. Er unterscheide nicht nach Ethnien. Dass der Islam ein Teil Österreichs sein soll, will er nicht akzeptieren, dennoch sind ihm liberale Muslime willkommen, solange sie sich an die Spielregeln halten. Das sei der Knackpunkt, sagt der Rechte, denn passieren würde genug. Von den vielzitierten "Einzelfällen" könne ja keine Rede mehr sein.

Der Rechte liest in der Zeitung eine Reportage über einen Syrer, nennen wir ihn Nasir. Nasir ist nach eigener Aussage kein strenggläubiger Muslim. Er gibt an, die Sorgen der Österreicher zu verstehen, viele seine Landsleute würden sich schwertun, sich in unseren Kulturkreis zurechtzufinden. Damit wolle er jedoch keinerlei Gewalt entschuldigen. Er bittet um Geduld, fordert gegenseitiges Verständnis füreinander, nur so könne Integration und das Zusammenleben hier in Europa funktionieren. Nasir selbst allerdings ist quasi ein Musterbeispiel an Integration. Er ist zwar erst ein Jahr hier, kann aber schon sehr gut Deutsch, bemüht sich bei auftauchenden Problemen in der Flüchtlingsunterkunft zu vermitteln und leistet auch als Dolmetscher wertvolle Dienste. Nasir ist Arzt und hofft, hier in Österreich eine Chance zu bekommen, seinen ursprünglichen Beruf auszuüben. Sollten die notwendigen Verfahren zur Anerkennung seiner Fähigkeiten allerdings nicht vielsprechend laufen, ist er auch gern bereit, sich anders einzubringen und seinen Beitrag zu leisten.

Derartige Zeitungsberichte kommen dem Rechten immer etwas seltsam vor. Stimmt denn das wirklich, was hier geschrieben wird? Durchaus möglich, dass dieser Beitrag nur dazu dient, gute Stimmung für die Willkommenskultur zu machen. Den meisten Medien traut der Rechte ohnehin nicht mehr, sie würden oft sehr einseitig schreiben, sagt er. Am Ende gibt es diesen Syrer wahrscheinlich gar nicht. Das ist manipulierend, weil dadurch ein übertrieben gutes Bild von Asylwerbern gezeichnet wird, denkt sich der Rechte.

Und die Wahrheit?

Um meinen Standpunkt ausführen zu können, gehen wir davon aus, dass beide Geschichten wahr waren. Sowohl der Linke als auch der Rechte haben etwas gelesen, was nicht ihrem Weltbild entsprochen hat, und haben es fälschlicherweise als Lüge abgetan. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Es fällt sehr schwer einzusehen, dass es die Gegenbeispiele auch wirklich gibt - obwohl man ja dauernd beteuert, diese Gegenbeispiele zu kennen und ernstzunehmen.

Es liegt auch nahe, dass der Linke die Geschichte des Vorzeige-Syrers und der Rechte die Geschichte der drei kurz aufeinander folgenden Vergewaltigungen sofort geglaubt hätte - ohne überkritisches Hinterfragen, das bei unwillkommenen News an den Tag gelegt wird.

Und selbst wenn das Gegenbeispiel wahr ist - darüber so ausführlich zu schreiben ist ja doch irgendwie falsch, weil es unkritische Menschen auf die Idee bringen könnte, dass WIR nicht recht haben. Letzteres würde man zwar nie laut aussprechen, aber in den Köpfen der ideologiebehafteten Menschen spielt es natürlich eine Rolle.

Auf Facebook und in Zeitungsforen geht es gleich zu...

Wer die Kommentarspalten der großen österreichischen Zeitungen auf Facebook ab und zu verfolgt, kann dieses Verhalten sehr gut beobachten:

1. Es kommentieren immer dieselben Leute.

2. Diese Leute haben einen klaren Standpunkt. Widerspricht ein Artikel diesem Standpunkt, werden Zweifel an der Wahrheit des Inhalts geäußert - oder der Artikel wird einfach ignoriert. Sie melden sich erst wieder, wenn ein Artikel kommt, der ihren Standpunkt untermauert.

3. Je nach Richtung des Mediums (bzw. des Publikums), erhalten diese Wortmeldungen ihre Zustimmung in Form von Likes. Bei Standard und ORF wird man mit asylfreundlichen Statements mehr Likes sammlen, bei Krone und oe24 mit asylkritischen Wortmeldungen. Beschimpfungen der anderen natürlich immer inklusive ;) Was jetzt wirklich wahr ist, interessiert eigentlich niemanden.

Natürlich ist dieses Verhalten in gewisser Weise nachvollziehbar. Aber aus meiner Sicht wird es heute übertrieben und es herrscht vielerorts nur mehr Schwarz-Weiß-Denken.

Und natürlich gibt es auch Ausnahmen von der Regel. Aber leider neigen die meisten Leute, die glauben, in sozialen Netzwerken Wortführer spielen zu müssen, zu eben diesem einseitigen Verhalten. In anonymen Foren kommt noch die Gefahr hinzu, bezahlten Trollen über den Weg zu laufen, die absichtlich nur in eine Richtung argumentieren. Hier wären auch die Medieninhaber gefragt, dies mit technischen Möglichkeiten etwas zu erschweren (ganz verhindern ist ohnehin nicht möglich), doch auch hier werden im Zweifelsfall Werbeeinnahmen wichtiger sein als ein ausgewogenes, sachliches Forum. Kann man den Medien nicht einmal so sehr verübeln, da heute bei weitem nicht mehr alle bereit sind, für Informationen auch Geld auszugeben und eine physische Zeitung zu kaufen, wenn es die Inhalte online gratis gibt.

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