Beim Wandern durch den Wienerwald kurz nach einem Platzregen entdeckte ich vor kurzem hinter einer Wegbiegung eine Gruppe von Wildschweinen. Vier oder fünf ausgewachsene Schwergewichter und unzählige junge Frischlinge standen direkt vor mir.
Ohne es zu wollen stand ich näher bei Ihnen als weder ich noch sie sich das gewünscht hätten.
Sofort drehte ich mich um und begann, mich langsam zu entfernen.
Ich achtete darauf, plötzliche Bewegungen so gut es ging zu vermeiden. Doch kurz darauf hörte ich ein lauter werdendes Geräusch hinter mir, ganz so als würde ein Pferd auf mich zu galoppieren. Über meine Schulter sah ich ein riesiges Wildschwein mit gesenkten Kopf auf mich zustürmen.
Dass es schneller laufen konnte als ich war klar. Was also tun?
Ich wusste, dass Wildschweine meist scheu sind und Menschen so gut es geht vermeiden. Mein Ansatz ist immer gewesen, anzunehmen, dass sie mehr Angst vor mir haben als ich vor ihnen. Also wie kann es passieren dass man plötzlich doch von ihnen gejagt wird?
Seit meiner Erfahrung habe ich etwas nachgeforscht.
Alles begann mit einem Spaziergang im Park. Ich war gerade von einer Gedenkfeier in Mauthausen nahe Linz zurückgekehrt und wollte mir ein wenig die Beine vertreten. Ich fuhr zum Lainzer Tiergarten, ein historischer Park am Rande Wiens mit einigen steilen bewaldeten Hügeln, einem Aussichtsturm, Parkanlagen und – wie immer in Österreich – schön gelegene Cafés mit tollem Ausblick.
Der Wechsel von Sonnenschein und Regen produzierte herrliche Farben aber ein neuerlicher starker Schauer wusch die meisten Wanderer buchstäblich aus dem Park. Nur ein paar gut ausgerüstete Unerschrockene (oder Tollkühne) trotzten dem Wetter. Im Regen gehend konnte ich eine Gruppe von etwa 25 alte wie junge Wildschweine sehen wie sie um die hundert Meter vor mir den Weg überquerten und in den Wald hineinliefen. In meinen insgesamt neun Jahren in Deutschland und vier in Österreich hatte ich noch nie so viele Wildschweine von der Nähe aus gesehen.
Eine halbe Stunde später hörte es auf zu regnen. Ich war gerade am Rasthaus Hirschgstemm vorbeigekommen und begann den Anstieg in die Wälder als ich wieder auf eine Wildschweingruppe traf. Kurz darauf hörte ich das eingangs erwähnte donnernde Trampeln hinter mir und realisierte, dass ich in einer gefährlichen Situation war.
Ich hatte keine Erfahrung mit Wildschweinattacken und rannte daher einfach los. Ich versuchte Ausschau nach Schutz zu halten.
Ein Stapel von Baumstämmen sah aus als wäre er einfacher für mich zu erklimmen als für das Wildschwein. Ich versuchte hinauf zu klettern, rutschte aber auf der nassen Baumrinde aus und zog mir dabei einige Kratzer und Prellungen zu. Mit Ach und Krach konnte ich mich in Sicherheit bringen. Als ich mich umdrehte, trottete das Wildschwein schon wieder zurück zur Gruppe, die sogleich im Wald verschwand. Bestimmt dachte es sich „Dem Schwein hab ich’s gezeigt!“
Alle meine kleinen Verletzungen waren selbst zugefügt – das Wildschwein hat mich nicht erwischt. Ein Arztbesuch am nächsten Tag zeigte, dass alle Knochen heil geblieben waren, lediglich meine rechte Hand wurde zur Stabilisierung in einer Schiene gelegt.
Hätte ich anders reagieren sollen? Ich habe nach Ratschlägen gegoogelt. Die meisten Ergebnisse bestätigen, dass Angriffe sehr selten sind. Trotz der friedlichen Natur der Tiere raten Experten allerdings zu besonderer Vorsicht sobald Frischlinge im Spiel sind.
Ein Artikel listet Wildschweine sogar gemeinsam mit Elefanten, Rhinos, Krokodilen und Flusspferden in der Kategorie der gefährlichsten Tiere der Welt („dicke, rasiermesserscharfe Hauer und ein ebenso scharfer Verstand“). Die vielleicht wertvollste Empfehlung weist darauf hin, dass man im unwahrscheinlichen Fall eines Angriffs am besten auf eine Anhöhe oder einen Baum klettern soll („Sie werden überrascht sein von Ihren Kletterkünsten wenn ein Wildschein hinter Ihnen her ist“). Der Biss von Wildschweinen ist sehr stark und kann zu gefährlichen Verletzungen führen.
Ich habe auch die Britische Seite Freunde des Wildschweins gefunden. Dort steht unter anderem der Satz: „Leider haben über die Jahrhunderte viele Geschichten von Jägern ein Karikaturen-Bild von aggressiven Wildschweinen mit großen Hauern gezeichnet.“ Ich kann das nachvollziehen. Beim Schreiben dieses Blogs habe ich einige YouTube Videos von grauenvollen Zusammentreffen von Wildschweinen und Jägern gefunden und jedes einzelne Mal war ich auf der Seite des Wildschweins.
Wie meine Erfahrung zeigt gibt es allerdings auch für friedvolle Wanderer ein kleines Restrisiko.
Was würde ich beim nächsten Mal anders machen?
Würde ich nochmals auf eine Gruppe Wildschweine treffen würde ich mich gleich nach eine Fluchtmöglichkeit wie ein Baum oder einen Felsen umsehen für den Fall dass sich die Schweine bedroht fühlen.
Wenn es darum geht sich wieder zu entfernen würde ich außerdem versuchen, rückwärts zu gehen. Das erhöht natürlich das Risiko zu stolpern, andererseits hat man die Gruppe immer im Blick.
Im unwahrscheinlichen Fall eines Angriffs würde ich jederzeit wieder versuchen worauf auf immer zu klettern. Meine Verletzungen sind nichts verglichen mit dem was ein heranrasendes Wildschwein anrichten kann.
Die letzte Möglichkeit wäre gemäß den Empfehlungen im Internet kurz vor der Attacke zur Seite zu springen, das scheint mir aber eine ziemliche riskantes Manöver zu sein.
Werde ich wieder in den Lainzer Tiergarten gehen? Aber natürlich, ich freue mich darauf und ich trage es den Wildtieren auch keinesfalls nach. Aber nächstes Mal werde ich etwas Kaffee in der Thermoskanne, etwas Schokolade (die beim Wandern ohnehin nie fehlen sollte) und – als Standard-Ausrüstung – ein Erste-Hilfe Set mitnehmen.
PS: Wenn Sie mehr darüber hören wollen, was ein Britischer Botschafter macht wenn er nicht gerade vor Wildschweinen flüchtet, folgen Sie mir auf twitter unter @leighturnerFCO.