"Der Standard" rätselt in einem Artikel über die Frage, wieso die Armut zurückgeht. "Armut lässt Experten rätseln und sorgt für Kopfweh bei Statistikern" - derstandard.at/2000056988581/Armut-in-Oesterreich-Raetsel-fuer-Experten-Kopfweh-fuer-Statistiker

Derartiges Rumraten mutet ein wenig seltsam an, zumal ich ja die Lösung schon vor einem Jahr an dieser Stelle hier verraten habe:

https://www.fischundfleisch.com/leitwolf/hurra-die-armut-geht-zurueck-19188

Anders formuliert: wenn statistische Willkür, respektive eine Änderung in der "Erhebungsmethode" einfach mal so eine Viertelmillion Armutsgefährdete verschwinden oder auftauchen zu lassen vermag, dann fallen die marginalen laufenden Veränderungen der Armutsrate allesamt in die statistische Schwankungsbreite.

Ich mein, das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Die SA sagt einerseits, sie hätte methodenbedingt erst 234.000 armutsgefährdete Personen "übersehen", könne aber nun mit hoher Konfidenz einen Rückgang um 74.000 bestimmen. Selbst wenn man keine politische Intention unterstellen wollte, nullifiziert das die Glaubwürdigkeit solcher Angaben, respektive deren Quelle.

Interessant fand ich einige Kommentare hierzu. So schreibt der wohl geneigte Wutbürger "Hellygator"

"Die Statistik Austria schönt professionell seit Jahrzenten die Inflationszahlen. Die werden immer mit dem Brustton der Überzeugung veröffentlicht und geglaubt weil dort die Manipulation nicht auf den ersten Blick erkennbar ist. Jetzt wird hier "gerätselt". Die Zahlen stimmen einfach nicht. Es wird berichtet was sein soll und nicht, was ist. Deshalb schneiden wir mitten in der Krise, bei dicker Inflation und steigenden Preisen immer besser ab! Denkt dran dass jeder der knapp über Mindestsicherung bezieht für die Statistik Austria bereits zur "Mittelschicht" gehört."

owakill:

"Selten so einen Schwachsinn gelesen. Die Inflation, berechnet von der Statistik Austria, ist annähernd ident mit der harmonisierten Inflation für Eurostat, was und wie soll da bitte geschönt werden? Den Begriff Mittelschicht gibt es in der Statistik nicht, den Begriff Medianeinkommen sehr wohl. Für den Armutsbegriff (keine statistische Definition) wurde als Schwellenwert 60% des Medianeinkommens gewählt. Dies ist ein politisches Maß und kein statistisches Maß. Abgesehen davon agiert die Statistik Austria unabhängig von politischer Einflussnahme und muss sich gegenüber diversen Gremien (bspw. Statistikrat und Eurostat) rechtfertigen."

Als dann meldet sich die Redaktion zu Wort

"Können Sie uns erklären, wie die Statistik Austria das macht? Danke!"

Mag. Anton Gleisch:

"Na klar, alles geschönt und manipuliert!

Wie sich der jeweils aktuellen Warenkorb zusammensetzt und wie die Statistik Austria ihre Daten erhebt, warum sie den Warenkorb ändert, etc. ist alles transparent und wird Monat für Monat veröffentlicht. Gibt es mehr Transparenz? Was fehlt Ihnen hier, dass Sie hier Manipulation vorwerfen?"

dr. hugo hugo:

"Und für diese "Fälschung" können Sie uns das leiseste Indiz geben?

Oder ist die genauso aus der Luft gegriffen, wie die Definition der Mittelschicht Knapp über der Mindestsicherung? Wahr ist eher umgekehrt: Eine Familie aus zwei Eltern und zwei Jugendlichen gilt in Österreich bei einem Nettoeinkommen von knapp unter 3.000 Euro noch als armutsgefährdet."

Nun, "Hellygator" konnte oder wollte seine Behauptungen nicht untermauern. Vielmehr reagierten Community und Redaktion umgehend auf die offenbaren "Fake News" um diese als solche zu entlarven. Interessant zu erwähnen wäre in diesem Zusammenhang, wie sehr "linke Freidenker" dieser Tage Systemkritik als Angriff auf die eigenen Werte verstehen. Mag es daran liegen, dass man sich mit dem System identifiziert, sprich sehr wohl weiß, dass es sich um ein sozialistisches System handelt?

Nun hat diese Geschichte freilich einen Twist, eine Pointe die weit über solche Details hinausgeht. "Hellygator" mag zwar nicht viel Ahnung haben, aber immer noch mehr als seine Kritiker, oder die Redaktion des "Standard". Im Prinzip hat er nämlich völlig Recht. Die Statistik Austria schönt die Inflationszahlen tatsächlich und macht daraus nichteinmal ein Geheimnis. Jene geforderten Belege wären also ohne weiteres zu erbringen, was ich an dieser Stelle nachholen werde.

Um das Dokument mit dem sperrigen Namen "Standard-Dokumentation Metainformationen zum Verbraucherpreisindex und Harmonisierter Verbraucherpreisindex" zu zitieren:

"Als Mittelungsverfahren kommt derzeit nur das geometrische Mittel der Preisveränderungen zur Anwendung (Jevons Index). Tabelle 9 enthält die laut EU-Verordnung 1749/96 Anhang II erlaubten Formeln zur Berechnung der Elementaraggregate. Die für den VPI bis 2005 verwendete Methode des Durchschnittes der relativen Preise (Carli-Index) kann zu Verzerrungen nach oben führen, weshalb sie auf EU-Ebene für die Anwendung beim HVPI untersagt wurde."

Das mag zwar nach nicht viel klingen, enthält aber selbst bei oberflächlicher Betrachtung zwei essentielle Informationen.

1. Die Berechnungsmethode des VPI wurde 2005 umgestellt.

2. Führte dies dazu, und das war auch die Intention, dass die Inflation dadurch niedriger ausfällt.

Im politischen Kontext wäre das allein schon eine Bombe, hätte irgendjemand davon Notiz genommen. Da wir aber so kompetente und kritische Journalisten haben, die unter eigener Recherche vor allem das Abtippen von Presseaussendungen verstehen, und kritisch primär gegen Kritiker sind, hat natürlich niemand jemals das Kleingedruckte gelesen. Relevante Nachrichten werden so konsequent zu Tode geschwiegen.

Was bedeutet das nun aber, jenseits des Kryptischen, konkret? Gegenüber der arithmetischen führt eine geometrische Mittelung IMMER zu einem geringerem Durchschnitt. Damit, so die Idee, könnten Substitutionseffekte abgebildet werden. Zur Erklärung: Substitutionseffekte entstehen dadurch, dass ich von einem teureren Gut weniger konsumiere, und von einem billigeren mehr. Der "Preisfux" würde also von Preisschwankungen indirekt sogar profitieren.

Da nun ausschließlich die geometrische Mittelung verwendet wird, werden also überall solche Substitutionseffekte unterstellt. Wer sich etwa das Wohnen nicht mehr leisten kann, leistet sich einfach ein neues, leistungsfähigeres iPhone, und schlägt der Inflation damit ein Schnippchen. In der Theorie!

In der Realität sind solche Substitutionseffekte eine marginale Größe, und existieren über die meisten Güterkategorien hinweg gar nicht. Es handelt sich also um eine politisch gewollte Fehlberechnung, die die Inflationsrate sinken lässt. Um wie viel, wäre die Gretchenfrage.

Um das ausführlich zu beantworten müssten wie etwas tiefer in die Literatur eintauchen, aber es gibt auf Basis von empirischen Daten auch eine einfache Antwort: ca. 0,7 - 0,9% p.a. (QED). Und das ist wahrlich keine Kleinigkeit!

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