Die Diskussion um die Briefwahl trieft nur so vor Scheinheiligkeiten und logischen Dissonanzen. Lasst uns damit aufräumen.
Vordergründig scheinen die Fronten völlig klar; es gibt einen links-Bias bei den Briefwahlstimmen, weshalb die Briefwahl von Rechten abgelehnt, und von Linken hofiert wird. Um so höher der Anteil der Briefwähler, desto besser für die Linken, bzw. schlechter für die Rechten. So die Logik.
Diese könnte aber nur Sinn machen, wenn die Form des Wählens über die politische Präferenz entscheiden würde. Wird ein VdB Anhänger Hofer wählen, nur weil er zur Wahlurne schreiten muss? Oder umgekehrt ein böser Rechter per Briefwahl dann halt doch für VdB stimmen? Natürlich nicht!
Die entgegengesetzte Kausalität ist zu unterstellen. Es ist logischer Weise eine Frage des Vertrauens ins System, die mit der politischen Präferenz einhergeht. Wer den Verdacht hegt, bei der Briefwahl könne manipuliert werden, der wird halt eher zur Wahlurne schreiten wollen.
Das ist zugleich auch die notwendige Erklärung. Denn die einstige Annahme, dass der Jet Set halt ständig auf Achse sei, und diese ÖVP Klientel(!) daher zu Wahlkarte bzw. Briefwahl neige, funktioniert schon längst nicht mehr. Weder ist sie auf die Relation VdB/Hofer bzw. links/rechts anwendbar, noch auf die 16,7% Briefwähleranteil. Auch die Plattitüde "die Menschen sind mobiler geworden" hilft da wenig. So viel mobiler etwa, dass sie es nicht mehr innerhalb Österreichs zu einem Wahllokal schaffen? Noch in den 70ern waren etwa 92% der Österreicher dafür mobil genug, denn so hoch lag damals die Wahlbeteiligung bei NR Wahlen.
Abseits der aktuellen Situation in Österreich, sind die inhärenten Probleme der Briefwahl wohl bekannt.
"Aus der Geschichte der Bundesrepublik sind zahllose Manipulationsversuche im Zusammenhang mit der Briefwahl aktenkundig. Und die Dunkelziffer ist hoch. Das Bundesverfassungsgericht hat die Briefwahl in mehreren Urteilen dennoch für verfassungskonform erklärt. Sie diene dem Ziel, eine möglichst umfassende Wahlbeteiligung zu erreichen. Die Briefwahl trage dem Grundsatz der allgemeinen Wahl in erhöhtem Maße Rechnung, so die Karlsruher Richter in einem Urteil aus dem Jahr 1981 (2 BvC 1/81). Der Gefahr von Manipulation und Missbrauch könne der Gesetzgeber auf anderem Wege entgegenwirken."
http://www.tagesspiegel.de/themen/wahlkampfbeobachter/die-wahlkampfbeobachter-29-wie-viele-briefwaehler-vertraegt-die-demokratie/8787238.html
Ganz nett auch diese Auflistung:
http://rupp.de/briefwahl_einspruch/briefwahl_wahlbetrug.html
Die Zulässigkeit der Briefwahl ist also selbstverständlich ein Abwegen zwischen Bequemlichkeit und Manipulationssicherheit. Ein Grundproblem das weit über die aktuelle(n) Bundespräsidentenwahl(en) hinaus reicht. Ein Umstand dem auch der VfGH Rechnung tragt, in dem er fordert, die Briefwahl müsse eine wohl begründete Ausnahme bleiben.
Wenn man nun einsieht, dass ein Verbot, respektive ein Zurückdrängen der Briefwahl, zu keiner (legitimen) Verschiebung der politischen Kräfteverhältnisse führen kann, dann ist der dahingehende Standpunkt der FPÖ völlig legitim - und in Übereinstimmung mit dem Spruch des VfGH.
Völlig nebulös erscheint hingegen das Befürworten der Briefwahl jenseits der begründeten Notwendigkeit. Argumente wie die Briefwahl sei schick, cool, mordern und links?! sind da wenig überzeugend. Gleiches gilt für Politiker die ausdrücklich angeben ihre Stimme selbst per Briefwahl abzugeben. Haben die am Wahlsonntag keine Zeit sich mit Politik zu befassen?! Welcher politische Vorteil ist daraus zu ziehen für die Briefwahl zu werben und sich damit in Opposition zum VfGH und der Wahlsicherheit zu begeben?
"Wenn man das Unmögliche ausgeschlossen hat, muss das, was übrig bleibt, die Wahrheit sein, so unwahrscheinlich sie auch klingen mag"
Wenn nun das Promoten der Briefwahl, und jene für Auslandsösterreicher stand nie zur Diskussion, keinen "Vorteil" bringen kann als jenen der möglichen Manipulation, dann muss hierin auch das Motiv bestehen. Dabei gilt zu bedenken, dass erst ein quantitativ hoher Anteil an Briefwahlstimmen jene Jongliermasse schafft, mit der sich realistischer Weise manipulieren lässt.