..eine 100%ige Entgegnung zur "Schweizer Märchenstunde", und einiges darüber hinaus.

https://www.fischundfleisch.com/julbing/schweizer-maerchenstunde-22477

In besagtem Artikel wird unglaublich viel Unwahres behauptet, mit Verweis auf vermeintliche "Fakten", die dann auch noch falsch zitiert werden. Bedauerlicher Weise scheint dies auch den kritischen Kommentatoren nicht weiter aufgefallen zu sein.

"Statistisch erwiesen ist jedoch folgendes: In den 70er und 80er Jahren waren die Schweiz und Österreich beim BIP-Wachstum gleich auf"

Nein, "statistisch erwiesen", was auch immer das in dem Zusammenhang heißen soll, ist dergleichen nicht. Bei einer solchen Behauptung wären die entsprechenden Daten natürlich ganz nett, die könnte man dann allenfalls überprüfen bzw. gegenüberstellen. Zumindest hätte man sich Seite 3 der Präsentation genauer ansehen sollen..

Nun, ich habe Daten zum realen BIP Wachstum:

70er (1970-1980)

Schweiz +15%

Österreich +43%

80er (1980-1990)

Schweiz +24%

Österreich +24%

90er (1990-2000)

Schweiz +12%

Österreich +28%

Fakt ist: Österreich wuchs in den 70ern 3mal so schnell wie Schweiz. In den 80ern herrschte Gleichstand, und in den 90ern wiederum ein deutlicher Vorsprung für Österreich. Seit dem Vorteil Schweiz.

Was bedeutet das nun?

Schränkt man auf den Zeitraum 1995-2015 ein, dann ergibt sich folgendes Bild:

Schweiz +42%

Österreich +41%

Seit dem EU Beitritt wuchs die Wirtschaft Österreichs also um eine Spur langsamer als jene der Schweiz. Das macht, nach aller rationalen Betrachtung, jede Diskussion darüber WIE Österreich vom EU Beitritt (im Vergleich zur Schweiz) profitiert haben soll obsolet. Zumal im Sinne der Konvergenz das relativ ärmere Österreich ja sowieso schneller wachsen hätte müssen.

Woher rührt nun der Wachstumsvorsprung Österreichs in den 90ern? Dieser beruht auf den Zeitraum 90-97. In dieser Zeit hielt sich in der Schweiz eine hartneckige Rezession / Stagnation, während in Österreich die Wirtschaft recht durchschnittlich wuchs.

Das ist interessant, denn die Schlüsselsektoren Industrie und Tourismus legten damals in Österreich einen regelrechten Bauchfleck hin. Die Beschäftigung sank (trotz Bevölkerungswachstums), die Arbeitslosigkeit legte deutlich zu, und budgetär wurde 1996 (nach einer budgetbedingten Regierungskrise und Neuwahlen) ein gewaltiges Sparpaket über 120 Mrd. Schilling notwendig. Diese Umstände machten den "Ederer Tausender" legendär, denn anders als versprochen mussten die Haushalte den Gürtel deutlich enger schnallen. Und die Reallöhne gaben gar 7% nach.

Wenn man es also nicht besser wüsste, möchte man meinen, Österreich steckte in einer weit schlimmeren Rezession als die Schweiz. Anders als es der Autor glaubt, sind BIP Zahlen jedoch keine "messbaren Wirtschaftdaten" ohne "Spielraum für Ansichtssachen", und erst recht fehlt ihnen, wie das genannte Beispiel zeigt, häufig jede Nachvollziehbarkeit. Vielmehr gibt es enorme Interpretationsspielräume die auch noch über Gebühr genutzt werden.

Wie werden etwa die hoch subventionierten ÖBB veranlagt? Streng nach dem Konzept "BIP zu Marktpreisen"? Dazu müsste die um Subventionen reduzierte Produktionsleistung den ebenfalls durch Subventionen reduzierten Produktpreisen (Fahrkarten, etc..) gegenübergestellt werden.

Stattdessen aber wird die Marktleistung einerseits erfasst, und die Subventionen werden als Staatskonsum nochmal gezählt. Der Betrieb einer Nebenstrecke, der Beispielsweise 10 Mio Euro kostet, wovon 1 Mio durch Tickets erlöst wird und 9 Mio subventioniert werden müssen, fließt so mit den vollen 10 Mio ins BIP ein, und die Gesamtsumme wird mit den günstigen Ticketpreisen diskontiert. Anders formuliert; der Personentransport ist eine gezählte Wirtschaftsleistung, das bloße Rumfahren mit dem Zug aber auch, sogar die weit größere.

Das passiert jedes mal wenn Subventionen zum Staatskonsum umgedeutet werden. Das ist methodisch falsch, und es erhöht die Wirtschaftsleistung. Gemacht wird es dennoch, bzw. wohl gerade deshalb. Und diese Unsitte hinterlässt natürlich Spuren. So weist die Schweiz für 2014 15,1 Mrd Franken an Subventionen aus, Österreich hingegen nur 0,71 Mrd. Euro(!!!). Damit käme nichtmal die ÖBB allein zwei Monate aus.

So sieht sie leider aus, die Märchenstunde. Die österreichische halt..

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julbing

julbing bewertete diesen Eintrag 09.08.2016 21:29:01

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