Das Land scheint in zwei Lager geteilt zu sein: in diejenigen, die sich für Geflüchtete einsetzen und diejenigen, die am liebsten alle Grenzen dicht machen würden und sich vor Überfremdung und Kriminalitätsimporten fürchten. Doch dabei geht in der Debatte häufig eines unter: Die, die hier neu ankommen eint vielleicht die Erfahrung schlimmen Leids, mehrere traumatische Erfahrungen und eine riskante Reise nach Europa, doch ab davon sind sie uns vielleicht ähnlicher, als wir es gerne hätten.

Sogenannte „Gutmenschen“ werden nicht leid zu betonen, wie großartig, feinfühlig, intelligent, herzlich, gebildet, sozial oder auch talentiert die „Flüchtlinge“ seien und untermauern das mit Beispielen, denen sie schon so ganz real begegnet seien. Sie fordern diejenigen auf, die lieber die Grenzen dicht machen wollen oder aber vor Vorurteilen gegenüber Immigranten im Allgemeinen und geflüchteten arabischen Muslimen im Speziellen nur so strotzen, doch mal einem solchen „Flüchtling“ live und in Farbe zu begegnen. Dann, so meinen jene beinahe euphorisch, würden sie schon merken, wie besonders und toll und freundlich dieser sei. Das mag zwar gut gemeint sein, aber erreicht eine solche Glorifizierung nicht vielmehr genau das Gegenteil?

Die Erwartungshaltung an die Neuankömmlige wird dadurch beinahe übermächtig. Sobald in den Medien von irgendeinem Menschen die Rede ist, der hier doch tatsächlich ohne nennenswerte Ausbildung angekommen ist, wird gefragt, wo das denn eine hochgelobte Fachkraft sein solle. Sobald ein hier Angekommener ein Handy klaut oder schwarzfährt, wird sein fehlendes Rechtsverständnis angeprangert und der Fall als Beleg dafür benutzt, dass diese Ausländer eben doch Deutschland zu unsicherem Boden machen würden. Zitiert werden hier gern diejenigen, die täglich all ihren facebook-Freunden mitteilen,wie wunderbar die Flüchtlinge seien. Zitiert, um mit einem Einzelfall all die positiven Darstellungen in Frage zu stellen. Gleichzeitig proklamieren auch Gutmenschen gern allerlei unüberprüftes Halbwissen wie etwa (eventuell um die Gefahren bei der Flucht über's Wasser hervorzuheben), dass Syrer ja nicht schwimmen können. (Mal im Ernst: könnten Sie – vielleicht im Besitz eines Seepferdchens - bei hohem Wellengang und eisigen Temperaturen mal kurz ans Ufer kraulen?) Ein kurzer Blick auf Googleearth könnte hier bereits weiterhelfen.

Außerdem scheinen auch viele dieser Verfechter der besonders positiven Charakterzüge geflüchteter Menschen eines zu vergessen: es gibt ihn gar nicht, diesen „Flüchtling“. Es ist keine homogene Masse, die hier ankommt und die man mit einem Stempel versehen kann. Oder anders: es wird zwar genau das getan, aber sowohl der schwarze als auch der weiße Flüchtlingsstempel trifft nur vereinzelt zu. Beginnt man, in einzelnen Aussagen „Flüchtling“ durch jedes beliebige Wort zu ersetzen, das eine Personengruppe an Hand einer einzigen Eigenschaft zusammenfasst, wird es vielleicht ein wenig einfacher, nicht zu vergessen, dass der Weg in einem Schlauchboot über's Meer weder Gehirnwäsche noch eine genetische Modifizierung darstellt. Auf der wahlweise italienischen oder griechischen Insel angekommen, werden aus dem Boot weiterhin gebildete und ungebildete, sympathische und unsympathische, einfühlsame und egozentrische, reiche und arme, intelligente und dumme, dicke, dünne, kleine und große Menschen aussteigen – und vermutlich können ein paar von ihnen, auch von denen aus Syrien, tatsächlich nicht schwimmen.

Dass die Flucht aus ihnen allen bessere Menschen gemacht hat, ist genau so eine Illusion, wie die Annahme, dass es sich bei allen um potentielle Schwerverbrecher handelt. Weil einer vor Krieg flieht, ist er noch lange kein Pazifist. Und auch in Deutschland nimmt nicht jeder jegliches Bildungsangebot wahr, das ihm nur zur Verfügung steht. Das ist auch vollkommen legitim. Denn am Ende sind wir alle eben doch nur Menschen.

In einem Punkt gibt die Autorin dieses Artikels den hier dargestellten es zu gut meinenden Gutmenschen allerdings recht: Um mit den vielen Zuwanderern zusammenzuleben, müssen wir ins Gespräch kommen und zwar nicht über diejenigen, die hier ankommen, sondern mit ihnen. Dann haben Vorurteile und Verallgemeinerungen direkt eine viel kürzere Lebensdauer. Und vielleicht ist unter den „Neuen“ ja tatsächlich die top ausgebildete Chirurgin, der nette Nachbar, der einem die Kinder abnimmt und mit ihnen Fußball spielen geht oder einfach ein neuer Kumpel, um mal ein Bier trinken zu gehen. Ganz bestimmt wird sich aber eins zeigen: dass diese Flüchtlinge auch bloß Menschen sind – mit allem, was eben so dazugehört.

5
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
5 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

Waldschrat der Erste

Waldschrat der Erste bewertete diesen Eintrag 21.05.2016 09:34:03

Grubo84

Grubo84 bewertete diesen Eintrag 17.05.2016 06:39:36

Matthias Wolf

Matthias Wolf bewertete diesen Eintrag 16.05.2016 22:49:49

fischundfleisch

fischundfleisch bewertete diesen Eintrag 16.05.2016 22:39:29

Claudia56

Claudia56 bewertete diesen Eintrag 16.05.2016 22:36:00

10 Kommentare

Mehr von Lena Reiner