„Vergessen auf der Balkanroute“ - Ich kann es nicht mehr hören. Oder lesen. Nein, diese Menschen wurden dort nicht einfach nur vergessen. Es sei denn, man begreift Vergessen als aktiven Akt des Wegschiebens, Negierens und Ignorierens.

Man evakuiert Unterkünfte in der Hoffnung, die Bewohner:innen würden einfach so verschwinden, sich quasi in Luft auflösen. Ich erinnere mich, dass wir irgendwann einmal „scherzten“, dass man den EU-Türkei-Deal nur dazu nutze, die Menschen solange auf Booten hin und her fahren zu lassen, bis möglichst viele ertrunken seien. Damals hielten wir das für irgendwie abwegig. Inzwischen bin ich nicht mehr sicher, ob in dieser Idee nicht mehr als ein Funken Wahrheit steckt.

Man baut Strukturen ab, die diesen Menschen hätten helfen können. Ganz so, als würden mit den Strukturen auch die Probleme verschwinden, zu deren Lösung sie hätten beitragen sollen. Man bearbeitet am besten auch keine Asylanträge mehr oder erschwert das Stellen eines solchen so sehr, dass kaum einer mehr gestellt werden kann oder fristgerecht eingereicht.

Narrative werden verfälscht. Das sind Flüchtlingswellen, irreguläre Migranten, sans-papiers und dabei befinden sie sich oft nur in diesem „illegalen“ Zustand, weil ihnen ein legaler Status künstlich erschwert wird. Das sind Armutsmigranten, Wirtschaftsflüchtlinge oder Zahlen in einer Statistik an illegalen Grenzübertritten. Aufnahmekapazitäten, Obergrenzen, Grenzsicherung, EU-Gelder, die auch außerhalb der EU ausbezahlt werden. Man kann das alles wunderbar in Tabellen und Grafiken darstellen.

Hauptsache, wir müssen uns nicht damit befassen, dass es um Menschen geht.

Menschen, die körperlich und seelisch Grenzen haben wie alle Menschen.

Die wir mit dieser Behandlung an ebendiese Grenzen treiben.

Diese Menschen brauchen kein Mitleid und keine Almosen. Es geht hier nicht darum, Charityevents zu veranstalten und Spenden zu sammeln. Wir müssen auch nicht jeden Einzelnen von ihnen liebhaben.

Es geht hier darum, dass diese Menschen endlich einfach nur das bekommen, was ihnen zusteht im Sinne der Einhaltung der Menschenrechte. Es geht hier um das ganz Grundlegende: Die unveräußerliche #Menschenwürde.

Und nicht zu vergessen: Das Geld ist da. Es fließen jährlich EU-Gelder in Millionenhöhe in irgendwelche Unterkünfte und Lager, teilweise grotesk aufwendige Projekte wie Zeltlager mitten im Grünen, für die man die notwendige Infrastruktur von Null an aufbauen muss. Dieses Geld könnte weitaus sinnvoller genutzt werden. Platz ist auch da. Es gibt so viele Regionen, denen junge Menschen fehlen und in denen Häuser und ganze Viertel leerstehen.

Ich verstehe immer noch nicht, was da eigentlich passiert oder: ich will es nicht verstehen.

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