Komm' ins echte Leben!

„Glorifizierung (lat. glorificare = rühmen, preisen, verherrlichen) nennt man eine in unangemessener Weise beschönigende Darstellung bestimmter Sachverhalte, die zum Ziel hat, negative Aspekte aus Vergangenheit und Gegenwart sowie die möglichen negativen Folgen zukünftigen Handelns aus den Köpfen der Menschen zu verdrängen.“

Wir kennen sie alle. Die Zeiten, in denen man durch überlastende Reizüberflutung und ausufernden Stress nicht mehr zu sich selbst findet. Jene Momente, die unsere wahren Gefühle und Betrachtungen der realen Welt töten, und uns in einen stumpfen Überlebensmodus beamen. Ja, wir kennen das all’ zu gut.

Doch alles geht vorüber, also auch jene Augenblicke, in denen wir nicht ge- sondern nur überlebt haben. Ist ja nicht tragisch, wir haben gelernt solche Moment zu ertragen. Etwas bleibt jedoch immer zurück. Es sind diese ganz kurz aufkeimende Gedanken, Bilder, die mit einer tiefen Wehmut gefärbt sind. Gefühle, die uns traurig und enttäuscht machen. Und genau hier beginnt unsere kurze Reise in die Vergangenheit.

Wir gehen für einen Moment zurück in der Zeit und erschaffen uns eine Illusion, eine glorifizierte Zeit in einer nicht genau definierten Vergangenheit, in der „alles viel besser war als heute“, eine Periode des unverfälschten Glücks, so ganz ohne Sorgen und „Herausforderungen“. In den meisten Fällen materialisiert sich in unserer Vorstellung sogar ein Ort, eine magische Zuflucht, in der wir wieder Ruhe und Geborgenheit finden und unsere Gefühle ohne Angst vor Konsequenzen leben und austauschen können.

Wenn man sich die Zeit nimmt, und die Strömungen in unserer Gesellschaft verfolgt, ich frage mich wer diese Zeit wirklich hat, stößt man immer häufiger auf ein Schlüsselwort, mit dem wir uns in weiterer Folge näher beschäftigen werden. „Entschleunigung“, oder „entschleunigtes Leben“ drückt genau das aus, was ich zuvor beschrieben habe und wonach eine wachsende Zahl von Menschen, meist vergeblich, sucht. Wir möchten unser Leben nicht mehr diktiert bekommen, sondern es selbst in die Hand nehmen, unseren Rhythmus selbst bestimmen und vor allem dann Zufluchtsorte zur freien Verfügung zur Hand zu haben, wenn wir sie benötigen. Wir möchten wieder leben, einfach und echt, ohne die verfälschte Realität, die uns durch Medien und die gierig nach Seelen jagende virtuelle Welt vorgaukelt.

Ich hatte vor kurzem ein Erlebnis, das mich wieder erkennen ließ, was unser Leben wirklich ausmacht. Ich blende 2 Wochen zurück.

Ich stehe vor einem reißenden Gebirgsfluss und überlege, von einem Ufer zum anderen zu  schwimmen. In einem Onlinegame wäre das ja keine große Sache. Ein paar Klicks, ein paar gewandte Bewegungen mit der Maus, und schon wäre ich ... Doch, was vor mir geschieht ist echt. Echte Stromschnellen, eine echte Geräuschkulisse, eine echte Strömung und echte Felsen. Ich beginne schön langsam zu erkennen, dass ich im wirklichen Leben angekommen bin, und dass die Gänsehaut an meinem Rücken durchaus ernst zu nehmen ist.

Ich gleite ins Wasser und spüre die Kälte in mir aufsteigen. Auch die Strömung zeigt fühlbare Präsenz. Ich schwimme los, werde sofort nach unten gezogen, wehre mich mit Händen und Füßen, komme wieder an die Wasseroberfläche, werde abgetrieben, kämpfe mich weiter, und erreiche schließlich mit letzter Anstrengung das gegenüberliegende Ufer. Ich krieche an Land und bin überwältigt von meinen Gefühlen. Das war ja echt geil! Ich habe es geschafft, kämpfte mit der Natur, und fühlte seit langem wieder einmal, etwas Echtes, Unverfälschtes getan zu haben. Etwas, wozu man keinen Anzug benötigt, auch keine ausgefeilte Rhetorik, oder gar etwas, bei dem man auf sein Äußeres achten muss. Einfach ins kalte Wasser springen, und um sein Leben schwimmen. Das war’s.

War die Welt früher nun wirklich besser? Hatten unsere Eltern oder Großeltern wirklich ein besseres Leben? Wäre es für uns wirklich die Erfüllung, in solchen Zeiten gelebt zu haben?

Nein, ganz sicher nicht. Trotzdem muss man den immer stärker werdenden Wunsch des heutigen Menschen nach dem entschleunigten, echten und unverfälschten Leben sehr ernst nehmen. Wir sehnen uns nach etwas, was uns echtes Gefühl, inspirierende Natur oder auch tiefe Geborgenheit gibt, etwas, was wir als „zuhause“ bezeichnen. Dazu müssen wir nicht in die Vergangenheit reisen, wir müssen auch nicht lebensmüde in reißende Gebirgsflüsse springen, wie ich es getan habe. Es genügt, sich mit Menschen, Dingen und Orten zu umgeben, die uns gut tun, die uns wieder Demut lehren und uns daran erinnern, was Leben wirklich ist.

Treffen wir uns doch wieder mit echten Menschen, die unsere Werte teilen, hören wir doch wieder die Musik, die unsere Gefühle in Wallung bringen, und machen wir doch wieder einmal verrückte Dinge, die wir unseren Kindern nie erlaubt hätten. Das ist das Leben, eben! Das ist, worauf es ankommt. Und das ist auch, was heutzutage jeden Tag möglich ist.

Komm’ zurück ins echte Leben!

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Ich mag doch keine Fische vergeben
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irmi

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fischundfleisch

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lexago

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