Me and Barbara McGee
Talk-Shows, besonders jene am Nachmittag, sind essenzieller Bestandteil unserer Kultur. Schon seit Jahrtausenden. Saß man bei unseren germanischen Vorfahren noch medial relativ unbeachtet beim "Thing" zusammen, so hat man heute bereits die Möglichkeit bei Barbara Karlich Platz zu nehmen. Wenn man eingeladen wird ...
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19:30 und ich sitze vor einem Spiegel und werde geschminkt. Hollywood, oder noch lukrativer, Bollywood?Nicht ganz, eigentlich nicht einmal annähernd. Leider.
Rückblende.
Vor 2 Wochen erhielt ich auf Facebook eine sehr formelle Nachricht, die sich, zusammengefasst, etwa so liest: „Komm zu Barbara Karlich!“. Mein erste, unbritische Reaktion darauf: Waaas? Ich muss gestehen, dass ich meinen intellektuellen Horizont bisher nicht auf jene schon erwähnten Talkshows am Nachmittag erweitert hatte. Grosser Fehler, Freunde. Grosser Fehler!
Also war ich einigermaßen schockiert und irritiert, dass ich dieser Kultur jetzt auf so brutale Weise zugeführt werden sollte. Aber was tut man nicht alles, um Andy Wahrhol's "15 minutes of fame" zu konsumieren. Ich versuchte Rechtfertigungen zu formulieren, warum ich mich auf dieses Experiment einlassen sollte.
„Ich war jung und brauchte das Geld“ wurde schnell verworfen, stattdessen wollte ich diese anstehende Erfahrung unter „Leben unter Extrembedingungen“ ad acta legen. Zwar hatte ich früher dabei eher an den Kilimanjaro gedacht (Steve Kroeger weiss warum), aber die Barbara Karlich Show sollte man in diese Kategorie, ein wenig Fantasie vorausgesetzt, auch zuordnen können.
Gut. Rechtfertigung gefunden. Und jetzt?
Ich antworte dem Redakteur, der mich auf Facebook gefunden hatte und bekunde mein Interesse. Schnell wird ein Termin in den Rosenhügel Studios vereinbart, und ich finde mich in einem Gespräch wieder, das mich auf die Sendung vorbereiten soll. Das unverfängliche Thema „Altersunterschied in Beziehungen – Problem oder Chance“ bietet reichlich Stoff zu plaudern, überraschenderweise auch aus meinem eigenen Leben
Approved. Offensichtlich habe ich mich in diesem kleinen Gespräch als qualifiziert für diese grosse Aufgabe erwiesen, da ich am nächsten Tag eine offizielle Einladung zur Show erhalte. Und eine „Show“ sollte es wirklich werden. Indeed. „A small step for me, but a huge leap for my kind of mankind“, ... oder so ähnlich hätte wohl Neil Armstrong an meiner Stelle formuliert (und wäre aus der Mondkapsel gestolpert).
Wieder zurück in die Gegenwart. Eine professionelle Maskenbildnerin bildet meine Maske und schön langsam wird es ernst. Ernst ist übrigens der Verkabelungsexperte, der mein Micro über verschlungene Wege unter meinem Hemd zur richtigen Stelle führt. Seine Arbeit macht ihm offensichtlich Spass, als er den Sitz des Mikrophones nochmals mit beiden Händen überprüft.
Auch wenn ich im Vorfeld anderes gehört hatte: Die Verpflegung der Showgäste ist exzellent, die Chips sind frisch und das stille Wasser ist das beste seines Jahrgangs. Auch der Vertrag, den ich noch schnell unterzeichnen muss, ist launig formuliert, und bietet viel Spielraum für Interpretation. Leider muss ich der Kulinarik und der Juristerei schnell entsagen, denn meine Zeit ist gekommen.
Ein kurze Studioprobe, eine an mir vorbeihastende Barbara Karlich in entzückendem Plüschbademantel, dann bin ich bereit zu sterben. Mein Betreuer führt mich noch in die Zeichensprache des Backstage Daseins ein: „Erst wenn ich sag' Jetzt, ist's Jetzt! Verstanden?“ Ich nicke. Dann öffnet sich eine Tür, ich werde mit massiver Beleuchtung schockgefroren, und erlebe so etwas ähnliches wie eine Außerkörperliche Erfahrung (AKE, Google hilft bei der Suche).
Jetzt!
Ich betrete das, mit erwartungsvollem Publikum gefüllte, Studio. Ein gekonntes Lächeln zu Barbara Karlich, dann nehme ich Platz. Wenige Minuten vor der Show hatte ich noch erfahren, dass der ursprüngliche Titel in den wohl publikumswirksameren Reisser „Ich angle mir einen reiferen Mann“ geändert wurde. Sollte mich das verunsichern?
Zwei meiner Mitdiskutanten haben schon die Basis für einen guten Einstieg gelegt. Eine scharfzüngige Kabarettistin, im Leben wie auf der Bühne, unterhält das Publikum mit ihrer unglaublichen Rhetorik, die neben mir platzierte Tirolerin, etwa im selben Alter wie ich, schlägt eher sanftere Töne an.
Bunter wird die Runde dann durch:
1. Einen Oberösterreicher, dem die gute Luft in seinem Bundesland zu einem unglaublich vitalen Aussehen verholfen hat.
2. Einen junggebliebenen Unternehmer, der seine Lebensfreude durch die Farbkombination seiner Kleidung ins unermessliche verstärkt.
3. Eine angehende Schauspielerin, die durch die Sendung von Ihrer Einstellung, nur gleichaltrige Partner zu wollen, geheilt wird.
4. Eine seeehr junge Dame, die durch schlechte Erfahrung mit jungen Männern endlich Weisheit erlangt (Je älter desto besser – ich konnte nur zustimmen.)
Und dann übernimmt Barbara und versetzt das Publikum in Ekstase. Schwarz steht ihr gut - besonders Ihr schwarzer Humor, der Sie auch gleich dazu verleitet, mich nach der Anzahl meiner bisher konsumierten Beziehungen (Frauen?!) zu fragen. Auf mein Zögern greift Sie, ganz in Meistermanier, unterstützend ein: „Eher 20 oder eher 300“. Ich bin nicht gut in Mathematik, deshalb enthalte ich mich einer direkten Antwort. Jedenfalls ist der Funke übergesprungen, und es entwickelt sich ein offener Schlagabtausch mit leichten Vorteilen für die anwesenden Frauen. Wie im wirklichen Leben eben.
In der Pause werden wir ganz professionell gelobt und auf das Kommende vorbereitet. Teil zwei der Show unterhält das Publikum folgerichtig daher noch besser. Nichts Relevantes wird zum Thema „Reife Männer“ ausgelassen, natürlich werden auch Bereiche wie „Altersheim“, „Manneskaft“ und natürlich „Demenz" in allen Details untersucht. ORF ist immerhin Bildungsfernsehen.
Ich halte mich gut, zumindest für jemanden, der ob seines biblischen Alters schon mit drei Beinen im Grab zu stehen scheint. Nervös macht mich nur die Androhung von Barbara der Unwiderstehlichen, dass diese Show bald auch wirklich im Fernsehen zu sehen sein wird. Das hatte mir niemand vorher gesagt.
Die Show endet, wie sie begonnen hatte, mit tobendem Applaus des inzwischen routinierten Publikums. Barbara verabschiedet sich persönlich von jedem ihrer Gäste, und die Putzfrauen warten schon, um sauber zu machen. Alles ist so, wie es sein soll. Ich werde noch in ein Taxi verfrachtet und nach Hause geschickt.
Und wie geht es jetzt mit meiner aufstrebenden Karriere weiter. Muss ich mich jetzt durch die Betten der großen Filmstudios schlafen? Endlose Dinnerparties in Los Angeles und Hollywood? Nebenjobs als Kellner bis zum großen Durchbruch? Wunderbar erfrischende Tablettencocktails für endlose Nächte in Vorzimmern der Besetzungsbüros? Oskar?
Nein.
Ich werde, selbstgewählt, wieder in dieser großen Versenkung verschwinden, die man unweigerlich erlebt, nachdem die berühmten „15 Minutes of Fame“ vorbei sind.
So long, Barbara McGee, so long Hollywood. Jener Oskar aus meinem bevorzugten Wiener Kaffeehaus, ja der griesgrämige Kellner, schlägt seinen Kollegen aus Hollywood allemal.