Self-hacking: „Ich sage dir, wie es mir geht und du sagst mir, wer ich bin!“

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Wir hinterlassen immer mehr digitale Spuren. Der neueste Trend heißt „Self-hacking“. Auf einer wachsenden Zahl von Websites geben die Nutzer Daten über ihre Gesundheit, ihre Körperfunktionen und ihr psychisches Befinden ein, lassen sich ihr Profil erstellen und vermessen sich schließlich selbst. Self-hacking: Was haben Sie davon?

Daten sind das neue Öl

Wir hinterlassen Spuren. Diese Daten werden gesammelt. Big Data ist allgegenwärtig und allgegenwärtig ist auch die Erkenntnis, dass Big Data auch Big Money bedeutet. Meint, dass sich die Daten und das Wissen um zukünftige Muster im Verhalten von Menschen zu Geld machen lassen. Bestes Beispiel: Facebook – in zehn Jahren aus dem Nichts zu einer der erfolgreichsten Firmen der Welt aufgestiegen, mit einem Produkt, dessen Wert hauptsächlich darin besteht, unzählige Familien- und Katzenfotos, Updates von Urlaubsbildern, Essgewohnheiten, Nachrichten und Likes zu posten. Algorithmen im Hintergrund sorgen dafür das Firmen wie Amazon und Co immer besser unsere Gedanken lesen können und uns maßgeschneiderte Kaufangebote per Mouseclick bescheren.

Quantifiedself oder Self-hacking

Der Trend begann in den USA ca. 2008. Auf Plattformen wie Moodscope kann man in regelmäßigen Abständen seine Stimmung bewerten und anschließend in Stimmungskurven darstellen lassen. Quantified Mind wiederum stellt eine Reihe kognitiver Tests bereit und lädt dazu ein, selbständig kleine Experimente durchzuführen, ob die eigenen Leistungen mit der Tageszeit, dem Kaffeekonsum, vorheriger Meditation oder Sex zusammenhängen. Unzählige andere Anwendungen ließen sich hier noch erwähnen.

Was aber bewegt Menschen eigentlich dazu, sich von A bis Z zu vermessen?

Vielen geht es einfach darum, sich selbst besser zu verstehen und Zusammenhänge zu erkennen. Für andere sind die Messungen ein Hilfsmittel, um Ziele zu erreichen und sich Fortschritte dabei auch grafisch vor Augen zu führen. So nutzen sie die Angebote, um ihre Fitness zu steigern, effizienter abzunehmen oder ihre Schlafqualität zu verbessern. Für manche steht der Austausch mit Gleichgesinnten und Vergleich von Messkurven im Vordergrund – und der eine oder andere hat vielleicht einfach nur Spaß an der Statistik.

Und der Datenschutz?

Letztlich muss jeder Nutzer selbst entscheiden, was er über sich veröffentlichen möchte. Wichtig ist in jedem Fall, sich über die Datenschutzbestimmungen der einzelnen Anwendungen gut zu informieren. Dazu gehört zum Beispiel, welche Daten öffentlich zugänglich sind und ob Daten an Dritte weitergegeben werden, denn manchen Institutionen haben großes Interesse an solchen Daten. Dazu zählen die Entwicklerfirmen der Tools selbst, Werbeanbieter, IT-Firmen sowie Pharma- und Medizinunternehmen. Manche Kritiker befürchten auch, dass Krankenkassen oder (zukünftig) Arbeitgeber Zugang zu den Gesundheitsdaten im Netz erhalten könnten, was für die Betroffenen zu erheblichen Nachteilen führen könnte.

Was früher das Tagebuch heute Applikationen?

Das Interesse an sich selbst, die eigene Entwicklung, Überlegungen zu Sehnsüchten und Visionen haben früher Menschen in eigenhändig geschriebenen Tagebüchern festgehalten, um zu heimeligen Stunden, sie aber und aber durchzulesen. Ein Blick in Tagebücher anderer galt als verpönt und bei Jugendlichen gar als Todsünde, wenn Eltern sich in Momenten der Verzweiflung unerlaubterweise Einsicht in die literarischen Ergüsse heranwachsende Seelen verschafften. Die grafische Aufbereitung eigener Entwicklung in Kurven und Tabellen scheint ein besonderer Anreiz zu sein, das Innerste öffentlich zur Verfügung zu stellen. Aber ließen sich Tabellen und visuelle Gestaltung im Zeitalter aller graphischen Möglichkeiten in PC und Co nicht auch anonym und ohne Einsicht des world wide web, nur für mich persönlich anfertigen?

Selbstbeobachtung auch anders

Möchten wir uns selbst nur noch in Formen von Kurven, Zahlen und Grafiken sehen? Wird die Verführung des digital aufbereiteten Optimierungs- und Effizienzzwangs zur Falle? Selbstbeobachtung kann ein positiver Wirkfaktor sein. Sie kann Hoffnung geben und Motivation erhöhen. Auch der Austausch mit anderen ist für viele hilfreich. Reicht dafür nicht auch einfach ein gutes Gespräch unter Freunden? Oder wenn es einen hohen Leidensdruck gibt Gespräche mit Psychotherapeuten im Einzel- oder Gruppensetting? Im Netz hat man zugegebenermaßen gleich eine ganz andere Reichweite, ohne dafür auch nur einen Schritt außer Haus gehen zu müssen.

Digital-Detox-Tourismus

Anwendungen zur digitalen Selbstvermessung verführen jedoch auch noch einmal mehr dazu, noch mehr Zeit vor Laptop und Co zu verbringen – also mehr desselben. Dafür gibt es aber auch gleich ein passendes Angebot zur sogenannten Entnetzung. Digital-Detox-Tourismus ist ein hochexklusives Produkt, das sich wiederum direkt an die hochvernetzten Eliten wendet. Ähnlich der Mayer Semmel- Kur. Man zahlt horrendes Geld dafür, dass man Dinge einfach weglässt oder sich weniger zu Gemüte führt. Das natürlich in einem netten Ambiente, sonst würde sich der Preis ja gar nicht rechtfertigen. Und wieder ist ein neuer Wirtschaftszweig entstanden. Verrückt eigentlich.

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