Ich bin zur Psychotherapie gegangen. Um mich noch mehr mit mir, in mir und um mich herum auseinanderzusetzen. Um mich im Kreis zu drehen bei dem Versuch mir selbst in den Schwanz zu beißen. Mich selbst am Schlawittchen zu packen und endlich mal festzunageln und zu fragen: Was willst du denn in diesem Leben? Es wird nämlich langsam Zeit das zu wissen. Eigentlich hätte ich es schon von Anfang an wissen sollen. Ich kann nur sagen: „Ich habe mir als Kind schon viele Gedanken gemacht und wusste schon als Kind nicht, wohin damit.“
Wohin damit? Ich bin ein volles Fass. Ich bin schon als volles Fass auf die Welt gekommen und würde mich so gerne entleeren. Dann such ich mir leere Menschen und versuche sie zu befüllen. Daran scheitere ich stets. Obwohl. Vielleicht tu ich sogar was rein in die anderen aber deshalb wird es bei mir nicht leerer. Es bleibt so gefährlich einen Millimeter über dem Rand. Kurz vorm Überlaufen. Vielleicht sollte ich es mal überlaufen lassen?
Das einzige was hilft ist Ablenkung. Oder tot stellen. Oder essen, trinken, schlafen, essen, trinken, schlafen, essen, trinken, schlafen.
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Danke!
Genug Input für den Rest meines Lebens. Überfüllte kleine Welt.
Die gesamte Therapie über habe ich versucht meinen Therapeuten davon zu überzeugen, dass ich ein bisschen irre bin. Es hat nicht funktioniert. Er hat mich zu sehr im Kontrast zu seinen anderen Klienten gesehen. Insbesondere zu der hoffnungslosen Person in der Stunde vor mir. Im Gegensatz zu ihm war ich sozial, jung, gut aussehend, frisch, intelligent, humorvoll. Gefühlt hab ich mich gegenteilig aber das war dem Therapeuten egal. Der hat nur geglaubt was er gesehen hat. Der Arsch. Irgendwann hab ich mich dabei erwischt, die Geschichten auszubauen, aufzubauschen, hinzubiegen. So dass sie viel dramatischer aussahen, als sie tatsächlich waren. Aber nicht mal das hat ihn beeindruckt. Er fand mich immer toll und ein bisschen langweilig. Ich habe ihn um den Finger gewickelt. Verdammt. Und dafür hab ich 90 Euro die Stunde bezahlt. Abwickeln ist viel schwieriger als Aufwickeln. Weil ein Gegenüber immer lieber die guten Sachen glaubt als die Schlechten. Das erklärt auch, warum man sich bei anderen nie Sorgen um ihre Zukunft macht, bei sich selbst aber die schlimmsten Existenzängste züchtet. Beim Gegenüber sieht immer alles viel runder aus. Man stülpt dem eine Biographie über und bringt Dinge miteinander in Verbindung. Sucht Logische Zusammenhänge im Werdegang und interpretiert die eine Information mehr, die andere weniger. Je nachdem wie es am besten klingt hämmert und klebt man einen Sinn aus vielen Einzelteilen zusammen. Und am Ende ist das Ganze mehr als die Summe seiner Teile. Bei sich selber kann man das nicht machen, man kennt sich ja.
Gegen Ende der Therapie, kurz bevor ich aufgegeben habe, fiel mir eine Geschichte aus meiner Kindheit ein, die das Ruder noch hätte umreißen können. Dachte ich zumindest. Triumphierend mit meinem Kindheitsjoker in der Tasche lief ich die drei Stockwerke zur Praxis hoch. Wie jede Woche kam mir jener Herr in schwarz-weiß entgegen, der für schlechte Luft im Raum sorgte. Eigentlich diente meine Therapiestunde nur dazu die schlechte Luft des Vorgängers zu vertreiben. Nach mir war alles wieder frisch und fröhlich.
Aber nicht mehr lang! Ha! Jetzt ich!
Ganz beiläufig webte ich meine echte Horrorgeschichte in die Therapiestunde ein und tat so als wüsste ich gar nicht, dass diese mein Leid und meinen Wahnsinn auf den Punkt brachte. Die wirklich Kranken wissen schließlich auch nicht, dass sie wirklich krank sind!
„Einmal, ich war ungefähr sechs, spielte ich mit meiner Cousine im Wald. Ich musste aufs Klo und da das Haus relativ weit entfernt war und ich der Natur immer schon sehr verbunden, verrichtete ich mein kleines Geschäft in den frischen Erdboden hinein. Ich guckte zu wie mein warmer Urin in den Boden sickerte als plötzlich eine Zecke, die zufällig an meinem kleinen Bach vorbei kam, meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Sie blickte mir ins Gesicht, dann blickte sie auf mein nacktes Geschlechtsteil. Und ohne zu Fragen krabbelte sie an mir hoch und in mich hinein. In meine Scheide hinein. Ich bekam Panik und rannte um mein Leben zu meiner Großmutter um ihr hitzig und mit einem Bein schon im Auto für den Weg ins Krankenhaus, zu erzählen was gerade passiert ist. Doch sie glaubte mir nicht. Stattdessen schmierte sie mir Topfen in die Unterhose und versicherte mir, dass ich nur an einer gewöhnlichen Blasenentzündung litt. Der Topfen sollte die Entzündung lindern. Von meinem 6. bist zum 12. Lebensjahr war ich davon überzeugt, dass eine Zecke in mir hauste. Sie war nicht mein Freund. Sie war mein Feind. Von Zeit zu Zeit meldete sich die Zecke und schabte mit ihren kleinen Zähnen an den Innenwänden meiner Scheide oder gelegentlich auch meines Afters denn sie war mobil. Dieser Gedanke löste die schlimmste Panik in mir aus. Jedes mal wenn ich es spürte musste ich schreien und losrennen. Ich konnte es jedoch niemanden erklären denn niemand glaubte mir. Jahrelang!“
Bäm!
Mein Therapeut fand die Geschichte weniger aussagekräftig als erwartet. Ich ging nie wieder zu ihm.
Ich bin in den Bergen aufgewachsen aber das macht meine Kindheit noch lange nicht idyllisch. Mein Vater und meine Mutter haben sich in Wien beim Studium kennen gelernt. Er kam gerade von einer Weltreise wieder, über die er immer gerne und viel erzählte und von der wir immer gern und viel hören wollten. Meine Mutter lebte mit ihrer Mutter in einer kleinen Wohnung und, wenn ich mich nicht irre, schliefen sie sogar in einem Raum. Aber vielleicht täusche ich mich auch. Auf jeden Fall lebten sie auf engen Raum ein Leben zu zweit obwohl sie sich nicht ausstehen konnten. Es ist ein bisschen schade, da ich glaube, dass sowohl meine Mutter als auch meine Großmutter (nicht die mit dem Topfen!) an sich gute Menschen sind. Doch die Kombination der beiden als Mutter und Tochter war vollkommen verkehrt. Meine Großmutter ist eine faire, manchmal harte, ein bisschen herrschsüchtige Frau. Selbstmitleid ist ein Fremdwort und wozu die Welt Psychotherapeuten oder ein Horoskop braucht wird sie nie verstehen. Nichtmal ansatzweise. Sie versteht es wirklich nicht. Für uns Kinder war unsere Großmutter ein Segen. Sie sorgte für uns, schickte uns Pakete aus der Stadt in die Einöde und holte uns sooft es ging vom Berg nach Wien. Die Stadt kam mir vor wie ein Vergnügungspark und ich konnte nicht verstehen, warum erwachsene Menschen Rolltreppen bauten und benutzten. Das kam mir so herrlich unvernünftig und faul vor. Und unvernünftig und faul waren doch nur Kinder! Das entsprach zumindest meinem Weltbild, dass fast ausschließlich meine Eltern prägten. Da wir abgeschieden von der Außenwelt auf diesem Berg hockten, waren meine Eltern zu einem sehr großen Teil für mein Weltbild verantwortlich. Leider ging es meinen Eltern nicht gut und leider konnte ich mich aus dem Beziehungsdilemma meiner Eltern nicht wirklich entziehen. Dort oben gab es nichts außer Natur und Tiere. Das waren nicht nur meine besten Freunde. Ich war die Natur selbst und das Meerschwein Judy war das liebste Lebewesen auf Erden.
Als Judy starb kaufte meine Mutter ein neues und setzte es ohne mich darüber zu informieren, in den Käfig. Ich konnte nicht traurig sein weil mir dieser schnelle Ersatz jeglichen Grund zur Trauer nahm. Das war meine erste Erfahrung mit Tod und so wusste ich, dass es keine Leerstelle im Leben gibt, die nicht gefüllt werden kann. Aha. Im Laufe der Jahre folgten noch viele weiter Judys doch meine Liebe nahm ab und irgendwann hab ich angefangen sie zu objektivieren. Da ich den Kosmetiktests der Herstellerfirmen nicht traute, probierte ich jedes gefährlich erscheinende Produkt in unseren Badezimmer an Judy IV. aus.
Der Tod spielte eine große Rolle in meiner Kindheit. Abends im Stockbett, ich lag in der unteren Etage, hatte ich eine immer wiederkehrende Phantasie. In meiner Vorstellung lag ich in einem durchsichtigen Sarg in einem noch offenen Grab. Meine Familie rundum betrauert meinen Tod und wirft Blumen und Erde zu mir herunter. Indem realisiere ich, dass ich nicht tot sein kann. Immerhin erkenne ich meine Familie und nehme mich selbst noch wahr. Allerdings kommt die Erkenntnis zu spät, da der Sarg bereits unter der Erde verschwunden ist. Diese Phantasie plagte mich Abend für Abend und begleitete mich in den Schlaf. Ein triumphierendes Gefühl spielte allerdings auch mit. Als Jüngste von fünf Kindern hatte ich es oft schwer mich durchzusetzen und fühlte mich grundsätzlich unfair behandelt. Sie in dem Moment meines Begräbnisses trauern und weinen zu sehen gab mir auch ein kleines Hochgefühl. Tagsüber, wenn ich mich wieder einmal ärgerte, flüsterte ich mir dann oft zu: „Am Abend kannst du sie ja wieder heulen sehen“.