Das perfekte Opfer

Es ist ein alter Hut, dass die Rolle des Opfers keine schöne ist. So unschön, dass unter Kindern "du Opfer" als Beleidigung gang und gebe ist. Das Unschöne an dieser Rolle ist, abseits dessen, dass man ja Opfer von irgendetwas wurde, beispielsweise einer Naturkatastrophe, einer Vergewaltigung oder eines Krieges, dass wir verdammt viele Ansprüche an diese Opfer stellen, damit sie unserer Hilfe, ja auch nur unseres Mitgefühls "würdig" sind.

Als Feministin kenne ich dieses, meiner Meinung nach unwürdige, Verhalten im Bezug auf Vergewalitgungsopfer in und auswending. Da ist das klassische Victimblaming, mit all seinen Selber Schuld's. Selber Schuld, wenn sie sich so anzieht, jemanden anlächelt, Alkohol trinkt, dort spazieren geht, danach duscht und und und. Es ist aber nicht nur das alleine, richtig unschön wird es wenn Menschen Opfer einer Vergewaltigung werden, die einfach nichts in die simple Welt passen: Beispielsweise Männer, oder Prostituierte, oder auch einfach hässliche Frauen.

Die werden dann oft gleich doppelt angegiftet und sehr schnell mit Verleumnungen konfrontiert. Einfach nur, weil sie nicht das Bild der hübschen, unschuldigen Damsell in Distress erfüllen.

Die Wahrheit ist, alle möglichen Leute werden Opfer, nicht nur schöne Menschen, nicht nur einfache Menschen und nicht nur unschuldige Menschen, ja nicht einmal nur gute Menschen. Opfer von etwas zu werden macht niemanden zu einem guten Menschen, aber das ändert nichts daran, dass der Mensch Opfer von Unrecht wurde und es entbindet uns (als Menschen mit einem Sinn für Gerechtigkeit) nicht davon zu versuchen zu helfen und zu versuchen das widerfahrene Unrecht wieder gut zu machen.

Aktuell gehen mir da vor allem die Flüchtlinge aus dem IS-Krieg durch den Kopf. Denn die Opfer dieses Krieges werden hier auch wieder mit den vielen Fragen konfrontiert, ob sie schon "die richtigen Opfer" sind. Aus meinen Beobachtungen der aktuellen Debatte, entnehme ich, dass das ideale IS-Opfer am besten weiblich, unter 10 Jahre und christlich ist. Zumindest eines der Kriterien sollte erfüllt sein, sonst scheinen viele Menschen ihr Mitgefühl sehr schnell zu hinterfragen.

Tatsache ist, in den IS-terrorisierten Gebieten herrscht ein blutiger und grässlicher Krieg. Die Terorrmiliz, die ihn führt, rekrutiert sich auch zu einem nicht unerheblichen Anteil aus Europa. Die Beslastung durch die Flüchtlingsströme trifft primär die nahegelegen Länder, aber ja, einige flüchten auch Richtung Europa in der Hoffnung auf Sicherheit und eine Möglichkeit sich ein neues Leben aufzubauen. Jeder einzelne Mensch, der da kommt, hat seine eigene Geschichte und niemand davon wird automatisch lieb, nur weil er Opfer des IS wurde. Trotzdem ist es unsere Pflicht Hilfe zu leisten, wenn wir können. Und das können wir. Das ist unsere erste Pflicht, bevor wir anfangen, Leute nach ihren demographischen Daten abzuurteilen.

Wir sehen viele alleinstehende Männer? Das kann sehr viele Gründe haben. Ja, es gibt sicher Leute, die ihre Familien im Stich gelassen haben und allein geflohen sind. Es gibt auch solche, deren Familien die schrecklichen Bedingungen der Flucht nicht überlebt haben. Es gibt auch solche, deren Familien in einem Gasthof in einer Landgemeinde untergekommen sind, während die Männer in diesen Gemeinden oft nicht willkommen sind und daher gesammelt in den großen Heimen oder Zeltlagern enden. Mit dem Individuum zu reden und seine Geschichte zu erfahren ist der einzige Weg, sich da ernsthaft ein Urteil bilden zu können.

Die beschweren sich über die Unterbringung anstatt permanent volle dankbar zu sein? Aha. Und so ein Vorwurf von Österreichern, einem Volk, das erst lebt, wenn es sudern kann! Es ist das natürlichste Verhalten der Welt, seine Situation verbessern zu wollen. Und unmittelbar, ist ein überfülltes dreckiges Klo auch für jemanden, der grade seinen Kopf aus der IS-Schlinge gezogen hat, lästig.

Niemand hält es aus, 24 Stunden am Tag theatralisch traumatisiert zu sein. Irgendwann muss man wieder einen Alltag finden, und sich um die kleinen Lästigkeiten kümmern, anstatt an die großen Traumata zu beweinen. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass diese stattgefunden haben.

Da sind Kriminelle dabei, sogar Terroristen! Ja, davon gehe ich aus, denn diese haben wir in unserer Gesellschaft ja auch. Warum sollten die Syrer so viel bessere Menschen sein? Aber, das ändert nichts daran, dass wir nicht alle deswegen vorverurteilen können. Da hilft nur genaues hinschaun. Viele Übersetzer, damit Kommunikation möglich wird und die Menschen zum Ausdruck bringen können, wenn ihnen ein Kollege suspekt ist (kann mir nicht vorstellen, dass die Flüchtlinge größtenteils viel für den IS übrig haben). Sicherheitspersonal, das nicht als Gefängniswerter fungiert, sondern eben wirklich für Sicherheit sorgt, also auch ein Ansprechpartner für die Flüchtlinge ist, wenn innerhalb der Unterbringungen Verbrechen geschehen. Sicherheitspersonal, dass die umliegende Bevölkerung vor Verbrechen schützt, aber nicht vor dem Anblick von Asylwerbern.

Polizei haben wir ja genug, angesichts der Hundertschaften, die wir entsenden können um Häuser zu räumen oder Faschistenbälle zu bewachen. Dann haben die Bilderberger in Telfs halt nur 20 Polizisten, wenn wir die anderen 780 aufgrund der Notsituation woanders brauchen. Ich seh da viel Einsparungspotential.

Wie immer gibt es keine einfachen Lösungen. Pauschalisierungen helfen niemand. Weder die Darstellung von Asylwerben als einem Haufen Krimineller, noch die Darstellung von Flüchtlingen als irgendwelchen Halbheiligen. Genaues hinschaun und reden mit den individuellen Menschen, dass ist das einzige was funktioniert.

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