Diese Nachricht tauchte gestern im Newsfeed eines meiner alten Pre-Facebook Social Networks auf. Wow, wieder an diesen skurrilen Typen erinnert zu werden, war wie eine Zeitreise. Eine Zeitreise in eine wesentlich sorglosere Zeit. Ich muss an dieser Stelle ein wenig ausholen, denn Jack Chick dürfte hierzulande nicht vielen vielen ein Begriff sein:

Jack T. Chick ist ein US-amerikanischer evangelikaler Fundamentalist, der seine extrem reaktionären Ansichten in Form von kuriosen kleinen Comic Traktaten unter die Leute brachte. Diese Comics (Chick Tracts) sind auch alle schon seit vielen Jahren auf einer Website einsehbar. Sie haben meistens den gleichen Verlauf, jemand tut etwas, was Chick unmoralisch findet (also etwa katholisch sein oder Halloween feiern), findet dann sein Ende und steht dann einer unheimlichen gesichtslosen Herrscherfigur gegenüber, die den Menschen dann in die Hölle verweist, weil er sich nicht dem wahren Glauben (also diesem Chick evangelikalen Christentum) angeschlossen hat.

Ich bin auf die Dinger vor mehr als 10 Jahren gestossen, weil ich damals schon begeisterte Rollenspielerin war. Dieses recht nerdige Hobby wird zwar sicherlich oft belächelt, aber äussert selten wirklich angefeindet, umso überraschter waren wir damals, dass dieser Chick dem Rollenspielen, welches er als direkten Weg in den Satanismus und in die Abgründe der Hölle sah, sogar zwei seiner Strips gewidmet hatte. Die Werke waren von einer geradezu niedlichen Naivität geprägt. Einer stellte dar, wie jemand mit einem Zauberspruch, denn er beim Rollenspielen gelernt hat, seine Eltern verhext. Wir Spieler haben selten so gelacht. Die Vorstellung, dass jemand glauben könnte, beim Rollenspielen könnte man reales Zaubern erlernen und dann mit Fulminiktus Donnerkeil und Ignifaxius Flammenstrahl die Innenstadt in Schutt und Asche legen, war einfach zu drollig.

Von einem morbiden Amüsement gepackt habe ich damals als Teenager sogar das Background Propaganda Material über Rollenspiele auf der Website von Jack Chick gelesen. Dort warnte er dann ganz besonders eindringlich vor einem meiner Lieblingsspiele „Call of Cthulhu“, weil es angeblich der Verehrung realer Dämonen (der großen Alten) diene. Detailreich schilderte dieser gläubige Christ da die Gefahr, die von diesen (von ihm aus gesehen) real existenten Monstrositäten ausging.

Ich saß fassungslos kichernd vorm Röhrenbildschirm und konnte es kaum fassen, dass jemand dermassen beschränkt war und so unfähig (oder unwillens) Nachforschungen anzustellen.

Der Cthulhu Mythos war ja nun nicht irgendwas aus grauer Vorzeit. Er wurde ganz konkret in den 1920iger Jahren von dem Horror Schriftsteller H.P. Lovecraft erfunden. Der hatte seine Ängste vor dem Fremden und Unbekannten in eine Reihe furchteinflössender unmenschlicher Monstergottheiten gegossen. Er erfand nicht nur den Pantheon der Großen Alten, sondern auch einen fiktiven Bücherkanon, dessen Lektüre seine arglosen Helden in den Wahnsinn trieb. Das Herzstück dieser Bücher, war das Nekronomikon, verfasst vom verrückten Araber Abdul Al-Hazred.

Es gibt Überlieferungen, wie Lovecraft die Idee dazu gekommen ist, wie ihm jemand Abdul als typisch arabischen Namen vorschlägt, alles. Die Enstehung des Cthulhu Mythos in der Fantasie von Lovecraft ist enorm genau dokumentiert, weil er sehr viel mit anderen Autoren korrespondiert hat (diese anderen haben sein Werk dann auch weitgehend posthum veröffentlicht und weitergesponnen). Er hat sich seine Erfindungen niemals rechtlich schützen lassen, darum wurde der Cthulhu Mythos von tausenden anderen Autoren in ihre Werke eingeflochten und wuchs über die Jahre ---nichtsdestotrotz ist sein Ursprung ganz genau bekannt.

Und trotzdem sitzt da jemand in den USA und fürchtet sich bitterlich vor dem großen Cthulhu und warnt Menschen davor ja nicht das Necronomikon zu lesen. Ich kann mich noch erinnern, wie sehr ich und auch meine Rollenspielerfreunde uns damals über diese naiven Fundichristen zerkugelt haben und wie faszinierend ich es fand, dass man hier zusehen konnte wie frei erfundene Fiktion zu etwas wird, was Menschen wirklich glauben. Ich fand das damals nicht bedrohlich, nur lustig. Chick und seine menschenfeindlichen Verunglimpfungen anderer waren so plump und so weit weg, dass man großartig darüber lachen konnte.

Heute habe ich etwas mehr gelesen und die Welt ist eine andere geworden, und mir wird mulmig wenn ich daran zurück denke. Zu sehr erinnert das ganze an die Protokolle der Weisen von Zion. Die wurden auch bereits in den 1920igern als plumpe antisemitische Fälschung enttarnt und trotzdem von Nazis im Schulunterricht als Tatsachenbericht präsentiert und natürlich als Rechtfertigung für ihren Umgang mit den Juden.

Und heute? Heute explodieren die neu erschaffenen Mythen geradezu. Was früher die Kids von 4chan zum Spaß getan haben um sich über die Leichtgläubigkeit der Menschen lustig zu machen, tun nun Portale mit ganz klaren politischen Absichten um Macht für politische Fraktionen zu beanspruchen. Seiten wie Jews News oder PI, die Falschmeldungen erfinden, die dann Rechtsextreme auf der ganzen Welt teilen. Impfgegnerseiten wo sich eine leicht widerlegbare Lüge and die nächste reiht und deren Anhänger in ihrem Glauben aber wohl mindestens so abgeschottet von der Realität leben, wie die Anhänger von Jack Chicks Religion.

Es sind auch nicht nur ein paar einzelene arme Seelen weit weg in den USA, die sich vor den großen Alten und zaubernden Teenagern fürchten. Mittlerweile fürchten sich hier, direkt im beschaulichen Österreich so viele Leute vor der alten Lovecraft’schen Bedrohung des Fremden, dass wir uns am Ende von einem machthungrigen Neofaschisten regieren lassen, der uns in einen Bürgerkrieg theatern will.

Jack Chick trifft den gesichtslosen Schöpfer, den er sich erschaffen hat und ich wünschte ich könnte über seine skurile Bigotterie noch so lachen wie früher.

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sisterect

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Jake Ehrhardt

Jake Ehrhardt bewertete diesen Eintrag 25.10.2016 17:41:28

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