Vom Kleingeld

Wenn man immer wieder Becher vor die Nase gehalten bekommt, muss man sich doch fragen, nach wievielen Münzen hat man seiner christlichen Pflicht Genüge getan. Denn selbst wenn man seine Miete bezahlen, sich ein warmes Essen gönnen und vielleicht noch eine Theaterkarte leisten kann, sind einem doch die Möglichkeiten der großzügigen Gönnerschaft begrenzt, …auch wenn schon wieder an der nächsten Ecke eine besonders traurige Gestalt, vielleicht sogar mit einem theatralisch deformierten Fuß, um eine milde Gabe bettelt.

Aber kann man so einfach die Augen verschließen, gerade wenn man momentan beabsichtigt, sich im nächsten Café einen Punschkrapfen samt Melange zu gönnen, weil der Blutzuckerspiegel zu sinken droht? Natürlich ist man nicht für alle Probleme seiner Heimatstadt zuständig und die Geschichte vom heiligen Augustinus, welcher auf einen Knaben trifft, der von abertausenden an Land gespülten Krebsen wenigstens einige rettet, gilt doch nur als schöne Legende, die uns vor Augen halten soll, dass man wenigstens irgendwelche Zeichen im Leben setzen sollte…, und ich gab ja gerade der Dame, die auf einem Pappschild für ihre minderjährigen Kinder bat, zusätzlich zu ein paar Cent-Münzen einen ganzen Euro! Genauso möchte ich noch darauf hinweisen, dass, obwohl ich schon zwei aktuelle Augustine mein Eigen nenne, der südländisch anmutende Verkäufer vor dem Großkaufhaus ebenso mit einem Trinkgeld bedacht wurde... Oder der junge Punk mit dem Hund, der in der Nähe meiner Stammtrafik kauerte. Dem drückte ich sogar aus meinem frisch geöffneten Packerl vier Glimmstängel in die Hand, obschon jener Zeitgenosse wissen sollte, dass dieses Laster der Gesundheit nicht wirklich zuträglich ist, besonders wenn man die meiste Zeit des Tages auf einem kalten Steinboden sitzend zubringt!

Auf den Punschkrapfen verzichte ich doch, aber wenigstens ein kleiner Brauner muss leider wirklich sein, zumal ich gewohnt bin, in diverse Tageszeitungen hinein zu blättern, um meinen Wissensstand der Aktualität anzugleichen. Doch sogar die Magie der Worte verschont meine derzeitigen Gedankengänge nicht, zumal ich fesstellen muss, dass das Thema Bettelei desgleichen bereits in großformatige Postillen eingedrungen ist, wiewohl dort ein bisschen sanftere Töne bezüglich „Bettlermafia“ angeschlagen werden. Doch dieser Begriff ist es besonders, welcher wie ein unsichtbares Gespenst über den Köpfen vieler auf der Straße Sitzender kreist. Gibt es diese Ausbeuter wirklich, die arme oder gar behinderte Mitmenschen auf die Gasse prügeln, um dort mit mitleidsvoller Miene für ihre Peiniger zu schnorren? Sind es sogar staatenüberspannende Organisationen, die wehrlose Kinder in klapprigen Autobussen durch halb Europa chauffieren, damit diese wie hier in Wien den Bürgern Gewissenbisse machen, weil der eigene Nachwuchs in staatlichen Schulen mit soweit Bildung versorgt wird, dass dieser sich später seinen Lebensunterhalt mit ehrlicher Arbeit verdienen kann? Und entspricht es der Wahrheit, dass gerade in uns eher fremden Kulturen Vorgangsweisen toleriert werden, die mit dem Humanismus schwer in Einklang zu bringen sind?

Oder werden diese Szenarien nur propagiert, weil es grundsätzlich betroffen macht, direkt, also nicht über das Fernsehkastl, mit dem Anderen konfrontiert zu werden? Ja, wenn man etwas über die Armut auf dem indischen Subkontinent sieht, könnte es schon geschehen, dass man einen Zahlschein ausfüllt, zumal man den Nachfolgerinnen der seligen Mutter Theresa zutrauen dürfte, dass die Geldspende bei den wirklich Bedürftigen ankommt. Denn wie man ja weiß, müssen die Menschen in solchen Ländern wirklich auf der Straße leben, wenn auch die klimatischen Bedingungen mit Abstand nicht so widrig wie bei uns sind.

Aber in Österreich, in Wien? Da hat doch grundsätzlich jeder Mensch ein Dach über dem Kopf und die Wenigen, die wirklich unter freiem Himmel nächtigen, machen das doch freiwillig, weil, wie bekannte Soziologen festgestellt haben, manche obdachlosen Mitbürger sich dahingehend aus einem befremdlichen Stolz gar nicht helfen lassen möchten. Und mit dem Essen verhält es sich doch ebenso? Grundsätzlich muss doch niemand in diesem Land hier Hunger leiden. Und selbst wenn man zugeben muss, nie in einer öffentlichen Suppenküche gewesen zu sein, um die Qualität der dortigen Ausspeisung zu prüfen, wird doch das dort Gebotene sicherlich einer gängigen Qualität entsprechen und wahrscheinlich durchaus mit einer ausreichenden Nahrhaftigkeit gesegnet sein.

Doch weshalb erinnere ich mich plötzlich an eine Zeitungsmeldung aus einer Landeshauptstadt etwa 180 km donauaufwärts vom letzten Juni, wo ein Landeshauptmannstellvertreter zu einem Bettelei-Gipfel in sein Büro einlud. Stecken gar schon Politiker soweit in der Bredouille, dass diese für die Sanierung des Landesbudgets den Hut kreisen lassen müssen, weil sonst wohl gewisse Dinge nicht mehr finanzierbar sind. Beim Bundesheer scheint das ja schon offensichtlich oder im Bildungssektor. Und wenn man wirklich schon so unendlich viel mit Almosen-Empfangen verdient, wie nicht nur hinter vorgehaltener Hand kolportiert wird, dann könnte man doch tatsächlich dieser Handlungsweise eine gewisse Legitimität ankreiden.

Vielleicht geht es doch um etwas ganz anderes? Fühlt man sich vielleicht brüskiert, weil hier Menschen, die offensichtlich nicht in unserem Heimatland geboren sind, eine Tätigkeit ausüben, die wir nicht unter die übliche Erwerbstätigkeit subsummieren, weil diese Herrschaften wohl dem Finanzamt jeglichen Obolus verweigern. Vielleicht trauern wir aber vergangenen Zeiten nach, sieht man nicht oft in alten Stiegenhäusern auf Messingtafeln den Hinweis, dass hier Betteln und Hausieren verboten ist. Nur kann man möglicherweise nicht davon ausgehen, dass weitgereiste Zeitgenossen in ihren fernen Volksschulen mit der deutschen Sprache in Wort und Schrift ausreichend konfrontiert worden sind. (Sonst wären wahrscheinlich die kartonalen Hinweisschilder mit den speziellen Bedürfnissen der Hilfesuchenden nicht mit derart vielen Rechtsschreibfehlern gespickt.) Oder ist es einfach in dem heutigen Österreich, oder besser Europa nicht richtig, dass man betteln muss, denn es kann doch niemand allen Ernstes behaupten, dass es keine Sozialsysteme gibt, selbst in jenen Ländern unserer Europäischen Gemeinschaft, die es ein bisschen schlechter als wir haben.

Apropos Gemeinschaft…

„Nehm´ ich einen bitte…, ja natürlich!“ Dass ich mir nun einen dritten Augustin leiste, hängt möglicherweise damit zusammen, dass diese Verkäufer ja keine Bettler, sondern ehrbare Unternehmer sind, die ihr Geld mit ehrlicher Arbeit verdienen. Aber habe ich mit diesem Gedanken den Stab über alle anderen gebrochen, die trotz des beginnenden Regens da draußen auf der Mariahilfer Straße weiter darauf harren, dass ein paar armselige Cent in ihre Säckel wandern. Hoffentlich gibt mir der Herr Ober das Wechselgeld klein gestückelt zurück, sodass ich auf dem Weg zur U-Bahn noch mehrmals mein Gewissen beruhigen kann.

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Ich mag doch keine Fische vergeben
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Silvia Jelincic

Silvia Jelincic bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:16:59

fischundfleisch

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