Sorry, wenn ich Ihnen den restlichen Tag versaue, aber es geht leider alles grade den Bach runter (eine subjektiv verkürzte Laienanalyse in drei Akten)

Ich bin kein politischer Mensch. Die Partei, die meine Faszination kraft ihrer zwingenden Ideologie oder Argumente für eine bessere Welt wecken könnte, die gibt es nicht. Bei politischen Diskussionen bleibe ich still, weil ich mit – obwohl ich ihn für den schlimmsten literarischen Langeweiler halte, den wir haben – mit Franz Grillparzers „König Ottokars Glück und Ende“ sympathisiere: „Da tritt der Österreicher hin vor jeden, denkt sein Teil – und läßt die anderen reden.“

Das bedeutet allerdings nicht, dass ich mich nicht auskenne oder kein Interesse an den unser Leben bestimmenden politischen Borgängen im In- und Ausland hätte- Im Gegensatz zu 50 % der Bevölkerung, quer durch alle Alters- und Bildungsschichten, weiß ich, wie sich unser politisches System zusammensetzt. Wer regiert, wer in Ministerien, Ländern und großen Städten in den entscheidenden Positionen sitzt und wie diese Menschen (zumindest in ihrer öffentlichen Darstellung) ticken.

Ich schicke diese seltsame Präambel voraus, um Missverständnisse zu vermeiden. Denn der politische und weltanschauliche Graben, der dieses Land zunehmend durchzieht, läßt mich mit meiner eingeübten Tradition des schweigenden Beobachters zumindest einmal brechen. Nämlich jetzt. Und wenn ich versuche, wie ich meinen Kommentaren zu anderen Blogs gelegentlich anrege, ein paar Schritte zurückzutreten und die Dinge mit kühlem Auge aus der Distanz, am besten noch aus der Vogelperspektive zu betrachten, dann ist in den nachfolgenden Zeilen keinerlei Sympathie oder innere Bevorzugung einer Partei oder politischen Person gemeint. Auch wenn diese, wie ich vorab zugebe, ungeordnete Sicht vielen nicht gefallen wird.

Ältere f&f-Teilnehmer werden sich vielleicht an die TV-Serie „Der ganz normale Wahnsinn“ mit Towje Kleiner erinnern. Der spielte einen verhuschten Typen, der ein Buch geschrieben hatte mit dem Titel „Warum sich der einzelne nicht wohlfühlt, obwohl es uns allen doch so gut geht“. Diesen finktiven Titel aus dem Jahr 1978 borge ich mir als gedachten Überbau für die subjektive Analyse unserer Gegenwart aus und teile das in drei Portionen auf.

1.     Was war: Ich bin mittlerweile über 50 Jahre alt und gehöre damit zu einer gebenedeiten Generation. Als Kind aus den zwar gesellschaftspolitisch noch dumpf-grauen, aber sicheren und orientierten Siebzigerjahren aufgebrochen in die boomenden Achtziger- und Neunzigerjahre. Wachsender Wohlstand, interessante Jobs (sofern man das von Kreisky initiierte Bildungsangebot nutzte) und sieht man vom Säbelgerassel der damaligen Supermächte ab auch die Gewissheit, dass die Zukunft auf jeden Fall eine bessere sein wird. Damals bedrohten nur steigende Benzinpreise, die Angst vor der Atomkraft und das Waldsterben die Zukunftsvisionen, aber das war bewältigbar. Wir erlebten die rasante Entwicklung der Technik mit und waren jung genug, jeden Schritt der beginnenden Digitalisierung (die daheim mit Commodore C64 oder Atari Computern begann) mitzugehen und kennen uns daher trotz unserer grauen Haare und Falten um die Augen mit der Kommunikationstechnik des Jahres 2015 nicht schlechter aus als unsere erwachsenen Kinder (ich zumindest).

Politisch war die Welt klar gegliedert. Lange teilte sich die Welt in Rot und Schwarz; die Freiheitlichen spielten bis Jörg Haider nur das Zünglein an der Waage. Das hatte auch seinen guten Grund. Die Parteien nahmen zwar eine ihnen nicht zustehende Machtfülle in Anspruch, gaben dafür aber auch etwas. Wohnungen, Jobs, Kindergartenplatz – wer das richtige Parteibuch hatte, wurde versorgt und revanchierte sich mit dem korrekt gesetzten Kreuzerl am Wahltag und erfüllte jenes Credo, das die SPÖ später in einer legendär gewordenen Plakatkampagne auf den Punkt brachte: „In Zeiten wie diesen: keine unnötigen Fragen stellen!“

Auch wenn man über die Abgründe dieser Zeiten wissenschaftliche Abhandlungen schreiben könnte – ein Gefühl hatten die Menschen. Nämlich, dass „die da oben“ es sich zwar richten können und das weltweit höchste Budget für Parteien, Vorfeldorganisationen, Verbände, parteinahe Institute und Politik allgemein („Demokratie muss uns etwas wert sein!“) aus dem Budget schnitten, das Land jedoch halbwegs mit Leadership und vor allem für den einzelnen spürbar geführt und gelenkt wurde. Gemildert und immer wieder an die Realität angepasst durch den berühmten österreichischen Weg der Marke „Wer ma sehen, wird schon werden“ wenn es mal unangenehm wurde.

2.     Was ist: Diese Zeiten sind lange vorbei. Ich weiß nicht, an welchem Zeitpunkt wir Richtung Verhängnis abgebogen sind. War es der Beitritt zur EU, der Fall des Eisernen Vorhangs, der Untergang des Warschauer Paktes, der Beitritt zum Euro, ein anderer, mir nicht geläufiger Moment der Weltgeschichte oder ein Amalgam von all dem – Fakt ist: die rot-schwarze Politik versucht immer noch, den Status von vor 30 Jahren aufrecht zu erhalten. Allerdings nicht mehr mit Mehrheiten von 40 bis 45 % im Rücken, sondern mit teilweise nur noch der Hälfte, dafür mit jeder Menge bunter Parteienkonkurrenz, die jedoch eifersüchtigst aus den oben beschriebenen Versorgungskreisläufen rausgehalten werden sollen. Und auch das, was die Parteien zu geben hatten, ist nicht mehr wirklich vorhanden. Okay, in Wien hat die SPÖ immer noch die Hand auf rund 220.000 Gemeindewohnungen und über die Wiener Holding so viele Unternehmen in ihrem Netzwerk, dass sich die eine oder andere Versorgung noch ausgeht. Aber kein Vergleich mehr zu den Verhältnissen von früher. Und das hat die Menschen aufwachen lassen. Nur geben, nur die Goschen halten aber nichts oder viel weniger dafür bekommen, während es sich die oberen richten?

Dazu kommt, dass sich die geopolitische Lage dramatisch ändert. Wien wächst durch (umstrittene) Zuwanderung, die Infrastrukturen können aber nicht mithalten. Die Wirtschaft ändert sich rasant, weg von einer Produktions- hin zu einer Dienstleistungsgesellschaft. Als Antwort darauf jedoch feiern Bürokratie und Amtsschimmel, gepaart mit einem bislang nicht gekannten Sicherheits- und damit verbundenen Kontrollwahn neue Höhepunkte.

Die internationalen Rahmenbedingungen implodieren durch die Finanz- und Wirtschaftskrisen, die Wrackteile treffen auch Österreich. Kontinuierlich klettern die Arbeitslosenzahlen in lichte Höhen (egal, welche Erklärmuster man anlegt), die Staatsschulden ebenso. Ringsum beben die großen Staaten in Europa; Griechenland ist de facto pleite, nur traut sich das keiner zugeben. Italien, Frankreich und einige andere Große stehen ebenfalls am Abgrund; Österreich nicht mehr weit davon entfernt. Jenseits von Europa, im Nahen Osten und in Afrika, brennt es so lichterloh, dass hunderttausende Menschen auf der Flucht sind, tausende davon stranden in Österreich.

Und was ist die Reaktion in Österreich auf all das durch die Politik? Völlige Hilflosigkeit. Es mag unfair klingen, aber noch nie in Österreich war eine Politkaste am Ruder, die gefühlt so hilflos und einander aushebelnd gewerkt hat wie die heutige. Kein einziger Themenkomplex, der nicht schöngeredet wird, in dem etwas spürbar weitergeht, wo echte Ergebnisse erzielt werden. Nur Gerede, Ausschüsse, Absichtserklärungen, Beschwichtigung, Relativierung, Vertagung. Paradebeispiel ist die Innenministerin, die von einer Hilflosigkeit in die nächste taumelt, egal, wie man zur Einwanderungsproblematik, die sich längst unselig mit der Asylfrage vermählt hat, stehen mag. Da kommt bei Staatsbürgern, die weiter als bis drei zählen können, unwillkürlich die Frage auf: wie ist solchen Leuten, denen wir mit unserer Stimme die Macht anvertraut haben, in unserem Namen zu handeln und auch über uns zu bestimmen zuzutrauen, irgendein Problem zu lösen, wenn man es nicht mal schafft, 3.000 Leuten ein Dach über dem Kopf zu organisieren? Wie schrecklich muss diese Bande erst versagen, wenn ein wirklich großes Problem über uns hereinbricht (etwa, wenn aus den 3.000 von Traiskirchen durch falsch verstandene Humanität 100.000 werden, aber das ist eine andere Geschichte)?

In diesem Szenario der täglich vorgelebten Hilflosigkeit durch miserables politisches Personal, die eine oder andere positive Ausnahme in der Politik möge mir diese Verallgemeinerung verzeihen, ist die Rationalität beim Wähler längst verdampft. Und da kommt eine Figur ins Spiel, die auf den f&f-Blogs Stammgast ist, nämlich HC Strache. Der Mann hat politisch nichts anzubieten, das umsetzbar wäre. Aber das ist egal, weil es längst nicht mehr um Vernunft geht, sondern um Urinstinkte, die uns als hierarchisch tickenden Rudeltieren immer noch innewohnt, auch wenn das die Bobos nicht gerne hören wollen (ich nebenbei auch nicht, aber ich kann mit noch so viel Kultur die Natur nicht gänzlich ausschalten). Wenn wir das Mandat zur Führung schon abgeben müssen, dann an Rudelführer, die ihrer Aufgabe nachkommen. Und da kann der Herr Strache noch so viel garstige Dinge sagen, noch so zweifelhaft wirken und in der freien Diskussion nur die von seinen Hintermännern Kickl &Co eingelernten Phrasen wiederholen: in seiner Wirkung als objektiv nicht schlecht aussehender (auf jeden Fall besser als die allermeisten seiner Mitbewerber;

das ist aber auch der Grund, warum ein F-Brain wie Kickl im Hintergrund bleiben muss) und dominant wirkendes Alphatier frisst er sich ohne die geringste politische Eigenleistung durch die Wählerlandschaft. Dazu Medien, die sich ohne es spüren auf die Eskalationsspirale geschmissen haben und sie immer mehr beschleunigen. Es hat keinen Sinn, an die Vernunft oder das Offensichtliche zu appellieren. Wir spüren, dass unsere gewohnte, gemütliche Welt auseinanderbricht und dass unsere regierenden politischen Eliten nichts dagegen tun können oder wollen, weil sie viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt sind. Einzige Leistung ist die Dämonisierung des Herausforderers, der dazu auch genügend Angriffsflächen bietet. Und die Aufarbeitung von gegenwärtigen und vergangenen Nebenfronten wie Gender-Problematiken oder Historiker-Kommissionen, die sich damit befassen, ob eine Strasse zurecht nach Ferdinand Porsche benannt werden darf. Zugespitzt, ich weiß. In manchem Bereich ungerecht, gut möglich. Aber jeder von uns, der einen Hauch von Gespür für das Geschehen rund um uns hat, wird zähneknirschend zugeben, dass ich zumindest im Kern recht habe.

3.     Was sein wird: Wer es bis hier ausgehalten hat, jetzt wird es erst richtig schiach. Denn Rettung ist keine in Sicht, im Gegenteil. Der weitere Aufstieg der FPÖ bis zum Erreichen einer relativen Mehrheit ist nicht mehr aufzuhalten – außer, der HC fährt unvorsichtig Auto (Achtung: Satire!). Ich kenne einige Leute, die ihn und seine Partei wählen, obwohl sie wissen, dass es nur einen Effekt haben wird, nämlich den Kollaps des heutigen Systems. Ganz bewußt. Denn zu oft und zu lange haben diese Menschen wechselnd gewählt und wurden jedesmal mit der bestehenden Regierung, nämlich einer großen Koalition belohnt. In vielen ist einfach der Wunsch nach Veränderung so groß, dass sie das System sprengen wollen in der Hoffnung, dass der Neuanfang bei Null (und das hatten wir ja in unserer Geschichte oft genug) eine Besserung bringt. Vielleicht ist das auch wirklich so – dann hätte sogar HC einen politischen Sinn.

Insgesamt steht uns eine verdammt turbulente Zukunft bevor. Meiner Meinung nach liegen immer noch verlachte Visionäre wie Roland Düringer, die den großen Bang! schon lange befürchten, weitaus richtiger als die beschwichtigenden Verdränger, die nicht einsehen wollen, dass unser System des andauernden Wachstums an allen Fronten, damit uns das Werkel nicht unterm Hintern implodiert, nicht ewig so weitergehen kann. Den HC und seine Freunde werden wir über uns ergehen lassen müssen wie das hohe Fieber bei einer echten Grippe. Danach werden wir abgemagert, erschöpft und erschlagen wieder auf die Beine kommen. Einige vielleicht auch nicht, wie das bei einer echten Grippe eben so ist. Aber danach kann es eigentlich nur noch besser werden.

Ich ersuche, allfällige Tippfehler zu verzeihen.

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Hawaiipiraten von Österreich

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