@Silvia Jelincic hat letztens einen interessanten Beitrag veröffentlicht. Darin geht es um Kriterien, die zum Ausschluß von F&F-Bloggern oder Löschen von Kommentaren und posts führen und über die in der versammelten blogger-Gemeinde offenbar Uneinigkeit herrscht. Sie schreibt:
"Sie [einige F&F-blogger] fordern von uns die totale Kontrolle, dass wir Inhalte freigeben sollen, dass wir bestimmen sollen, was gut ist und was schlecht. Nein, so funktioniert das hier nun einmal nicht."
Ihr eigener Standpunkt sieht dagegen so aus:
"Wenn die Gesetze eingehalten und keine Personen in Verruf gebracht bzw. Unwahrheiten behauptet werden, bleibt der Beitrag stehen."
"Die Grenze ist für uns erreicht, wenn Angst und Skeptik zu Menschenhass und Rassismus werden."
"Die Grenze ist erreicht, wenn jemand eine rechte Gruppe verteidigt, eine Gruppe, deren Mitglieder immer wieder mit rechten Parolen und aggressiven Aktionen auffallen."
Schöner kann man den Widerspruch zwischen "Nur die Gesetze bestimmen, was zensiert wird." und "Zensiert wird, von dem wir glauben, daß es den falschen politischen oder moralischen Standpunkt ausdrückt." wohl nicht auf den Punkt bringen.
Doch die posting-Regeln lösen das Problem auf. Dort heißt es:
"Wir können keine Inhalte tolerieren, die zu Gewalt aufrufen, gegen Teile der Bevölkerung hetzen oder als rassistisch, pornographisch oder sexistisch zu bewerten sind." sowie "Wir ersuchen Sie, möglicherweise rechtswidrige oder gegen die Postingregeln verstoßende Beiträge an office@fischundfleisch.com zu melden."
Also: Nicht nur Gesetzesverstöße werden hier geahndet - was natürlich unvermeidlich ist - sondern es wurde bereits ganz offiziell die Entscheidung getroffen, daß z.B. rassistische und sexistische Meinungen auf F&F zensiert werden: Moral unterdrückt hier Meinungen.
Damit steht die F&F-policy in unversöhnlichem Gegensatz zu dem Standpunkt des französischen Aufklärers Voltaire, der einmal sagte:
- "Ich hasse jedes Wort von dem, was sie sagen, aber werde bis zu meinem Ende dafür kämpfen, daß Sie es auch weiterhin sagen dürfen."
Wer aufgepaßt hat, ahnte anhand meiner letzten beiden posts vermutlich bereits, daß ich Argumente für ein größeres Unternehmen aufgebaut habe. Dieser post, der gegen die Postmoderne für die Moderne Partei ergreift, gehört dazu. Denn da die rund 200 Kommentare zu dem Thema für meinen Geschmack wenig Substantielles zur Überschrift meines jetzigen postes geliefert haben, werde ich nun selbst darlegen, warum Voltaire von einem humanistischen Standpunkt aus recht hat.
Damit behaupte ich auf der Basis meiner vorherigen posts, daß sowohl der Standpunkt von @Silvia Jelincic wie auch die posting-Regeln von F&F antihumanistisch sind und die Menschenwürde verletzen. Wen meine Argumente dafür interessieren, der möge weiterlesen - aber möglichst schnell, denn wer weiß, wie lange dieser post noch lesbar sein und dieser account noch existieren wird. Denn - wie jeder weiß - bin ich außerdem Antifeminist, Frauenkritiker und nicht mehr politisch links: Das sind auf F&F eventuell genug Gründe, um zensiert oder gleich ganz gelöscht zu werden.
Von einem humanistischen Standpunkt
Die besondere Pointe des hier entwickelten Humanismus ist, daß er aus einem Demütigungsverbot abgeleitet werden kann, dem im Grunde jeder zustimmt, weil er Teil des Moralerbes der Menschheit ist. Daraus allein kann man den Grundriß des Humanismus gewinnen:
a) theoretischer Humanismus: Freiheit bedeutet Handeln aus Gründen
b) ethischer Humanismus: Würde bedeutet Handeln in Freiheit.
c) Aufklärung: Freiheit wächst mit dem Wissen über Möglichkeiten, aus Gründen zu handeln.
d) kontextfreier und universalischer Autonomiebegriff: Freiheit bedeutet für jeden Menschen immer zwangloses Handeln aus eigenen Gründen.
Zugleich ist Humanismus offenbar in einem umfassenden Sinne neutral:
Normative Neutralität: Humanismus trifft keine Entscheidung darüber, wie die favorisiere normative Ethik auszusehen hat. Das Einzige, was von ihm verlangt wird, ist, daß diese normative Ethik nicht kontext-relativ sein darf und universalistisch sein muß. Darüber hinaus ist das Verbot der Demütigung und Verletzung der Selbstachtung verpflichtend.
Politische Neutralität: Humanismus trifft keine Entscheidung über den politischen Standpunkt eines Humanisten. Verlangt wird nur, daß Humanisten libertär sind, d.h. glauben, daß sie keine Ahnung haben, was für andere Personen das Beste ist. Das genügt übrigens um folgern zu können, daß Feminismus antihumanistisch ist.
Im letzten post konnte eine weitere Komponente der Autonomie, soweit sie aus der Menschenwürde bestimmt werden kann, identifiziert werden: Sie besteht darin, diejenigen Moralakteuere zu schützen, die die tragenden Elemente in allen konkret formulierten Moralsystemen einer möglichen Gesellschaft sind. Der besondere moralische Status, den Menschen haben und der die Quelle ihrer Menschenwürde ist, ist der, anderen Menschen einen moralischen Status überhaupt erst verleihen zu können.
Für die Frage, ob Moral Meinungen unterdrücken darf, gibt es vom humanistischen Standpunkt somit eine eindeutige und zudem trennschafte Antwort, die uns bei dem Problem dieses postes weiterhilft.
Humanistische Zensur gibt es nicht
Manche Kommentare wie z.B. "Du dämlicher Arsch!" bringen zwar eine Meinung, aber keinen Standpunkt zum Ausdruck, der im Hinblick auf eine Aufklärung über Tatsachen relevant wäre. Andere Kommentare wie z.B. "Die Männer sind für alles Übel der Welt verantwortlich, weshalb man ihren Anteil an der Weltbevölkerung auf 10% reduzieren und sie nur noch als Zuchtbullen verwenden sollte." mögen auch nicht sehr freundlich sein, doch es lohnt sich unter zwei Aspekten, darüber zu reden:
(A) Stimmt es wirklich, daß der Geschlechterunterschied relevant ist für das Vorkommen von schlechten Eigenschaften oder schlechten Erfahrungen? Und haben Männer wirklich schuld?
(B) Wenn Männer schuld haben, ist es dann moralisch richtig, einen Geschlechtergenozid durchzuführen, wenn alle anderen Menschen davon profitieren würden?
Und alles, was bisher über eine aus dem Demütigungsverbot ableitbare Menschenwürde herausgefunden werden konnte, zeigt: Menschen beziehen ihre Würde, i.e. ihr Recht in Freiheit zu handeln, daraus, daß sie sich wechselseitig zuerkennen, daß ihre autonomen Entscheidungen aus selbstgewählten Gründen einen Unterschied machen dafür, wie sich die Welt in Zukunft weiterentwickelt.
- Deshalb ist es auch eine Strafe, als Schloßgeist ruhelos herumziehen zu müssen: Denn als solcher bekommt er zwar das Geschehen unter denn Lebenden mit und ist auch frei, zu entscheiden, aber nichts, was er tut, macht einen Unterschied für die Lebenden.
Den ersten Kommentar zu löschen, wird für die Weiterentwicklung der gemeinschaftlich und selbstbestimmt geteilten Welt sicher ziemlich folgenlos sein. Den zweiten zu löschen hingegen nicht. Denn von seiner Widerlegung wird sehr viel in der Zukunft abhängen. Darum verstößt die Löschung des zweiten Kommentars auch gegen die Menschenwürde - so unfreundlich er auch sein mag - die Löschung des ersten hingegen nicht. Denn im zweiten Fall geht es darum, daß dem Vertreter einer Meinung sein Einfluß als Mensch auf die Zukunft der Gemeinschaft, der er angehört, genommen werden soll. Es soll so getan werden, als sei dieser Mensch gar nicht da und nicht mehr moralischer Teilnehmer einer Gemeinschaft - nur weil er seinen Status als Moralsubjekt geltend macht und wie jeder andere selbst bestimmt, anstatt um Erlaubnis zu fragen.
Also: Eine Zensur kann kein Humanist hinnehmen, denn jede substantielle Zensur bedeutet nicht nur, gegen die charakteristische humanistische Neutralität zu verstoßen, sondern auch, daß den zensierten Menschen ihre Freiheit genommen und damit ihre Menschenwürde verletzt wird.
Also: F&F muß seine posting-Regeln anpassen oder öffentlich einen humanistischen Standpunkt und damit das elementarste Demütigungsverbot für Menschen expressis verbis ablehnen.
Für @Silvia Jelincic gilt das allemal, die nun die Gelegenheit hat, sich als Journ_alist*In einen Ruf zuzulegen, der herausragen dürfte - oder eben auch nicht.
Tertium non datur.
Nachtrag:
Etwa zeitgleich mit meinem Beitrag hat Silvia einen weiteren Beitrag zu dem Thema veröffentlicht, der hier nachgelesen werden kann.