Es gab ein Dorf, das keinen Namen brauchte um ausfindig gemacht zu werden. Es war ein Dorf wie jedes andere auch. Der Mensch fühlte sich in jedem Dorf zu Hause. Wozu dann Unterscheidung durch Namen wie Niederwohlfühl- oder Oberwohlfühlbach? Alle Dörfer waren irgendwie gleich. Irgendwie? Nicht ganz. Sie hatten eine der wunderbaren Landschaft und dem Wetter angepaßte Architektur. Aber eines hatten sie alle gemeinsam, große Häuser, die so groß wie ihre Seele und die Herzen waren.
Es gab keine Wohnklos mit Kochnische, Altersheime, Banken, Suppenküchen und Tafeln, sowie Arbeitsämter, die alles andere tun als arbeiten, keine verhungernden Menschen mit todkranken Hunden vor dem Juwelierladen, wie heute in den Großdörfern, die wir Städte nennen.
Die Menschen waren umtriebig spielerisch mit dem Bau ihrer großen Häuser und den Ackerbau. Es war keine Mühsal für sie. Im Gegenteil. Sie sangen und erfanden während dem Bauen neue Lieder. Große Häuser waren ihnen wichtig, da sie wußten, daß von Zeit zu Zeit Wanderer vorbeikamen, die Schlimmes erlebten hatten, welche hungerten oder froren.
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Nur, wer ein großes Haus hat – so groß wie das Herz, kann jeden Wanderer mit Freude aufnehmen, der des Weges kam. Jeden. Außerdem machte es Spaß, die Häuser so kunstvoll zu verzieren, so als wären sie eine perfekte in Stein gemeißelte Fuge von Johann Sebastian Bach. Schule brauchte es keine. Es mußte niemand lernen. Das bißchen Lebensnotwendige hatten sie spielerisch von den Alten entdeckt. Keiner mußte einen Beruf erlernen um zu überleben. Jeder war für jeden da. Jeder machte was ihm seine innere Stimme voller sprudelnder Lebensfreude einflüsterte. Die Berufung zum Ackerbauer, Künstler, Handwerker oder Denker, ja sogar zum Dorftrottel wurde nur durch die eigene innere Stimme bestimmt. Selbst krank werden war kein Problem für die Dorfgemeinschaft. Alle waren Teil des Dorfes, einer festen zueinanderhaltenden Gemeinschaft, die wir ab sofort gesunde Seele nennen wollen.
Man kannte weder Tauschhandel noch Geld. Allein Geben und Nehmen nach seinen Möglichkeiten hielt das Wohl der Dorfgemeinschaft aufrecht. Vorherrschaftskämpfe, wie sie bei den Tieren sahen, um die beste Brut hervorzubringen, waren ihnen wohlbekannt. Sie respektierten diese für die Tiere, weil das die beste Möglichkeit für diese war, ihre Art zu erhalten und dachten nicht weiter darüber nach. Ein Vergleich wäre ohnehin nicht in Frage gekommen. Deren Seele hat einen anderen Lebensplan, der für das Dorf nichts taugt. Das war in Ordnung so. Sie wären auch nie auf die Idee gekommen, Tiere (Pecunia, Pesos) als Tausch für eigene Leistung zu mißbrauchen. Die Tiere hatten ihre eigene Welt, die respektiert wurde. Das Wunder der Schöpfung sahen sie in allem Lebendigen und hatten ihre Freude daran. Vor allem, im dem sie ihre eigene Seele wahrnahmen.
Die Menschen haben dieses Dorf verlassen, aus welchem Grund auch immer. Das herauszufinden, mögen wir den Märchenerzählern, den Philosophen oder Ludwig dem Träumer überlassen.
Das namenlose Dorf, das die ganze Welt umspannte, bekam Besuch von einem Wanderer, der lustige bunte Kleider trug. Sie nahmen ihn so herzlich auf, wie jeden anderen auch, war er doch ein guter witziger Erzähler von den Gepflogenheiten in seiner Heimat, die sie so noch nie gehört hatten. Er erzählte von einer kommenden Zeit, aus der er kommt. Da die Menschen im namenlosen Dorf nur das Jetzt kannten, wurden sie aufmerksam. Der einzige der das kommende Übel durch die Wanderer sah, war der Dorftrottel. „Da mud du durch“, sagte er.
Dem Wanderer zu Ehren versammelten sich alle auf dem großen Platz inmitten ihrer großen Häuser. Sie sangen ihre Lieder, brachten Früchte, eine wunderbarer und schmackhafter als die andere, die ihnen die Natur schenkte. Alle wurden satt und etwas müde. Nach dem Essen waren sie es gewohnt, sich etwas auszuruhen, da der Magen jetzt beschäftigt war. Sie wußten, Umtrieb und neue Lebenskraft tanken gleichzeitig geht nicht.
Der Wanderer jedoch war putzmunter, obwohl er die die Früchte geradezu in sich hineinstopfte, bis der Magen bald platzte und sein Darm mehr sprach als sein voller Mund. Er wurde nicht müde bei seinen Geschichten aus seiner Heimat. Mit vollem Mund waren seine Worte etwas unverständlich, er atmete dabei auch etwas schwer. Man verstand nur ‚Vecrekrrrurks meck donald schmatz wurks muß her‘. Er war der erste Wanderer, der nicht verstanden wurde. Da die Menschen alles liebten, war das auch kein Problem für sie.
Es begann zu regnen. Ein Segen für die Natur, aber naß werden wollten die Dorfbewohner dennoch nicht. Die Katzen, die wahren Souveräns, verkrümelten sich als erstes. Eine nasse Katze mag selbst der trockenste Kater nicht. So schlugen sie vor, sich in ihre großen Häuser zurückzuziehen. Dem Wanderer überließen sie die Wahl, bei wem er nächtigen will. Er suchte sich das wunderschöne Haus des Dorftrottels aus.
Am nächsten Morgen beklagte der Wanderer die wunderschöne Zusammenkunft auf dem Dorfplatz, die durch den Regen unterbrochen worden war. Wenn ihr auf dem Dorfplatz ein noch größeres Haus hättet, in dem alle auch bei Regen Platz haben, so hättet ihr bis zum frühen Morgen meine Geschichten aus meiner Heimat lauschen können. Man muß wissen, daß der Dorftrottel die wichtigste Stimme im Dorf war, frei aller Ängste, nur mit Liebe behaftet für Harmonie und alles danach Kommende. Da er durch Beobachtung wußte, wie man schöne Häuser baut, machte er sich selbst an die Arbeit und entwarf das größte aller Häuser, das bald mitten auf dem Marktplatz stehen sollte. Es fiel ihm schwer, da er nicht erkennen konnte, welchen Sinn das haben soll. Die Arbeit wurde mit ihm erfunden. Aber der Wanderer hatte ihn dazu ermutigt und ihm einen Titel gegeben – Architekt. Das schmeichelte. Nicht mehr Dorftrottel, sondern Architekt.
Unermüdlich besessen von der Idee des Wanderers, das größte Haus im Dorf zu bauen, damit die harmonische Zusammenkunft künftig nicht mehr durch Regen unterbrochen wird, entwarf er ein riesiges Haus inmitten des Dorfplatzes unter Anleitung des Wanderers. Da harmonische Elemente wie der Goldene Schnitt und in Stein gemeißelte Fugen der göttlichen Musik nicht fehlten, stimmten die Dorfbewohner dem Bau zu. Lustig fanden sie den dreihundert Ellen hohen Turm über dem Dach. Manche dachten, es ist der Schornstein. Wieder andere machten Witze über die seltsamen Tiere und Köpfe an der Fassade, die sie noch nie in der Natur gesehen hatten. Da gab es welche mit… aber lassen wir Bilder sprechen. Mit Worten kann man diese Wesen ohnehin nicht beschreiben.
(Alle Bilder aus Wikipedia -frei verfügbar)
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Der hier überm Eingang verwunderte doch so manchen. Als hochentwickeltes Völkchen hätten sie den hier eher auf dem stillen Örtchen vermutet. Einer meinte sogar: Der scheißt auf euch, wenn ihr da rein geht. Die Bedeutung dieses Satzes sollten sie jedoch erst viele tausend Jahre später erkennen.
Wenn wir schon beim Thema sind, werfen wir doch einen Blick ins Innere des ganz großen Hauses inmitten des Marktplatzes, der bald keiner mehr ist. Dort gibt es seitlich einen Holzverschlag mit zwei Türen. Wenn es hier ein stilles Örtchen gibt, warum muß der sich dann an die Fassade hängen zum scheißen? Dem Dorftrottel kamen immer mehr Zweifel an seiner Planung für das größte Haus aller Häuser. Ob das wohl dienlich für das Dorf ist, fragte er sich ständig und bereitete ihm immer mehr Stirnfalten. Die Planung war aber bereits im Endstadium und von der Mehrheit der Bewohner dank der Überzeugungskunst des Wanderers akzeptiert. Dem Bau stand nichts mehr im Wege.
Seltsam empfanden dennoch manche die neue Sitzordnung in diesem Haus. Waren sie es bisher gewohnt, alle im Kreis zu sitzen, damit jeder jeden sehen konnte. Jetzt sollen sie auf einmal und für immer diese Tradition brechen und in Reih und Glied alle nur noch in eine Richtung starren. Da kann man doch nicht mehr miteinander reden und gemeinsam lachen. Da vorne gibt es doch nur ein leerer Stuhl und noch etwas, das so manchen das erste Mal in seinem Leben ein mulmiges Gefühl bescherte. Es war ja nicht so, daß sie keine Verletzten kannten. Wenn, was äußert selten vorkam, sich einmal einer verletze, dann hatten sie ihn liebevoll auf einem flauschigem Bett aus wunderbar duftendem Moos gelegt, damit er sich gesunden kann und nicht zum Trocknen der Wunden an die Wand gehängt.
Der Bau war in vollem Gange. Viele bauten in Freude und mit viel Liebe mit. So, wie sie es bisher gewohnt waren. Der Bau geriet jedoch bald ins Stocken, da zwar alle Baumaterialien für die großen Häuser der Dorfbewohner in der Region vorhanden waren, aber nicht für ein noch Größeres.
Der Wanderer hatte eine Idee. Ich bringe euch das Material. Während dieser Zeit kann ich jedoch nicht für mich selbst sorgen. Gebt mir ein paar eurer Früchte, damit ich nicht hungere während meiner Tat. Gesagt, getan. Er brachte Baumaterial. Unwirsches Material, untauglich um ein Haus zu bauen. Das hatten sie bisher nicht gekannt. Ihre bisherigen Steine aus der Umgebung konnten dem Menschen für ihre großen Häuser ohne Verletzung durch Behauen dienlich sein. Dafür waren die Steine dankbar und erzählten in stiller Stunde wunderbare Geschichten von der glücklichen Erde. Die Steine, die der Wanderer herbeibrachte, waren schon halbtot von der langen Reise und wurden durch mühevolles Behauen ganz tot geschlagen um dem Bauplan gerecht zu werden. Oder habt ihr schon mal Steine in den größten aller großen Häuser fröhliche Geschichten erzählen gehört? Nun, es war nicht der Wanderer selbst, der die Steine herbeischleifte. Es waren abgemagerte, ausgemerkelte Männer mit düsterem Blick, alle mit Ketten verbunden, damit sie sich auf dem gemeinsamen Weg zum Glücklichsein nicht verlieren und eine große Gemeinschaft für alle Zeiten bleiben konnten – so wurde ihnen vom Wanderer erzählt. Die Steine auf ihrem Buckel tragend, dem Wanderer folgend, der ihnen den Weg zeigte, sangen sie sogar noch ein lustiges Lied:
Morgen! Morgen Kinder wird’s was geben
Etwas auf die Nuß, wenn nicht folgst eben
Das Paradies kennt nur der große Wagen
Folge ihm bis zum Ende aller Erdentagen
Er weiß, wo Gottes Pforte uns empfängt
Folge ihm, sonst wirst du gleich erhängt
Fröhlich! Fröhlich weiter seines Weges
Alles andere dir zu Schaden, vergiß es
Im Himmel dann wir singen von dem großen Herrn
Er ist des Weltenführers edler großer Kern
Die Müh sich lohnt, die Liebe ist nur dort zu finden
bis dahin müssen wir uns hier vor Schmerz noch winden.
Der Wanderer ging nicht etwa zu Fuß, wie die Steinträger, sondern saß in einem prächtigen goldenen Wagen, gezogen von sechs Rössern, in dem auch noch alle Steine der Träger Platz gehabt hätten. Die Menschen waren so mit dem Bau beschäftigt, daß sie das Elend der Steineträger nicht sahen. Sie hätten es ohnehin nicht sehen können, da sie nicht wußten, was Elend ist – noch nicht. Einzig das Fesseln der Rösser an den großen Wagen betrübte manche etwas. Das waren die, welche noch mit den Tieren sprechen konnten.
Das Totschlagen der Steine wurde immer mühevoller. Eine Mühe, die sie bisher nicht kannten. In ihrer unendlichen Liebe zu allem was ist, schafften sie es dennoch. Nur ihr Lachen und ihre wunderschönen Lieder wurden während dem Bau immer weniger.
Da war die Zeit des Wanderers gekommen. Er füllte ihre Leere mit den Gesängen aus dem großen Latrinum und erzählte ihnen Geschichte vom großen gütigen Bruder und dem Herrn, der komme und ihnen noch lustigere Geschichten erzählen könne als er selber.
Sie bauten und bauten. Vergaßen dabei ihre eigene Geschichte.
Geselliges Miteinander auf dem großen Platz inmitten ihrer großen Häuser gab es nicht mehr. Der war ja inzwischen zugebaut. Der Blick auf Nachbars Haus war fortan auch versperrt.
Nun, der große Tag nahte. Das größte aller großen Häuser sollte eingeweiht werden. Aber wie? Einweihung wie bisher war nicht mehr möglich. Sie hatten sich den großen Platz dafür selbst zugebaut. Es geschah das erste Mal, daß sie ein ungutes Gefühl von Traurigkeit verspürten. Der Wanderer versprach ihnen, daß dieses Gefühl mit der Einweihung des größten aller Häuser sofort wieder verschwinde und noch größere Freude ihnen zuteil wird als sie jemals kannten.
Sie saßen auf den harten Bänken in Reih und Glied, jeder nur das Hinterteil des anderen sehend, mit mulmigem Gefühl den zum Trocknen seiner Wunden an der Wand Aufgehängten betrachtend und warteten auf die versprochene Freude aller Freuden. Plötzlich vibrierte das ganze größte aller großen Häuser und es machte einen entsetzlichen Lärm. Der kam aus den blitzeblanken Rohren, die auch an der Wand hingen. Andere Rohre, aus denen noch mehr Lärm und sogar Feuer kommt, sollten sie erst später kennenlernen. Die Ohren schmerzten ob dem disharmonischen Lärm. Als plötzlich der Lärm verstummte, kam der Wanderer und setze sich auf den wunderschönen Stuhl über dem, der zum Trocknen an der Wand an zwei Holzbalken hing.
Was für ein Anblick.
War der Wanderer noch lustiger und bunter gekleidet als je zuvor. Auf seinem Kopf hatte er ein rundes gelbfarbiges Blech. Ein Hut konnte es nicht sein, da der Deckel fehlte. Dafür war es mit vielen bunten glitzernden Steinen verziert, die sie zwar kannten, aber nichts mit anzufangen wußten. Diese gehörten zur Erde und sollten auch da bleiben. Zuerst hob er den rechten Arm schräg nach oben, dann den linken und danach alle beide. Sie waren etwas verwirrt. Solche Gesten wußten sie nicht einzuordnen. Was das mit Freude zu tun haben soll, blieb auch ein Rätsel. Seiner Einweihungsrede konnten sie ebenfalls nicht folgen. Er hielt sie in einer Sprache, die keiner verstand. Danach wieder dieser ohrenbetäubende Lärm aus vollen Rohren, bevor er sie alle der Reihe nach zu sich rief um sich die großen Fußzehen ablecken zu lassen. Was für ein fauliger Geschmack. Dabei bespritze er sie mit Wasser. Ja, ihr habt richtig gehört – mit Wasser.
Der einzige, der das nicht mitmachte, war der neue Dorftrottel. Er verließ fluchtartig das größte aller großen Häuser. Erinnern wir uns noch, warum das große Haus gebaut werden sollte? Ja, damit niemand naß werde, wenn es bei den fröhlichen Zusammenkünften einmal regnen sollte. Und jetzt das. In ihrer unermüdlichen Liebe für alles was ist, konnten sie nicht mal murren und hofften, daß endlich die Einweihungsfeier losgeht, wie sie es gewohnt waren. Damit war die Hoffnung geboren, die sie bisher nicht benötigt hatten, da sie nur im Hier und Jetzt gelebt hatten.
Der Wanderer war mit sich zufrieden. Hatte er doch ihnen gleich zwei neue Gefühle beibringen können. Das Mulmig sein als Vorstufe zur Angst und die Hoffnung. Und noch etwas war ihm gelungen. Die Menschen freiwillig dazu bringen, etwas zu bauen, das sie beim Feste feiern in Reih und Glied zwingt.
Wenigstens dies in ihrer Sprache, vertröstete sie der Wanderer auf den nächsten Sonntag. Bisher kannten sie das Wort noch nicht. Es gab ja nur das Jetzt. Dann soll die richtig große Einweihung stattfinden. Sie gingen wieder frohgemut nach Hause und fieberten dem nächsten Sonntag entgegen.
Die alten Feste feiern vergaßen sie hiermit für alle Zeiten und somit sich selbst.
Wirklich für alle Zeiten?
Wäre da nicht der neue Dorftrottel, der alles Ursprüngliche in sich durch die Flucht aus der Kirche (so wurden die größten aller großen Häuser künftig benannt) bis heute bewahrt, könnten wir die Geschichte an dieser Stelle abbrechen.
Der weitere Verlauf der Geschichte bis zur heutigen freiwilligen Knechtschaft und Versklavung mit großem Elend ist hinreichend bekannt.
Wir wollen uns nicht länger damit beschäftigen.
Das würde nur die Gedanken daran fesseln und die Tragödie weiter festigen.
Es war hier nur aufzuzeigen, wie es zu der menschlichen Tragödie kam.
Ein paar Regentropfen und ein einziger Wanderer, der nichts Gutes im Schilde führte, genügten, um den Menschen aus dem Gleichgewicht zu bringen.
Ein einziger Wanderer unter allen Menschen, die selbst Wanderer sind, wurde der Menschheit zum Verhängnis.
Warum sollen dann nicht auch ein paar Geistestropfen des Dorftrottels,
dem der wahre Grund unseres Daseins noch bekannt ist,
das Gleichgewicht wieder herstellen können?
Er ist bereits in der heutigen Welt angekommen.
Es braucht nicht viel,
eigentlich garnix
um zu fühlen,
was es ist,
das alle sich ersehnen.
Hören wir des Dorftrottels Erinnerungen, so wissen wir, wo der Mensch einmal war und daß er sich wieder finden kann.
Es war einmal und kommt wieder.
Es geht das Gerücht um, wonach sich Einzelne des Dorfes wieder erinnern und es still und heimlich wieder bezogen haben. Man sagt, vor allem die Möglichkeit des Austausches über eine neue Erfindung, Internet genannt, bringe es mit sich, daß sich die Kunde vom Dorf leise breit zu machen beginne. So das Gerücht zutrifft, dann gibt es nur noch einen Namen für das Dorf. Neu umspannt es die ganze Welt. Sein Name ist Wohlfühlbach.
Eine pfaffenfreie Zone ohne Geldhändler und VerFührer. So stellt sich Ludwig der Träumer das Dorf vor. Das ging doch schon mal. Warum nicht auch nochmal.
Teil 2
Es war einmal und kommt wieder. So endet der erste Teil der Geschichte von Wohlfühlbach. Dem Erzähler wurde geflüstert, daß es dort noch richtig turbulent wird, bis die Menschen sich wieder auf ihre gemeinsamen Wurzeln ohne Gier, Neid und Mißgunst und ohne Hauen und Stechen besinnen.
Hatten sich die Bewohner von Wohlfühlbach doch schnell an das neue Leben gewöhnt, das von dem großen Haus inmitten des Dorfplatzes fortan bestimmt wurde. Ihr erinnert euch sicher noch an den ersten Wanderer, der mit den wunderschönen bunten Kleidern und dem runden Blech mit den vielen bunten Steinen auf dem Kopf. Hatte der nicht schon genügend Unruhe ins Dorf gebracht, auch das noch. Aber der Reihe nach. Wohlfühlbach erlebte etwas, das wir heute als Landflucht bezeichnen und das auf sonderliche Weise.
Der Rübenbauer war ein schlaues Kerlchen, saß in der ersten Reihe bei der Einweihung des ganz großen neuem Hauses – Tempel und neuerdings Kirche genannt und verstand gar nichts von der Einweihungsrede in der fremden Sprache, so wie alle anderen Bauern und die Dorfbewohner. Er wollte jedoch verstehen, was der 1. Wanderer, den wir ja inzwischen Oberpfaffe nennen, so von sich gab. Hatte er doch schon lange gespürt, daß es noch was anderes gibt als nur ackern und die eigene Brut pflegen. Vielleicht gibt es noch eine andere Brut, die es zu pflegen gilt. Weswegen sonst ist der Pfaffe hierhergekommen. Obwohl die ganze Kirche voll war, ist dem Pfaffen der fragende Blick des Rübenbauern aufgefallen. Nachdem Füßelecken und dem ohrenbetäubenden Lärm aus den Rohren an der Wand war die Versammlung beendet und der Pfaffe begrüßte den Rübenbauer persönlich. Was für eine Ehre. Nun mein Sohn, du scheinst für Höheres bestimmt, ich will mich deiner annehmen. ‚Mein Sohn‘ hatte er bisher zwar nur von seinem Vater gehört, aber dieses liebvolle Wort von einem Fremden zu hören ist sicher eine besondere Ehre. Ich werde dir unsere Sprache lehren und zeigen, welche wunderbaren Dinge es noch zwischen Himmel und Erde gibt. Da ich wenig Zeit habe, werde ich dir einen Lehrer schicken, der dir nebenbei auf deinem Hof zuerst unsere Sprache beibringt. Was ist Zeit? Was ist Lehrer? Genau das wird der dir erklären, mein Sohn.
Es verging kein Mond, das Feld stand in voller Blüte – es versprach ein gutes Erntejahr zu werden, kam der versprochene Lehrer mit brauner Kutte und Kapuze verhüllt auf den Hof des Rübenbauern. Was für ein Anblick bei diesem Wetter. Der Bekuttete verhüllt wie im Winter, der Bauer wegen der großen Hitze nur mit einem Lederschurz bekleidet. Gerade auf dem Weg zur Heuernte, weil ein Gewitter nahte, mahnte ihn der Lehrer an: Es gibt jetzt wichtigeres. Beginnen wir sofort mit der Schule. Gesagt, getan. Gott ist groß, wurde ihm gelehrt. Da er das nicht begriffen hatte, einigten sich beide auf einen weiteren Schultag. Inzwischen kam was zu erwarten war – das Gewitter, das die Heuernte vernichtete. Seine Viecher verhungerten im kommenden Winter oder platzten an Blähungen ob des nassen faulen Futters, da er in seiner Verzweiflung denen fütterte. Alle Viecher verreckten – nur wegen einem Tagwerk Schule. Der Rübenbauer war am Ende, seine geliebte Frau, die ihn bisher in allen Problemen unterstützte ging in eine der Städte, die in dieser Zeit wie Wildwuchs entstanden. Was Stadt ist, wird erst später klar, wenn fast alle Bauern dort sind. Möchte der Geschichte nicht vorgreifen. Wartet es ab. Sein Sohn, der einmal den Hof übernehmen sollte, fand die braune Kutte toll, zog sofort eine an und weg war er. Der Rübenbauer wollte seinem Leben das Ende bereiten. Der Strick, mit dem der Ochse früher den Pflug zog, sollte seinen finalen Zweck erfüllen. Ich möchte euch den Anblick des Rübenbauers ersparen, der sich selbst sein Leben ausgehaucht hat. Von nun an zählte Wohlfühlbach ein Bauer weniger.
Der Sohn des toten Bäuerleins vermachte sein Erbe sofort der Gemeinschaft der Braunkutten, denen er viel zu verdanken hatte. Nicht nur schreiben und lesen, sondern und vor allem, daß nur ein Leben ohne Besitztümer ein ehrenwertes Leben ist, hat er bei denen im Kloster gelernt. Über die Herkunft des Wortes Kloster gibt es keine sichere Quelle. Gerüchten zufolge soll es mit der Klosterküche zu tun haben. Ludwig der Gnadenlose, der hier einmal verköstigt wurde, schreibt man den Ausspruch zu: Das schmeckt hier wie dünne Klosbrühe aus dem Klosett. Lassen wir uns nicht ablenken durch solche Wortklauberei. Es war hier darzustellen, wie die Braunkutten zu ihren ersten Ländereien kamen- und es sollten noch viel mehr werden.
Die Jahreszeiten vergingen und wiederholten sich, ohne daß sich viel regte in Wohlfühlbach. Jeder ging seinem Tagwerk nach wie er es schon immer gewohnt war. Aber irgendwie war es doch anders als früher, wo man noch gemeinsam auf dem Marktplatz im Kreis sitzend, fröhlich den Tag liedersingend mit Selbstgebrautem ausklingen lassen konnte. Seit dort die große Kirche steht, beschränkt sich die gemeinsame Zusammenkunft auf den Tag des Herrn, wie ihn der Pfaffe nennt. Erinnern wir uns noch an die Einweihungsfeier der Kirche? Jeder durfte fortan nur noch den Arsch des Vordermanns betrachten, in Reih und Glied. Viel später sollten sie kennenlernen, daß es noch ein anderes Reih und Glied gibt, das ihnen zum Verhängnis wird – auch mit großen lärmerzeugenden Rohren – nur diesmal nicht an der Wand hängend, wie der mit dem zum Trocknen seiner Wunden, sondern bewegliche Rohre, die noch mehr Lärm machen und dazu auch noch rauchen.
Die restlichen Bauern guckten nun öfter in den Himmel als früher. Da genügte frühmorgens ein Blick und man wußte wie das Wetter heute wird. Fortan schauten sie weniger nach dem Wetter als nach dem Herrn, der da bald absteigen wird um die Welt zu retten, die vorher nicht zu retten notwendig war, weil sie gut war wie sie war. Dabei vergaßen sie manchmal nach dem Wetter zu gucken mit verheerenden Folgen.
Es war wieder ein Tag des Herrn, den wir ab sofort Sonntag nennen wollen, an den sich die Bauern und die Handwerker gewöhnt hatten. Sie versammelten sich alle in der Kirche. Brauche nicht erwähnen, daß sie Frau, Kind und Kegel mitschleiften, obwohl die sich anfänglich wehrten. Den Kindern war dabei am Unwohlsten. Sie mußten förmlich an den Ohren in die Kirche geschleift werden. Ob die noch eine gesunde Abwehr gegen das kommende Unheil hatten, überlasse ich dem Leser einzuschätzen. (Anm. des Erzählers: Wir werden viel später, etwa im Jahre 1845 nach der Erfindung des Befreiers unserer Sünden nachlesen können, was mit ‚Unheil‘ gemeint ist. Otto von Corvin hat es in seinem Pfaffenspiegel offengelegt. http://www.humanist.de/religion/pfaffe.html )
Muß auch dazu sagen, daß Kegel kein Problem waren, jedenfalls vor dem Eintreffen der Pfaffen. Sie waren so willkommen in der Gemeinschaft wie die Dorftrottel. Jedes Leben war willkommen. Wirklich? Ja, zumindest bis der Pfaffe kam. Der mahnte Enthaltsamkeit an, verteufelte die Lust, während er unter seiner Kutte ein wohliges entspannendes Gefühl hatte beim Anblick der vielen Kinder, die die Bewohner in die Kirche mitschleiften. Bastarde, Dorftrottel und Krüppel, früher wohlversorgt, waren ab sofort aus Pfaffens Munde die Ausgeburt des Teufels. Was der Teufel und das Fegefeuer ist, hatte der Weinbauer und die anderen bereits bei den vergangenen sonntäglichen Predigten gelernt. Hatte es doch so einen Bastard des Teufels auf seinem Hof, den die ganze Familie früher liebevoll pflegte. Nun endlich wurde er aufgeklärt, daß der Bastard die Ausgeburt des Teufels ist. Davon muß er sich sofort trennen um nicht noch größeres Unheil nachzuziehen. Kaum zu Hause fühlte sich der Weinbauer elend wie noch nie im Leben zuvor und faßte einen folgeschweren Entschluß. Das Teufels Werk muß vernichtet und ins Fegefeuer geschickt werden. Was liegt näher als das Feuer selbst zu entfachen – er hatte doch eine Wurzel der Selbstverantwortung inne, wie ihm der Pfaffe erklärte – zum Zeichen der Gottestreue. Diese sollte sein Lebenswerk beenden. Es ist gar nicht so einfach, die eigene Brut zu vernichten. Dazu bedurfte es einer weiteren Vorbereitung, zumindest in der damaligen Zeit. Die Gehirnwäsche war noch nicht soweit, wie heute, daß Pfaffens oder Politikers Geschwurbel ausreichte, um sich und die eigene Brut zu zerstören. Es gab noch keine modernen Medien, die das bewerkstellen konnten. Da erinnerte sich der Weinbauer an den alten Weingeist, der früher manchmal gute Dienste leistete und bei manchen Problemen aus der Patsche half. Gut, manchmal erst am nächsten Tag, frühmorgens kurz vor dem Sonnenuntergang, aber immerhin. Den hatte er befragt. Aber von dem kam keine Antwort oder ein Rat mehr, so wie er es früher gewohnt war, obwohl er ihn intensiv befragte. Wenn selbst der Weingeist mich verlassen hat, will ich dem Hier ein Ende bereiten. Nachdem er aus zwei Flaschen den Weingeist entlassen hatte, zündete Haus und Hof an. Mit ihm verbrannten die bisher alle von ihm so geliebten Lebewesen. Am nächsten Sonntag wetterte der Pfaffe: Seht her, was die Wollust für verehrende Folgen hat. Gottes Zorn hat die ausgelöscht. Des Pfaffen Sprache war etwas undeutlich. Manch einer der restlichen Dorfbewohner erinnerte das an den Weingeist als er die Worte des Pfaffen hörte. Wie dem auch sei. Der Hofooff desschwegge Wolluschdd unn Baschdaaard – rülps rülps istsch middd Fluch ttt belegt. Alleiii mir kenne den vom Fluchhh befreieee. Dabei verfärbte sich seine Kutte wieder in der Mitte als er die vielen Kinderlein sah. Er hielt die rechte Hand schräg nach oben zu Gottes Gruß. Die andere hielt das Gleichgewicht zitternd in der Kutte. Niemand traute sich fortan mehr auf das Grundstück des Weinbauers, aus verständlichen Gründen. Lag doch ein Fluch darauf in Gottes Namen. So kam die Kirche zu ihrem nächsten Grundstück. Niemand sonst wollte es haben, da es mit einem Fluch verhaftet war, den allein die Kirche entfernen kann.
Kommen wir zurück zum Wetter, das dem Birnbauer die Aufgabe seines Hofes erleichterte. Der hieß nicht so, weil er übermäßig Birnen geerntet hätte, sondern weil er einen birnenförmigen Kopf hatte, nur etwas größer, etwa wie eine Melone. Wir werden später erfahren, daß ein großes Hirn nix zum Menschensein beiträgt. Es war ein angenehmer Sommerabend. Er genoß den wunderbaren Sonnenuntergang mit einem Gläschen Weingeist und einer Zigarre auf seiner Terrasse als sich ein Wanderer frohgemut näherte. Gastfreundlich wie die Bauern in Wohlfühlbach nun mal sind, lud es den Fremden zu einem Gläschen Weingeist ein. Es wurde bis spät in die Nacht, bis zum Morgengrauen geplaudert, wobei der Fremde eigentlich nur plauderte. Er erzählte von seiner fernen Heimat, wo Honig und Milch fließen ohne sich anstrengen zu müssen. Er kannte sogar die Frau des Rübenbauers, die sich inzwischen dort besonders wohl fühlt. Die freut sich den ganzen Tag und manchmal die ganze Nacht, daß sie den Schritt gewagt hat, das Bäuerleinleben verlassen zu haben. Nicht, daß man dort nicht arbeiten muß, aber die Arbeit ist dort das reinste Vergnügen ohne sich krummbuckeln zu müssen. Na ja, manchmal macht man dort auch einen Krummbuckel, wenn gewünscht – aber nur zum Vergnügen. Es gibt in der Stadt inzwischen viele Häuser der Freude und solche, in denen überhaupt nicht mehr gearbeitet werden muß. Man muß den ganzen Tag nur dort drin sitzen und warten, bis Honig und Milch hereingetragen werden. Durch ihre Vorbildung fiel ihre neue Aufgabe nicht besonders schwer. Hatte sie doch auf dem Hof früher Hengste gepflegt und die Schwänze gebürstet. Aber diese neue Tätigkeit wollen wir nicht weiter beschreiben. Sie ist der frühkindlichen Erziehung nicht würdig, wenn auch die Pfaffen damit die Kinder gerne auf das spätere ernste Leben vorbereiten wollen und die Grünen heute solche befürworten. Während der Birnbauer immer neugieriger wurde, braute sich ohne daß beide es bemerkten ein großes Unwetter heran. Innerhalb Minuten war der Himmel mit pechschwarzen Wolken behangen, die sich trichterförmig auftürmten. So was hatten beide noch nie gesehen und bestaunten dieses Schauspiel, jedoch nicht lange. Ein schwarzer Wolkentrichter kam mit unheimlicher Eile daher gefegt, riß Haus und Stall in Fetzen, zerstreute Wände, Dächer, Möbel und Vieh auf dem ganzen Acker. Haus und Hof kaputt, Vieh tot und Ernte platt, so die Bestandsaufnahme am nächsten Morgen. Was den Birnbauer besonders verwunderte, war, daß einzig und allein die Terrasse auf der beide saßen unbehelligt blieb. War das nicht ein Zeichen Gottes? Wäre der Fremde mit der braunen Kutte nicht gekommen, hätte er sich frühzeitig aufs Ohr im Haus gelegt und mit dem Sturm bereits tot, weggefegt, irgendwo auf seinem Acker liegend. Er sah keinen Sinn mehr, hier noch weiter zu verweilen. Zumal seine zwei besten Freunde in Wohlfühlbach bereits tot sind. So ging er schweren Herzens mit dem Fremden in die Stadt. Bevor wir die Geschichte des Birnbauers weitererzählen, wollen wir sehen, was aus dem nächsten wurde. Nur so viel sei vorerst verraten, er ist heute verhartzt und das gleich viermal.
Dem Schweinebauer wollen wir eine besondere Aufmerksamkeit widmen. Er wird uns später in der Stadt noch einmal begegnen. Muß den empfindlichen Leser jetzt warnen, weiterzulesen, wenn er sich weiterhin in der schönen Welt der Vergangenheit tummeln will. Der möge sich besser die Rosamunde Pilcher einlullen.
Nun, es war nicht mehr alles so rosig für ihn in Wohlfühlbach nach dem Erscheinen der Fremden. Wie kam es dazu: Er hatte auf seinen Hof einigen der Bauarbeiter, die nach der Vollendung des größten aller Häuser durchgehalten hatten und noch lebten, Brot und Unterkunft gewährt. Verkohlt, verschrödert, ausgemerkelt und ausgeschäufelt , wie sie waren, hatte der Schweinebauer durchaus noch ein Mitgefühl für diese Kreaturen, die Helfer, die in Ketten ankamen, damit sie sich nicht verlieren beim Bauen der Kirche. Der Schweinebauer hatte ein Herz für diese Sklaven, wie wir sie ab sofort nennen wollen und viel später das kleine Arschloch.
Seit er sah, wie die sich in seiner Obhut benahmen, kamen ihm neue Gedanken. Übertrafen sie sich gegenseitig an Arbeitseifer aus Dankbarkeit für einen Teller Klosbrühe am Tag. Die Klosbrühe hatte er kennengelernt als er das erste zerlegte Schwein in das Kloster liefern durfte, das inzwischen auf dem ehemaligen Hof des Rübenbauers steht. Für das fette zerlegte Schwein bot man ihm einen Teller Klosbrühe und ein ‚Vergelts Gott‘ an. Man mag ja Schweinebauern zu den geistigen Existenzminimalisten zählen, aber das ließ ihn seine Stirn runzeln. War es bisher nicht so in Wohlfühlbach, daß jeder sein Bestes gab und im Tauschhandel zufrieden leben konnte. Nun das hier: Vergelts Gott.
Hat der vergeltende Gott jemals Schweine gefüttert, mein Haus gedeckt oder mir Schuhe genäht? kam ihm in den Sinn. Soll ich von nun an Vergelts Gott an meine Füße schnallen? Er ahnte noch lange nicht, daß mit Vergelts Gott die erste Steuer eingeführt wurde um ihn vor Gottes Zorn zu schützen. Zunächst war der Schweinebauer etwas verwirrt. Er hatte das nicht erwartet, da er bisher gewohnt war, seinen Hof selbst zu bearbeiten. Aber wenn die sich sogar um die Arbeit auf dem Hof für einen Teller Klosbrühe prügeln, warum dem nicht so geschehen lassen. Er hätte sie gerne an den üppigen Mahlzeiten teilhaben lassen, die auf den Bauernhöfen üblich waren. Aber diese wollten gar nichts mehr als Klosbrühe. Jeder soll bekommen was er braucht, war die Einstellung der Menschen bisher in Wohlfühlbach. Daher gewöhnte sich der Schweinebauer schnell an die Bedürfnisse dieser kleinen Arschlöcher. Zumal die Nachfrage nach seinen landwirtschaftlichen Erzeugnissen immer größer wurde. Das konnte er eh bald nicht mehr allein stemmen. War er bis zum Erscheinen der Pfaffen und er Sklaven ein redlicher Schweinebauer, so wie jeder andere Landwirt oder Handwerker in Wohlfühlbach, so kamen ihm ganz neue Gedanken in den Sinn, zumal die Nachfrage an Schweinen immer größer wurde und er im Tauschhandel gar nicht mehr so viel Gegenleistung annehmen wollte, die zudem noch unnütz waren. Mit den Pfaffen wurde er bald einig. Sie hatten ihm an jedem Tag des Herrn, am Sonntag, an dem jeder in der Kirche zu erscheinen hatte, erklärt, daß ihn der Blitz erschlagen würde, wenn er nicht weiterhin Schweine für Gottes Vergeltung liefern würde. Hatten sie ihm nicht für den irdischen Ausgleich die Sklaven geschickt. Nun, ihm fuhr das bis in die Knochen. Erinnerte er sich doch an den Zorn Gottes, wenn man seinen Gesetzen widerlebt. Das Drama des Weinbauers reichte um ihn in die Wirklichkeit zurückzuholen.
Nun, bisher ging es ohne das ab, was wir heute Geld nennen. In Wohlfühlbach war alles dem natürlichen Fluß in Liebe von Geben und Nehmen vorhanden. Das änderte sich nicht nur durch die Eindringlinge von Pfaffen von jetzt auf nachher, sondern auch für lange Zeit als drei Pferdefuhrwerken mit in feinem Zwirn bekleideten Herren vorfuhren. Sie wollten Schweine, Gemüse und Obst für die Stadt einkaufen und boten ihm dafür ein paar kleine runde Blechscheiben, die sie Moneta nannten. Zuerst schüttelte er sich vor Lachen bei dem Anblick dieser putzigen kleinen Blechdinger, mit denen man nicht einmal einen Pferdefuß beschlagen kann. Er wurde aber bald eines besseren belehrt, welche wunderbaren Sachen man mit diesen Moneta machen kann. Er erinnerte sich jetzt auch daran, im Klosterhof einmal eine ganze Karre voll davon gesehen zu haben, ohne daß er dem eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt hätte. Nachdem er sich bockig stellte, Schweine für ein paar dieser Moneta zu tauschen, luden sie ihn für zwei Tage in die Stadt ein, von der er bisher nur Gerüchteweise gehört hatte. Nach der Rückkehr war die Welt für ihn wie verzaubert. Öffnete ihm die Moneta Tür und Tor in der Stadt. Fressen, saufen und rumhuren, kleine Arschlöcher schikanieren – all die Freuden, die er bisher nicht vermißt hatte, weckten in ihm ein neues Lebensgefühl. Fortan war er nicht mehr der redliche Schweinebauer. Das bekamen auch bald die kleinen Arschlöcher zu spüren, die sich für einen Teller Klosbrühe am Tag auf seinem Hof – diesmal freiwillig abrackerten. (Anm. d. Erzählers: Ludwig der Träumer nennt diese Freiwilligen heute das kleine Arschloch.)
Es muß ein besonderer Zauber auf den kleinen runden Scheiben liegen, damit sie einen redlichen anständigen Schweinebauer bis zum Investmentbanker verbiegen können. Ich habe euch jetzt die Zukunft des Schweinebauern in der Stadt verraten. Er hat seinen Hof an einen Investor für eine Karre voll Moneta getauscht, den er im Haus der Freude in der Stadt kennenlernte. Der lehrte ihn auch, wie man aus einer Karre voll Moneta ohne Mühe ganz viele machen kann – er wurde Investmentbanker. Während sich der Monetaspeicher des Investors und des Investmentbankers von Tag zu Tag verdoppelte, halbierte sich die Tagesration Klosbrühe auf dem Schweinehof. Zum Ausgleich durften die kleinen Arschlöcher das Doppelte schuften. Sie nahmen es ohne Murren hin, bis heute, hat sich der Erzähler sagen lassen. Erfanden sogar allerlei Dinge, die sie nach Feierabend für die die Mühsal auf dem Schweinehof belohnen sollten. Wir brauchen die hier nicht erwähnen. Sie sind heute aus Rundfunk, Fernsehen und Briefkastenwerbung, sowie aus dem Stau auf den Autobahnen wohlbekannt.
Während der ehemalige Schweinewirt, der Pfaffe und der Investor so fett wurden wie die Schweine, die das kleine Arschloch durch liebevolles Füttern pflegt mit Monsanto-Kekse, die der Erzähler Soilent Green nennen will, verhartzt sich das kleine A. gleich viermal. Liebt sogar die ehemaligen Schweinehirten und – vor allem, den ehemaligen Wanderer, der sie vor dem Regen schützen wollte. Wählt sie alle paar Jahre als ihre Führer. Ja, bleibt ihnen sogar über Jahrtausende treu.
In stiller Stunde kannst du lieber Zuhörer des neuen Dorftrottels Stimme vernehmen:
Hoffst auf Besserung, du Sklave – du kleines A., daß dir irgendwann jemand deine Ketten wegnimmt? Merkst du überhaupt noch, daß du Fesseln anhast? Fühlst dich bereits zur Elite, wenn du in der Waffenfabrik nicht mehr am Band malochen mußt, sondern in dem Käfig frei herumlaufen kannst.
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Étienne de La Boëtie, „Von der freiwilligen Knechtschaft des Menschen“ schrieb dazu vor 500 Jahren:
„O ihr armen, elenden Menschen, ihr unsinnigen Völker, ihr Nationen, die auf euer Unglück versessen und für euer Heil mit Blindheit geschlagen seid, ihr laßt euch das schönste Stück eures Einkommens wegholen, eure Felder plündern, eure Häuser berauben und den ehrwürdigen Hausrat eurer Väter stehlen! Ihr lebet dergestalt, daß ihr getrost sagen könnt, es gehöre euch nichts; ein großes Glück bedünkt es euch jetzt, wenn ihr eure Güter, eure Familie, euer Leben zur Hälfte euer Eigen nennt; und all dieser Schaden, dieser Jammer, diese Verwüstung geschieht euch nicht von den Feinden, sondern wahrlich von dem Feinde und demselbigen, den ihr so groß machet, wie er ist, für den ihr so tapfer in den Krieg ziehet, für dessen Größe ihr euch nicht weigert, eure Leiber dem Tod hinzuhalten. Der Mensch, welcher euch bändigt und überwältiget, hat nur zwei Augen, hat nur zwei Hände, hat nur einen Leib und hat nichts anderes an sich als der geringste Mann aus der ungezählten Masse eurer Städte; alles, was er vor euch allen voraus hat, ist der Vorteil, den ihr ihm gönnet, damit er euch verderbe. Woher nimmt er so viele Augen, euch zu bewachen, wenn ihr sie ihm nicht leiht? Wieso hat er so viele Hände, euch zu schlagen, wenn er sie nicht von euch bekommt? Die Füße, mit denen er eure Städte niedertritt, woher hat er sie, wenn es nicht eure sind? Wie hat er irgend Gewalt über euch, wenn nicht durch euch selber? Wie möchte er sich unterstehen, euch zu placken, wenn er nicht mit euch im Bunde stünde? Was könnte er euch tun, wenn ihr nicht die Hehler des Spitzbuben wäret, der euch ausraubt, die Spießgesellen des Mörders, der euch tötet, und Verräter an euch selbst? Ihr säet eure Früchte, auf daß er sie verwüste; ihr stattet eure Häuser aus und füllet die Scheunen, damit er etliches zu stehlen finde; ihr zieht eure Töchter groß, damit er der Wollust fröhnen könne; ihr nähret eure Kinder, damit er sie, so viel er nur kann, in den Krieg führe, auf die Schlachtbank führe; damit er sie zu Gesellen seiner Begehrlichkeit, zu Vollstreckern seiner Rachbegierden mache; ihr rackert euch zu Schanden, damit er sich in seinen Wonnen räkeln und in seinen gemeinen und schmutzigen Genüssen wälzen könne; ihr schwächet euch, um ihn stärker und straff zu machen, daß er euch kurz im Zügel halte: und von so viel Schmach, daß sogar das Vieh sie entweder nicht spürte, oder aber nicht ertrüge, könnt ihr euch frei machen, wenn ihr es wagt, nicht euch zu befreien, sondern nur es zu wollen. Seid entschlossen, keine Knechte mehr zu sein, und ihr seid frei. Ich will nicht, daß ihr ihn verjaget oder vom Throne werfet; aber stützt ihn nur nicht; und ihr sollt sehen, daß er, wie ein riesiger Koloß, dem man die Unterlage nimmt, in seiner eigenen Schwere zusammenbricht und in Stücke geht.“