Ein Polit-Märchen

Ein Polit-Märchen

Marianne war gegen seine Mitgliedschaft in der W-3. Die ist für meine Aufträge wichtige, entgegnete er immer wieder. Heute war davor noch ein wichtiger Termin. Was sollte er für das Treffen mit dem Bürgermeister und dem Landesrat anziehen? Sie war schon weg, nur das Frühstück hatte sie ihm noch gerichtet.

Die Lederhose? Ja. Immer öfter wollte er das Klischee des schwarz gekleideten Architekten brechen. Das bestickte Hemd, die dünne Lederjacke und die handgenähten Gamslederschuhe würden auch für die W-3 passend sein, falls er nicht mehr nach Hause kommen konnte.

Der gemeinsame Mac war noch offen – Marianne hinterließ ihm ein Kussbild und ihr Fragezeichen für den Abend.

Treffe heute zwei ‚Promi-Germler‘, fügte er hinzu, abends bin ich in der W-3, du weißt, Kuss auch.

Nochmals öffnete er die Einladung für heute:

„Lieber Georg Knopf,

wir ersuchen Dich um ein hoch vertrauliches Beratungsgespräch bezüglich geplantem Abbruch der beiden Hochhäuser, du weißt schon. Aufträge stehen an, Du wirst überrascht sein!

liebe Grüße, Erich Huder und Herbert Sporl“

Gemeinsam waren Erich, Herbert und er in der GRM gewesen und manchmal waren sie schon um 05.30 Uhr vor den Werkstoren der Fabrik gestanden und hatten Flugblätter verteilt. Inzwischen beschränkten sich die revolutionären Aktivitäten auf Konzertbesuche von Konstantin Wecker oder Hans Söllner. Erich war vor einigen Jahren Vorsitzender der Sozialdemokraten geworden. Als Landesrat für Wohnbaufragen hielt er den Kontakt mit Georg aufrecht, ließ ihm Planungen zukommen. Politik klammerten sie aus. Der Sporl Herbert war schon damals ein Abweichler gewesen, jetzt als Bürgermeister soll er angeblich ein ziemliches Arschloch geworden sein.

Georg hatte einen Plan: Hans Ehrenhauser, der Pfarrer, war glühender Sozialdemokrat, aber gegen den Abbruch der beiden Hochhäuser. Ein offenes Jugendhaus wollte er vom Landesrat. Georg hatte mit ihm ein zufällig aussehendes Treffen im Landhaus vereinbart, um anschließend gemeinsam beim Termin von Erich Huder und Herbert Sporl zu erscheinen. „Ich lasse mir noch etwas einfallen“, hatte der Arbeiterpriester gesagt.

„Hallo Erich“, Georg schritt als Erster ins riesige Büro. „Ich habe eine Überraschung. Eben habe ich bei Deiner Assistenz Hans Ehrenhauser getroffen. Er wollte mit dir über die Wohntürme am Plateau reden, da habe ich ihn gleich mitgenommen. Ist das ok?“

Erich und Herbert tauschten Blicke aus.

„Klar, ich freu mich Dich zu sehen Hans“, ergriff Erich das Wort und bat alle Platz zu nehmen. Hans zog zwei schmale, aktenkoffergroße Schachtel aus seiner Stofftasche und legte sie auf den Stuhl neben ihm. „Kaffee?“, frage die Assistentin und schloss die Tür.

„In den nächsten drei Stunden will ich nicht gestört werden“, rief ihr der Landesrat nach.

Noch bevor Erich eröffnen konnte breitete Hans am großen Tisch den Plan seiner Pfarre aus. Mitten drauf stellte er die beiden mitgebrachten Prismen, eine für Hans Ehrenhauser typische Bastelarbeit. 44 übereinander geklebte Zündholzschachteln und 20 solche Reihen nebeneinander wurden jeweils zu einem großen Block mit den herausnehmbaren Laden zusammengefügt. Beide waren in den Farben der Hochhäuser bemalt.

„Schaut her“, sagte er und zog eine kleine Lade heraus: „In jeder dieser Laden sind verschiedenfärbige, kleine Kügelchen. Wie in unseren Häusern am Plateau. Ich möchte von Euch nur wissen, wie und wo ihr diese Kügelchen unterbringen werdet, welche neuen Laden ihr für sie vorgesehen habt, wenn ihr die Wohntürme wirklich abreißen lässt?“

„Woher haben Sie die Information“, unterbrach ihn der Bürgermeister.

„Von wem ich die Information habe, sage ich nicht, aber Georg war es nicht.“

Wieder schauten sich Erich und Herbert an.

Nach einer leicht peinlichen Pause suchte Erich einen Ausweg: „Georg, jetzt bist du dran. Du bist doch damals in den 70ern gegen den Bau der beiden Hochhäuser gewesen. Jetzt kannst du die alten Zustände wieder herstellen. Wir kennen deine Qualitäten als Architekt, aber auch deine Fähigkeit Projekte zu managen. Der Bürgermeister und ich schlagen dich als Projektleiter für das Abbruchprojekt vor.“

Vergeblich suchte Georg Augenkontakt zu Hans.

In den 70ern war er wirklich gegen diese Wohnsilos gewesen, sie hatten in der GRM vor jenen Folgen gewarnt, die ihnen jetzt zu schaffen machten. Daran würden sich die beiden Politpromis wohl erinnert haben. Marianne fiel ihm ein. Gemeinsam hatte sie Hans zu zwei Diskussionen eingeladen, wie die Wohnumwelt am Plateau zu verbessern sei. Auch eine Familie hätte abgeschoben werden sollen und war in einem der Hochhäuser so geschickt versteckt worden, dass sie die Polizei nicht finden konnte. Er hatte mit Marianne in der Versammlung die Wohnbau- und Sozialpolitik der Stadt heftig attackierte.

Jetzt musste seine Strategie aufgehen.

„Ich danke euch für euer Vertrauen“, begann er langsam, Hans blickte ihn jetzt an. „Ja, ich nehme diese Herausforderung an und ich gehe davon aus, dass ich in der Vorprojektplanung noch meine Gedanken und Anforderungen dazu einbringen kann.“

Jetzt waren es wieder die beiden Politiker, die Blicke tauschten. Hans‘ Augen leuchteten spitzbübisch. Hans mochte den Bürgermeister nicht. Zu viele Gemeinheiten wurden ihm von den neu zugezogenen Gastfamilien zugetragen. Jetzt musste er sich einmischen: „Projektplanung, das ist ein wesentlicher Punkt, der fehlt. Da mache ich mit, Georg. Wen schlägst du noch vor?“

„Ich benötige unbedingt jemanden mit Erfahrung in der Integrations- und Sozialarbeit, das könnte Marianne machen, ihr kennt sie alle, dann jemanden der die Stockwerks- und Hausvertreter organisiert und vertritt, Hans, das könnte deine Rolle sein und noch jemanden von der Gemeinde zur organisatorischen Unterstützung und jemanden vom Land für die Finanzen. Geht das ok, Erich?“

Herbert ergriff das Wort: „Von Sozialarbeit haben wir nicht gesprochen. Georg, du sollst den Abbruch organisieren. Alle Achtung dem Herrn Pfarrer, ihn werden wir befragen, wenn es notwendig ist.“

Georg stand auf, die beiden Zündholzschachtelhäuser standen noch immer am Tisch, er öffnete zehn, zwölf Laden, die bunten Kügelchen erzeugten Rollgeräusche. „Beinahe 10.000 verschiedenfarbige kleine Kugeln“, murmelt er vor sich hin. „Ich bin ganz mit Hans‘ Mitarbeit einverstanden. Wenn wir ein Konzept ausarbeiten können, bin ich gerne mit dabei. Ihr wollt doch sicher keinen Abbruch verantworten, bei dem hunderte Familien auf der Straße landen würden?“

Die geplanten drei Besprechungsstunden waren bei Weitem nicht aufgebraucht, Erich nahm sein Blackberry. Ganz plötzlich hatte er einen unaufschiebbaren Termin. „Können wir uns in den nächsten Tagen zu einem Mittagessen treffen?“, fragte er Georg. „Wir sollten da nochmals drüber reden.“

Hans trug seine ‚Häuser‘ hinaus, versteckte sich kurz dahinter und zwinkerte Georg nochmals zu, Georg blieb bei der Assistentin stehen, um einen Essenstermin zu vereinbaren. „Soll ich Marianne gleich mitbringen?“, rief er dem hinauseilenden Erich Huder noch nach. Dessen „mh, mh“ deutete er positiv und grinste die Assistentin an. Sie schlug für Freitag, um 13.30 Uhr die Trattoria da Giuseppe in der Herrengasse vor.

Georg hatte noch Zeit, die wichtigsten Zeitungen im Gastgarten vom ‚Hotel Wolfinger’ zu lesen. Er zeichnete eine erste Organisationsstruktur des Projektes auf, notierte erste Ziele und Nichtziele in sein Notizbuch und hinterließ auf Hans‘ Anrufbeantworter die Bitte um Rückruf. Warum der immer noch kein Handy hat? Er lächelte still: Gemeinsam mit Marianne wird Erich keine Chance haben.

Unauffällig begab sich Georg in den dritten Stock des ‚Wolfinger‘ um die nacheinander eintreffenden Mitglieder der W-3 zu begrüßen. Vom neuen Projekt wollte er nichts erzählen.

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