Wie würde Thomas Mann die heutige Politik in Europa einschätzen und würde er im 21. Jahrhundert als Literat Anerkennung bekommen, oder den Nobelpreis?
Seit dem Besuch auf der Ostseeinsel Hiddensee begleitet er mich auf meiner Norddeutschlandreise. Auch seine Familie. Er hätte sich sein bürgerliches Leben ohne die väterliche Rente aus Zinsen des angehäuften Besitzes gar nicht leisten können. Hat ihn sein Vater mit seinem Vermächtnis doch noch zu einem anerkannten Mitglied des Bürgertums gemacht, obwohl, oder weil er in seinen wilden Jahren sozialistische Tendenzen zeigte?
Es ist gut möglich. Das Buddenbrock Haus in Lübeck ließ früher Gelesenes, Verschwommenes, oder nur mehr Geahntes neu auferstehen. Die lebenslustige Mutter, der verachtet und geliebte Bruder Heinrich, die stille Ablehnung des Vaters und des Bürgertums, die Thomas Mann mit seinem Hauptwerk, „Die Boddenbrocks“ verarbeitet hatte. Sein Leben war dann doch bürgerlich. Seine gesellschaftskritische Einstellung hatte er 1914 mit der Kriegsbefürwortung (wie viele andere Intellektuelle) auf Eis gelegt.
Wurden ihm die ambisexuellen Neigungen verziehen, weil man darüber nicht ernsthaft sprechen wollte, weil er damit nicht aus den Normen ausgebrochen war (Ehe und Kinder), oder weil er berühmt geworden war?
Thomas Manns Zeit in München war wilder und freier als jene in Lübeck. Es war der Aufbruch und der Versuch Neues mit der Räterepublik umzusetzen. Sein Bruder Heinrich hatte nicht nur den Ersten Weltkrieg abgelehnt, er war auch bekennender Linker. Erich Mühsam und der Versuch als Bohemien in München zu leben prägten Thomas nur wenig. Mit den Geldern aus dem Familienbesitz und dem „Zubrot“ des Nobelpreises1929, wurde ihm das bürgerliche Leben wieder wichtiger. Er wurde Instanz für andere Schriftsteller, für das kulturelle Leben in Deutschland – bis die Nazis an die Macht kamen. Sie hatten Erich Mühsam bereits 1934 im KZ Oranienburg ermordet, und die Familie Mann in viele Teile der Welt vertrieben.
Heute sind sie wieder alle vereint, im Buddenbrock Haus in Lübeck, im Ratskeller zu Lübeck und geistig auch in den vielen Kulturaktivitäten Lübecks. Am 12. September 2015 fand die „Theaternacht in Lübeck“ statt. Im Theatersaal eines Schiffes an der Trave endete der Abend für mich mit der Ehrung der „Kapitalistenschweine“, die besondere Form einer Publikumsbeteiligung, in der lokale Kunstdarbietungen über das Füllen von Sparschweinen gekürt werden.