Kurz wird Kanzler – außer er begeht den Fehler, den Einzigen zu unterschätzen, der ihn noch einbremsen kann.

Jakob Glaser (oevp Website)

Irgendwie hat er politisch sehr viel richtig gemacht. Er hat sich als Außen- und Integrationsminister an die Spitze der politischen Beliebtheit gebracht. Er hat seiner ÖVP eine harte, aber notwendige Strukturreform verpasst. Er hat sich für die Neuausrichtung seiner Kurz-Bewegung in der ÖVP noch nie da gewesene Handlungsvollmachten verschafft. Es könnte ihm gelingen, sein Regierungsteam so breit, attraktiv und unabhängig aufzustellen, dass die anderen Parteien und ihre Parteichefs daneben alt aussehen. Er könnte rechte FPÖ-Wähler abwerben, liberale NEOS-Wähler zurückgewinnen und auch nicht eingefleischte Wähler der Grünen und SPÖ holen. Er könnte – wie Macron – das Tempo der Reformen in Österreich bestimmen. Jetzt hat er auch noch einen Wahltermin erreicht und den Vizekanzler-Job vermieden.

Warum er dennoch scheitern könnte? Wenn er den bisherigen Kardinal-Fehler seiner Partei – und der anderen Parteien – wiederholt, nämlich den Mittelstand zu unterschätzen: Diesen nur halbherzig in Vorwahlzeiten und bewusst mit der Mittelschicht vermengend anzusprechen, um nachher dessen Steuergeld und Wirtschaftskraft nur dafür zu verwenden, die Umverteilung von ihm zu Arm und Reich fortzusetzen. Der Mittelstand ist aber eine starke Wertegemeinschaft rund um die KMU und Freiberufler, welche auf Leistung, Eigentum, Nachhaltigkeit und Fairness setzt und sich eine weitere Benachteiligung nicht mehr gefallen lassen will. Und der Mittelstand wird auch ganz genau hinsehen und erkennen, ob er nicht wieder nur in Wahlzeiten mit unernsten Versprechen geködert wird oder von einer Partei ernsthaft in Bezug auf Rahmenbedingungen und Durchsetzungsvermögen unterstützt wird. Was ja letztlich allen zu Gute käme, bzw. die Erhaltung unseres Staates erst ermöglicht.

Die Fehler der alten ÖVP

Die „alte ÖVP“ muss sich eingestehen, dass sie trotz traditioneller Mittelstands-Nähe in Koalitionen immer wieder dem Drängen des Koalitionspartners SPÖ folgend bei Steuerbenachteiligung, Bürokratie-Aufbau (z.B. für KMU ruinöse Arbeitnehmerschutz-Bestimmungen) und Leistungsfeindlichkeit in der Bildungspolitik zugestimmt hat. So gesehen würde es Sebastian Kurz gut anstehen, sich einmal beim Mittelstand für dieses langjährige Fehlverhalten zu entschuldigen. So wie sich Kern bei seinen Wählern für zu viel Willkommenskultur entschuldigt hat.

Würde Kurz den Mittelstand tatsächlich ignorieren, eröffnet er seinen derzeit vordergründig in der Defensive befindlichen Wahl-Konkurrenten die Möglichkeit dieses Feld zu besetzen und seine Nr.1-Ambition einzubremsen. Nicht vergessen, der Mittelstand ist zwar ziemlich heterogen, aber 63% der Österreicher halten ihn für sehr wichtig, 32% fühlen sich ihm zugehörig und 18% sehen keine der bestehenden Parteien als für den Mittelstand wählbar an! Das müsste also angesichts der aktuellen Sonntagsfrage-Wähler-Präferenzen nicht nur für die Liste Kurz, sondern für alle im Nationalrat vertretenen Parteien ein Grund sein, sich dazu etwas Neues einfallen zu lassen.

Wolfgang Lusak

Schulgasse 18, 1180 Wien, tel 01/ 315 45 36

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