Jürgens-Tod: Kollektive Trauer als Medienphänomen

Als der nordkoreanische Diktator Kim Jong-il 2011 starb, löste das in dem hermetisch abgeriegelten Land schon durch den jahrelangen Führerkult um die Person des Diktators tiefe Verunsicherung, Trauer und gar Hysterie aus. Natürlich wurden uns vom Staatsfernsehen mit Informations-Monopol auch nur entsprechende Bilder der Ereignisse danach mit Trauerbekundungen usw. geliefert.

Von Nordkorea über Kärnten bis nach England

"Diese dummen fanatisierten Menschen." - "Das ist halt typisch für autoritäre Ideologien, Gehirnwäsche und Fanatismus, Hysterie durch jahrelange Propaganda" waren da oft unsere abschätzigen Erklärungen für das Phänomen, dass da für Menschen scheinbar nicht "eine", sondern "ihre Welt" zusammenbrach. Ähnliches war nach dem öffentlichen Tod von Stalin oder Mao in früheren Jahrzehnten zu beobachten, beide bauten um ihre Person jahrzehntelang Führerkulte auf mithilfe monopolistischer Medien.

Dabei haben wir selbst in unserem Kulturkreis und innerhalb der Staatsgrenzen nach dem plötzlichen Unfalltod von LH Dr. Jörg Haider, der in Kärnten weithin als "Landesvater" gesehen wurde, sehr Ähnliches erlebt, von Lichter- und Rosenmeeren über Fahnen auf Halbmast usw. Ein Landespolitiker verstieg sich sogar zu der Aussage "Mit Jörg Haider ist die Sonne vom Himmel Kärntens gefallen." Weiteres aktuelles Beispiel wäre der Tod der allseits geschätzten Nationalrats-Präsidentin Maga. Barbara Prammer u. die folgenden Trauerfeiern.

Mir liegt es fern, Kärnten mit Nordkorea u. Dr. Jörg Haider mit Kim Jong-il gleichzusetzen, sein Tod zeigt aber: das Argument, es liege an Diktatur u. Medienmonopol greift jedenfalls nicht. Die Erklärung muss tiefer liegen, deswegen will ich die Politosphäre verlassen und den plötzlichen Tod von Udo Jürgens zum Anlass nehmen, ein für mich übergeordnetes Phänomen in Erinnerung zu rufen, das auch beim plötzlichen Unfalltod von Lady Di 1997 klar zu beobachten war:

"Medien - und da vor allem Massenmedien - schaffen es unabhängig vom politischen oder institutionellen Rahmen in dem sie wirken, bei konzertierter, gleichlautender Berichterstattung - aus welchen Gründen immer - über Tage hinweg Kollektive Trauer bis hin zur Massenpsychose auszulösen."

Klarerweise können Medien keine Massentrauer ohne jegliche Grundlage auslösen, sowohl Lady Di als auch Udo Jürgens waren Persönlichkeiten, die massiv in der Öffentlichkeit standen, Verehrung und Anerkennung genossen und große Fan-Gemeinden hatten und haben.

Wären beide nach langer Krankheit und erwartbar verschieden bzw wie im Falle Lady Di unter weniger tragischen u mysteriösen Umständen, hätten wir auch niemals eine derartige Berichterstattung. Denn berichtet wird über "News", "Neues". Ein dahinsiechender Schlagersänger mit erwartbarem Tod ist da weniger News als der plötzliche Herztod desselben klarerweise.

Warum es zum Massenphänomen wird

Die Macht der Medien ist dort wohl am stärksten, wo sie mit Bildern arbeiten kann. Deswegen sind nun Dokumentationen über das Leben, die Auftritte und Interviews, die Begeisterung seiner Fans so "gefragt", ZeitzeugInnen u WeggefährtInnen am Wort, bis die Trauerfeierlichkeiten übertragen werden können.Durch exzessive Wiederholung auf allen Kanälen, ständige Konfrontation mit den Bildern aus Leben, Wirken, Ereignissen des und rund um den Toten und vor allem offen gezeigter Trauer Anderer kommt es für mich zu einem "Ansteckungseffekt", der bisher unbeteiligte mitreisst, über massenpsychologische Effekte können wir uns letztlich nicht mehr entziehen, auch wenn Jürgens uns zu Lebzeiten vielleicht relativ egal war. Da nehme ich selbst mich nicht aus, heulte auch ungehemmt, als Lady Di konkret zu Grabe getragen wurde, auch ohne Monarchist zu sein.

Für Angehörige, Familie, enge FreundInnen sind es gerade diese Tage die zu den Schlimmsten gehören, weil mitten in ihrer Trauer u. Schock massiv Öffentlichkeit u. Warum aber machen die Medien das, warum tun sie das allen Beteiligten an?!

Die Motivation der Medien

Die Motivation für die Medien, über einen Todesfall - ein für die Angehörigen, Familie und Freunde zutiefst privates, persönliches Ereignis - derart exzessiv zu berichten ist unterschiedlich. Bei Staatenlenkern egal ob in Dikaturen oder Demokratien sehen schon Zeremoniell u. diplomatische Beziehungen große Trauerfeiern vor, Bundespräsidenten haben sogar die mitunter ihnen verhasste Ehre, in der Staatsgruft u. im Ehrengrab bestattet zu werden. Bei Celebrities und Entertainern wie Udo Jürgens kann es das Management sein, das auch posthum die Fäden zieht, der "Plattenvertrag" läuft so über den Tod hinaus. Faktum ist, dass Musikverkäufe posthum emporschnellen, ein Riesengeschäft so zynisch das klingt. Medien entschuldigen sich mit "Wir berichten was ankommt", "Wir leben von Auflage" - Schon, nur zu welchem Preis? Kritisch für die Amplitude dieser Medienwelle sind Massen-medien, die auch Massen steuern können. Würde eine Vielzahl an Meinungen, Botschaften kommen wie zu Sachthemen könnte alles im Rahmen und gestoppt sein.

Müssen wir uns nun schämen, in diese Massenhysterie hineinzukippen, Trauer für jemand zu empfinden dem oder der wir nie begegneten? - Ich denke "Jein." Wenn mir Werk, Schaffen und Biografie von jemand nahegehen und ich es schon lange verfolge, wenn meine Anteilnahme so auch bei Unprominenten da wäre - dann darf ich auch klar Trauern, über das "R.I.P" das jedem Menschen gebührt hinaus. Letztlich ist auch das Ausdruck von Empathie, kollektiv fühlen. Gefährlich wirds, wenn Jürgens Projektionsfläche für selbst nicht Gelebtes, Trauer um ihn Ersatz fürs eigene Leben, Familie, echtes Mitgefühl wird, Fan-sein Lebensinhalt war.

“Never underestimate the power of stupid people in large groups.”

Beiträge zu Massenpsychosen wären in diesen Tagen unvollständig bleibt man bei Trauerfällen, der aktuelle Wahnsinn der rational und im Faktencheck nicht zu erklärenden PEGIDA-Aufmärsche zeigt die wahre Gefahr der Massen-Psychose: kollektive Verhetzung, Mobbildung, Unruhen bis hin zu Pogromen sind die brandgefährliche Kehrseite dieser kollektiven Psychosen, speziell wenn sie von Demagogen und skrupellosen Führungscliquen angeheizt und angezetttelt werden.

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Silvia Jelincic

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