Das Bedürfnis, Antworten auf die Fragen “Wer bin ich”, “Woher komme ich”, “Was macht mich aus”, “An was glaube ich”, “Wo gehöre ich dazu” und die Sehnsucht, zu einem größeren, sozialen Ganzen “dazuzugehören” ist urmenschlich und wohl so alt wie die Menschheit selbst. Daher ist es extrem legitim und auch wichtig, für sich Antworten auf diese Fragen zu finden und so seine eigene Identität, Wirklichkeit und Situation zu definieren, verstehen und auch aktiv zu leben.
Missbrauchte Identitäts-Suche
Seit Ewigkeiten bedienen sich auch Ideologie, Politik und Religion dieser Sehnsüchte und Fragestellungen und versuchen den Menschen Antworten und Lösungen zu geben, verführen und manipulieren sie teilweise aber auch damit. In der jüngeren Europäischen Vergangenheit wurden im Namen der Begriffe “Volk”, “Vaterland” und “Heimat” oder sogar “Rasse” grausliche Kriege geführt, unbeschreiblich abartige Verbrechen wider die Menschlichkeit begangen und mit dem Holocaust ein gigantisches, unbegreifliches Grauen entfesselt.
Nach vielen Jahrzehnten, in denen das Gedankengut das hinter diesen Irrwegen steht zu Recht gebannt schien bedienen sich aber heute wieder vermehrt Nationalismus, Rassismus und verschiedenste politische Parteien dieser Begriffe, machen sie wieder salonfähig und instrumentalisieren sie für ihre Zwecke. Um gegen Anderersseiende und -denkende zu hetzen und abzugrenzen, seien sie Menschen mit Migrationshintergrund, AusländerInnen, Gläubige anderer Religionen oder einfach Menschen mit anderen Lebensentwürfen und -stilen.
Wie aber kann eine moderne Form der Identität aussehen, die nicht auf diese kranken, überholten Muster und überlebten Begriffe zurückgreifen will. Für mich beginnt diese Identität zunächst doch wieder bei mir selbst, bei meiner Herkunft, bei der Kultur, die mich und meine Umgebung prägen und bei den Werten an die ich glaube. All diese Dinge mache ich mir bewußt, lebe sie und aus ihnen heraus, treffe meine Entscheidungen und wähle und gestalte meine Umgebung und Umwelt entsprechend, bringe mich ein.
"Identität ist niemals etwas Eindimensionales, niemals an einer Eigenschaft, Dimension, festzumachen, wie so Vieles extrem vielschichtig."
Identität weit über Volk und Rasse hinaus
Natürlich knüpft das "Wo gehöre ich dazu?" auch an meine aktuelle Verortung an, an meine Verortung in Vergangenheit und vor allem prägender Jugend. Gerade MigrantInnen und Menschen für die Teilaspekte ihres Lebens wie Job, Freunde, Kern-Familie und weitere Verwandtschaft aus welchen Gründen immer an teils weit entfernten Orten stattfinden fühlen sich oftmals hin- u. hergerissen, ja zerrissen. Aber definieren soziale Schicht u. Ausbildung nicht auch sehr stark wer ich bin, meine Identität, mein Selbstverständnis?
Kann der Mensch heute dank Aufklärung, Ent-Ideogisierung der Begriffe, geringeren sozialen und wirtschaftlichen Folgen von Ortswechseln und mit höherer Mobilität auch Zugehörigkeits-Gefühl zu Ort, Region, Nation schneller schaffen? Ich denke er oder sie kann. Migration und Mobilität sind heute Selbstverständlichkeit, im Leben nicht mehr wegzudenken, "Zugezogene" keine Exoten u. Ausnahmen mehr sondern eher die Regel. Daraus folgt höhere Toleranz, Verständnis, besseres Umgehen mit der Situation. Brauchbarer Weg sind oft zu beobachtende Adjektiv-Identitäten, etwa wenn sich Menschen mit türkischen Wurzeln und/oder Vorfahren "türkische Österreicher" nennen, "Österreicher mit türkischen Wurzeln. Eine Studie für doch sehr patriotisch geprägte USA belegt, dass erst in 2. Generation sich über 50% als "Amerikaner" fühlen, dagegen wandelt sich Identität deutlich schneller.
Mit Gefühl "Vorarlberger", "Österreicher", "Europäer", "Weltbürger" usw. zu sein hört aber Identität heute für mich niemals auf, denn sie wird erst im Miteinander wirklich gelebt, nach außen vertreten und kommuniziert, soll und muß laufend hinterfragt und diskutiert werden, unterliegt ständigem Wandel. Und hier unterscheidet sich der moderne, aufgeklärte Umgang mit der eigenen Identität grundlegend von Konzepten anderer, eher rückwärts gewandter, überlebter und überholter Zugänge.
Nicht abgrenzend, ausgrenzend und ausschließend und als Waffe gegen Andere will ich meine Identität gebrauchen, verstanden wissen und vertreten. Sondern als Angebot, als Information und als Konzept, Erfahrungsschatz für meine Umgebung, das sie zur Kenntnis nehmen kann, wenn es ihr gefällt würdigen kann und auch gerne sachlich kommentieren und diskutieren kann. Diese moderne Identität kommt ohne überholte territoriale Begriffe wie “Heimat”, “Nation”, oder gar “Volk” und “Rasse” aus.
Identität lebt von Pluralismus, Multi-Kultur u. "Anderem"
Wir sind alle eine Menschheit, unserere Startpunkte, Lebenswege und Lebensentwürfe mögen unterschiedlich sein, aber wenn wir uns im Hier und Jetzt begegnen haben wir alle gleiche Rechte, oft sehr ähnliche Bedürfnisse und Motive. Gelebte Toleranz und Bekenntnis zum Pluralismus der Identitäten hat nichts mit Meinungslosigkeit, Beliebigkeit oder Wischi-Waschi zu tun, sondern offen gelebter, toleranter und dennoch bewußter Umgang mit eigner Identität und Identitäten Anderer um mich.
Niemand muss seine Identität aufgeben, wird im sie leben eingeschränkt, weil sein Nachbar andere Definition von Identität hat und lebt. Wie unsicher, schwach und kleinkariert und voller Angst sind Menschen, die ein tolerantes Nebeneinander von Kulturen, Identitäten und Lebbensstilen nicht verkraften und sich sogar bedroht fühlen, aus ihrer Stimmungslage gar mit Hass, Ausgrenzung und Gewalt reagieren.
Wer für Identität immer noch territoriale Begriffe wie “Nation”, “Vaterland” oder “Heimat” verwendet oder gar Völkische oder Rassische Begriffe gebraucht ist ewiggestrig und hat weder Interesse an einer differenzierten Betrachtung von Identitäten noch begriffen, daß sich heute Identitäten viel weniger an Territorium und Herkunft oder gar Zugehörigkeit zu einem bestimmten Volk oder Rasse definiert sondern eher über Lebensentwürfe, Lebensstile, Glauben und Werte.
Wie moderne Identität leben
Auf dieser Ebene sollte und muss diskutiert und gelebt werden, aber immer mit großer Toleranz, buntem Nebeneinander und Miteinander und Lernen voneinander. Dann und nur dann macht Identität wirklich Sinn, erfüllt einen wichtigen Zweck und kann einen Selbst und die Mitmenschen und Umwelt bereichern und verbessern.
Kämpfen wir für diesen modernen, toleranten Zugang zu Identität, auch indem wir sie vorleben und offen argumentieren. Treten wir aktiv gegen Intoleranz, Nationalismus und Rassismus und deren überholten Konzepte und Umgang mit Identität auf. Das gilt gegenüber alten Gefährdern wie Rechten, Nationalisten und Rassisten genauso wie für neue Gefährder wie religiöse Radikale, egal welcher Religion.
Mich selbst und meine Identität finde ich gerade im Verstehen-Versuchen und Beschäftigen mit Identität Anderer, sei es durch Auslandsaufenthalt, FreundInnen aus anderen Kulturen, längere Urlaube. Mit Offenheit und Neugier lernen wir so mehr über uns selbst als wir jemals dachten, wenn wir uns für andere interessieren, einsetzen.
Dieser Begriff der modernen Identität darf niemand "gehören", wie heute Rechte, sehr deutlich Neue Rechte wie "Identitäre" ihn in Beschlag zu nehmen versuchen. Die Definitions- u. Deutungshoheit über den Begriff darf auch Keiner haben, wenn wir nicht wieder in gefährliches faschistisches u. totalitäres Fahrwasser wie bei "Volk" u. "Rasse" geraten wollen.