http://www.basnews.com/index.php/en/reports/459150
Es ereignete sich bereits im Februar diesen Jahres, macht aber erst jetzt, also mit einem halben Jahr Verzögerung, die Runde durch den deutschen Blätterwald: Ein jesidisches Mädchen, das 2015 im Rahmen des von MP Winfried Kretschmann aufgesetzten Jesiden-Sonderkontingents nach Baden-Württemberg fliehen konnte, begegnete in Schwäbisch Gmünd (Nähe Stuttgart) dem IS-Mann "Abu Humam", der sie vor ihrer Flucht nach Deutschland als sog. Sexsklavin missbrauchte, misshandelte und zur Konversion zum Islam zwang. Der kurdische Journalist Barham Ali berichtete am 14.08.18 via basnews, einer Nachrichtenagentur aus Irakisch-Kurdistan mit Sitz in Erbil, über den Fall. Seitdem wird auch in den deutschen Medien davon Notiz genommen. Die Berichterstattung löst einen Diskurs aus, der, ebenso wie der Vorfall selbst, ein deprimierendes Sittenbild des Post-2015-Deutschlands zeichnet. Ein gewisser Michael Blume nimmt dabei eine zentrale Stellung ein.
basnews erzählt Ashwaqs Geschichte
Werfen wir zur besseren Einordnung der Geschehnisse zunächst einen Blick auf Biografie und Hintergrund der betreffenden Jesidin. Berham Ali spricht bei seiner Recherche ausführlich mit der jungen Frau, die mittlerweile wieder in der Heimat ist, und auch mit ihrem Vater. So rekonstruiert er die Geschichte der jesidischen Familie bis zum besagten Vorfall in Schwäbisch Gmünd.
Die heute 19 Jahre alte Ashwaq Talo teilt das Schicksal unzähliger irakischer Jesiden. Als die Schergen des IS am 03. August 2014 die jesidischen Siedlungsgebiete überfallen und damit den, de facto bis heute andauernden, Genozid am jesidischen Volk einleiten, wird auch die Familie der damals erst 15-Jährigen festgesetzt. Ein Teil von Ashwaqs großer Familie wird zusammen mit anderen Jesiden im syrischen asch-Shaddadi konzentriert und dort der IS-typischen Selektion unterzogen: Männer, ältere Frauen und Kinder sowie junge Frauen und Mädchen werden getrennt in Busse verfrachtet und erneut abtransportiert. Der Bus mit den jungen Jesidinnen, zu denen auch Ashwaq gehört, fährt nach Mossul. Dort werden die Mädchen und Frauen in Hotels oder Schulen gefangengehalten und der Reihe nach an IS-Kämpfer verkauft. Ashwaq fällt letztendlich in die Hände von Abu Humam, der zur Bewachung der gefangenen Mädchen abgestellt ist. Zuvor muss sie ansehen, wie eine Bekannte ihre Pulsadern öffnet, um dem erwartbaren Missbrauch durch die IS-Schergen zu entgehen. Der tote Körper wird von den IS-Leuten weggebracht und ganz sicher keiner würdevollen Bestattung unterzogen. Ashwaq befindet sich 10 Wochen in Abu Humams Gewalt. Er presst ihr mit dem Versprechen, sie unversehrt zu lassen, den Übertritt zum Islam ab. Das Mädchen muss nun das islamische Gebet verrichten und arabische Passagen aus dem Koran auswendig lernen. Sein Versprechen hält der Scherge indes nicht: Er vergewaltigt und misshandelt Ashwaq täglich.
Ashwaq gelingt nach 2 1/2 Monaten die Flucht und die Wiedervereinigung mit Teilen ihrer Familie in Sindschar. Ende 2014 initiiert die baden-württembergische Landesregierung die Mission "Sonderkontingent Nordirak". Im Auftrag von Ministerpräsident Kretschmann übernimmt Dr. Michael Blume, damals Referatsleiter für Kirchen, Religionen und Integration, die Organisation. Sein Team bereist, als westliche Bürger nicht ohne das Risiko der eigenen Entführung oder Ermordung, die Flüchtlingslager im Nordirak und stellt letztendlich ein 1100 Menschen umfassendes Sonderkontingent zusammen. Es handelt sich fast ausschließlich um schwer und schwerst traumatisierte jedisische Mädchen und Frauen. Ashwaq gelangt im Rahmen des Sonderkontingents zusammen mit ihrer Mutter und 2 jüngeren Brüdern im Juni 2015 nach Deutschland.
Sie berichtet basnews, dass sie 2016 in Schwäbisch Gmünd erstmals von einem Mann verfolgt wurde, ohne allerdings dessen Gesicht erkennen zu können. Im Februar 2018 wird sie auf dem Heimweg von einem Mann angehalten und gefragt, ob sie Ashwaq sei. Instinktiv verneint sie. Sie kann nun in sein bärtiges Gesicht blicken ist überzeugt, Abu Humam vor sich zu haben. Der Mann leugnet diesen Umstand nicht. Er stellt sich als Abu Humam vor und droht Ashwaq, er kenne ihre Adresse in Deutschland und wisse über ihr Leben in Baden-Württemberg umfassend Bescheid. Ashwaq läuft davon und berichtet ihren Betreuern von dem Vorfall.
Ermittlungen laufen ins Leere
Der gegenwärtige Stand ist, dass die Behörden den Mann, der wohl Abu Humam ist, nirgendwo finden und identifizieren können. Laut FAZ hätte die Stadt Schwäbisch Gmünd, die den Fall schließlich den Behörden (Polizei und Staatsschutz) meldete, bei ihrer eigenen Recherche feststellen müssen, dass Abu Humam nicht als Flüchtling registriert ist und man somit auch seinen Weg nach Schwäbisch Gmünd nicht nachvollziehen kann. Nun, das sollte nicht verwundern. Wie zumindest Interessierten bekannt ist, handelt es sich bei Namen der Form "Abu [arabischer Rufname] al-[nationale oder regionale Herkunft auf Arabisch]" um die "Kampfnamen" der IS-Männer. So heißt auch der selbsternannte Kalif des IS Abu Bakr al-Baghdadi (der Bagdader) eigentlich Ibrahim Awad Ibrahim al-Badri, und hinter "Abu Talha dem Deutschen (al-Almani)" verbarg sich der Konvertit Denis Cuspert aka Deso Dogg.
Dass die Suche nach einem Abu Humam also ins Leere führt, ist nun wirklich kein Beweis für einen möglichen Irrtum Ashwaqs. Ohnehin ist nicht davon auszugehen, dass ein IS-Kämpfer in Deutschland ehrlich mit seiner Identität umgeht. Es wäre geradezu absurd, das anzunehmen.
Ashwaq selbst befindet sich wieder im Irak. Die Begegnung mit Abu Humam setzte ihr so sehr zu, dass sie wenige Tage später Deutschland verließ. Die nun vom IS befreite nordirakische Heimat scheint ihrem Sicherheitsbedürfnis mehr entgegenzukommen als ihre ursprüngliche Zufluchtsstätte Deutschland. Im Zusammenhang mit Ashwaqs Ausreise ergeben sich widersprüchliche Aussagen, die die Ermittlungsmöglichkeiten der deutschen Behörden betreffen: Laut WELT beklagen sowohl das LKA Baden-Württemberg als auch die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe, Ashwaq aufgrund ihrer Ausreise nicht mehr befragen zu können. Ashwaq hingegen wendete gegenüber basnews ein, dass sie im Irak jederzeit telefonisch erreichbar ist.
Tatsache ist: Zum aktuellen Zeitpunkt ist der Sachverhalt zwar weit davon entfernt, aufgeklärt zu sein. Mehr kann aber auch nicht konstatiert werden. Für einen Irrtum oder gar eine bewusste Lüge Ashwaqs gibt es überhaupt keinen Anhaltspunkt. Wer kann dem Mädchen die Flucht aus Deutschland unter diesen Umständen verdenken? Was hätte eine junge Jesidin von einer Falschbehauptung? Denkbar wäre allenfalls eine Verwechslung. So zitiert der SWR den für die Betreuung der Kontingentjesiden zuständigen Psychologen Jan Kizilhan mit der Aussage, "bärtige Männer" seien durchaus ein Trigger für die traumatisierten Frauen, da IS-Kämpfer grundsätzlich islamische Bärte tragen. Nun stellte der Verdächtige sich gegenüber Ashwaq aber selbst als Abu Humam vor, um sie entsprechend einzuschüchtern. Die Wahrscheinlichkeit, dass die junge Frau diesen Dialog halluzinierte, darf als nicht sonderlich hoch angesehen werden. Zumindest erwähnte Kizilhan gegenüber dem SWR nichts von einer Neigung Ashwaqs zu Wahnvorstellungen. Im Gegenteil: Laut SWR liegen der stellvertretenden Vorsitzenden des Zentralrats der Jesiden, Frau Zemfira Dlovani, Informationen vor, wonach weitere Mädchen dem Mann begegnet seien und ihn als Abu Humam identifiziert hätten. Die bekannte deutsch-jesidische Journalistin Düzen Tekkal holt aktuell weitere Informationen ein.
Die Sorgen des Michael Blume – der "Rechtspopulist Tichy" und die "digitale Errergung"
Nichts spricht aktuell gegen Ashwaq Talos Version des Sachverhalts. Auch den deutschen Behörden kann vermutlich kein Vorwurf gemacht werden. Über die Erreichbarkeit Ashwaqs im Irak kann schlicht ein Missverständnis bestehen. Ansonsten ist es nun einmal schwierig, einen nur unter seinem Kampfnamen bekannten und mittlerweile vermutlich untergetauchten Mann im bekanntlich grenzenlosen Deutschland aufzuspüren. Dieses Problem ist weder auf die Inkompetenz deutscher Behörden und schon gar nicht auf Ashwaq zurückzuführen, sondern schlicht auf den Wahnsinn einer Politik, die kein Interesse am Schutz der Landesgrenzen zeigte und zeigt.
Es ist wohl das unterschwellig vorhandene Bewusstsein über eben diesen Sachverhalt, das am 18.08.18 den Herrn Dr. Michael Blume auf den Plan ruft, und zwar in äußerst genervter Verfassung. Der 2014 von Winfried Kretschmann mit der Organisation des Jesiden-Sonderkontingents beauftragte Referatsleiter aus der Stuttgarter Staatskanzlei beklagt in seinem SciLogs-Blog die "Gefahren der digitalen, kollektiven Erregung", die der Fall Ashwaq nach Einsetzen der deutschen Berichterstattung ausgelöst habe. Als mittlerweile erfahrener Beobachter deutscher Diskurse seit 2015 hört man hier bereits die Nachtigall trapsen. Wann immer es um Verbrechen geht, bei denen der kausale Zusammenhang zur merkelschen Flüchtlingspolitik offensichtlich ist, kommt einer daher und belehrt das Volk, dass das eigentliche Problem die Hetzer/Spalter/Wutbürger/Rechtspopulisten sind, die den betreffenden Vorfall online diskutieren und dabei lediglich "instrumentalisieren". Und genau so handhabt Herr Blume es dann auch. Er spricht zwar nicht von "Instrumentalisierung", dafür aber von den "falschen Freunden" der Jesiden, zu denen er in erster Linie wohl den Publizisten Roland Tichy zählt. Stein des Anstoßes ist ein am 17.08.18 bei Tichys Einblick erschienener Artikel, der den Fall Ashwaq als "Geschichte der Schande" bezeichnet. Und zwar nicht, weil die deutschen Behörden etwa nicht gründlich genug ermitteln würden. Diese werden lediglich, und zutreffenderweise, als "machtlos" beschrieben. Die "Schande" identifiziert Tichy richtigerweise auf der Seite der ausschließlich ideologisch, aber zu keinem Zeitpunkt ethisch und rational begründeten Willkommenskultur. Das No-Border-Prinzip, das als Resultat einer Dämonisierung des Eigenen und somit auch des Schutzes der eigenen Grenzen ein zeitgenössisches Leitideologem ist, zeichnet verantwortlich für den Umstand, dass IS-Leute neben tatsächlichen Flüchtlingen wie Ashwaq überhaupt in Deutschland sind. Eine so eindeutige Kausalität gibt es vermutlich selten. Hätte die deutsche Flüchtlingspolitik ausschließlich auf Kontingente gesetzt, von denen vor allem die nicht-muslimischen Minderheiten profitieren, und die Landesgrenzen darüber hinaus für irreguläre Migration geschlossen, dann würde nicht nur Jesidinnen der Schock einer Begegnung mit ihren Peinigern erspart, sondern es wären auch sehr viele deutsche und europäische Menschen noch am Leben. Diese Erkenntnis ist so unfassbar banal, dass sie vermutlich gerade deswegen so vehement bekämpft wird. Bis heute, und immer wieder aufs Neue.
Blume bemüht dafür in seinem Blog-Beitrag bizarre Argumente. Auch das scheint eine kleine Gesetzmäßigkeit deutscher Post-2015-Diskurse zu sein: Je banaler eine denklogisch korrekte Schlussfolgerung ist, umso schriller fällt der Versuch der Widerlegung aus. Zunächst beschimpft Blume Tichy als "Rechtspopulisten", was selten eine sinnvolle politische Zuschreibung ist und fast immer der Dämonisierung dient. Dämonisierend ist auch der weitere Verlauf. Tichy hätte sich nie für Jesiden eingesetzt, aber nun benutze er "Ashwaq T. Gegen “die Merkel”, gegen die Demokraten überhaupt, gegen den deutschen Rechtsstaat."
Das ist mindestens absurd, genaugenommen jedoch obszön. In Tichys Artikel wird der kausale Zusammenhang zwischen dem No-Border-Prinzip der deutschen Flüchtlingspolitik und der wahrscheinlichen Anwesenheit von Abu Humam in Deutschland verdeutlicht – in einem bitteren, resignierenden Ton, der der Situation angemessen ist. Nicht mehr, nicht weniger. Weder wird zum eigenmächtigen Kampf gegen den Rechtsstaat und schon gar nicht zur Überwindung der Demokratie aufgerufen. Ansonsten ist es vollkommen irrelevant, ob Tichy sich in der Vergangenheit für (die Aufnahme von) Jesiden engagierte. Er ist ja weder Referatsleiter einer Landesregierung noch Psychologe, Arzt oder Sozialarbeiter. Seine Anmerkungen zum Fall Ashwaq würden dadurch weder richtiger oder falscher. Ich lese TE regelmäßig und zu keinem Zeitpunkt wurde dort gegen die Jesiden-Sonderkontingente gesprochen. Blumes Behauptung "[...] sie (die "Rechtspopulisten", Anm.) werden auch weiterhin gegen die Aufnahme von Geflüchteten, gegen Integration und Traumabehandlung stimmen" ist zumindest in Bezug auf Roland Tichy also eine weitere handfeste Lüge, denn die Formulierung impliziert ja, er habe das bisher im Zusammenhang mit traumatisierten Jesidinnen getan. Leute wie Tichy würden Ashwaq "[...] einfach wieder vergessen, wie sie sich ja zuvor auch nicht für das Schicksal der IS-Opfer interessiert haben." Haben sie nicht? Nun, immerhin waren die Jesiden für TE interessant genug, um 2016 diesen Beitrag zu veröffentlichen. Ansonsten sorgen sich Diskursakteure wie Tichy in jedem Fall darum, dass IS-Opfer zumindest in Deutschland sicher sind und schon länger in Deutschland (und im übrigen Europa) lebende Menschen erst gar keine IS-Opfer werden. Eben daraus resultiert ja die Ablehnung einer unkontrollierten Zuwanderung, die nun einmal auch IS-Leute über die deutsche Grenze spült. Aber diese Sorge ist ja nun wieder "Instrumentalisierung". Es verstehe, wer wolle.
Blume beklagt zwar die "kollektive digitale Erregung", scheint selbst jedoch nicht minder erregt. Zumindest wiederholt er sich in seinem Blog-Beitrag dergestalt, dass er unbedingt noch einmal davor warnen muss, wie sehr Roland Tichy & Co. doch versuchen, "gegen die Demokratie und gegen den liberalen Rechtsstaat anzustacheln." Darunter macht er es offenbar nicht.
Letztendlich denunziert Blume Ashwaq
Nachvollziehbar sind diese Ausfälle in keiner Form. Noch einmal: Der Anlass für diese dämonisierenden Tiraden ist ein kurzer Artikel, der einen kausalen Zusammenhang zwischen Abu Humams Anwesenheit in Deutschland und einer Asyl- und Migrationspolitik nach dem No-Border-Prinzip postuliert. Sonst nichts. Verhältnismäßigkeit sucht man bei Blume vergeblich. Er zeigt die Reaktion eines Menschen, der in seinem Weltbild erschüttert wurde, jedoch nicht die eines ernstzunehmenden Diskutanten. Sonderbar bis traurig sind allerdings auch seine Aussagen über Ashwaq selbst. In einem Radio-Interview, das er dem SWR einen Tag vor Erscheinen seines Blog-Beitrags gegeben hatte, bezeichnete er Ashwaqs Aussagen noch als "glaubwürdig", zumal geflüchtete Jesidinnen grundsätzlich wichtige Zeuginnen in Bezug auf den Genozid seien. Im Blog-Beitrag schreibt er dann ganz offen: "Wir haben Ashwaq T. geholfen und ich möchte ihr auch gerne weiterhin helfen, auch wenn die Traumata ihre Erinnerungen und Entscheidungen verzerrt haben." Er formuliert das nicht als Vermutung, sondern als Tatsache. Als sei bereits gesichert, dass Ashwaq sich die Bedrohung durch den Mann, der sich als Abu Humam ausgab, lediglich eingebildet habe. Derselbe Michael Blume, der in seinem wirren Beitrag immer wieder von den großen Gefahren des Internets fantasiert, in dem allerlei erregte rechtspopulistische Gemüter am laufenden Band Fake News verbreiten ("Aber der Schaden geschieht schon, minütlich" ), möchte gesicherte Erkenntnisse an dieser Stelle überhaupt nicht mehr abwarten. "Ashwaqs Angaben enthalten Sprünge, beginnend schon bei falschen Daten", schreibt er. Die "falschen Daten" beziehen sich auf folgendes: Über basnews ist neben dem Artikel des Journalisten Berham Ali auch ein Video verfügbar, in dem Ashwaq auf Deutsch über den Vorfall berichtet. Sie sagt in diesem Video, sie habe Abu Humam am 21. Februar 2018 in Schwäbisch Gmünd getroffen. Die Stadt sei jedoch bereits am 19. Februar über den Vorfall informiert worden. Ein Datumsirrtum von gerade einmal 2 Tagen, der Ashwaq nun überführt haben soll. Als ob so etwas nach 6 Monaten nicht vorkommen könnte, zumal Ashwaq im Video auf Deutsch berichtet – einer Sprache, die sie zwar überraschend gut beherrscht, die aber natürlich nicht ihre Muttersprache ist.
Michael Blumes gesamte Einlassungen zum Fall Ashwaq sind unappetitlich. In seinem Blog-Beitrag inszeniert er sich wehleidig als geplagter Geist, der "die Augen schließt und seufzt", als er um eine Stellungnahme gebeten wird und letztendlich in einem Anfall von Großzügigkeit seinen Urlaub unterbricht, um dem SWR das Radio-Interview zu geben. In diesem Interview kritisiert er in paternalistisch-herablassender Art Ashwaqs Ausreise aus Deutschland, denn "Terror begegnet man mit Ruhe, nicht mit Panik". Was für eine unfassbar empathielose Anmaßung gegenüber einem 19-jährigen Mädchen, das einen Genozid überlebt hat und einfach nicht an einem Ort sein möchte, an dem ihr Peiniger frei herumläuft. Sicher, Ashwaqs Abwesenheit mag ihre weitere Befragung durch die deutschen Behörden erschweren. Sie könnte ihnen aber auch nicht mehr mitteilen als das, was sie basnews geschildert hat. Das Problem ist der Umstand, dass der IS-Scherge nur unter seinem Kampfnamen bekannt ist. Das Problem ist der Umstand, dass er mühelos über die sperrangelweit offenen deutschen Grenzen marschieren konnte. Das Problem ist nicht Ashwaq.
Blume wirft einem Großteil der jesidischen Gemeinde ("Viele Menschen – vor allem Yezidinnen und Yeziden selbst" ) sowie Flüchtlingshelfern, die sich für Jesiden einsetzen, vor, "emotionalisierte Freunde" von Ashwaq zu sein. Ashwaq brauche aber keine emotionalisierten Freunde, die ebenfalls Panik im Internet schieben, und erst recht keine falschen Rechtspopulisten-Freunde wie Roland Tichy, sondern "echte Freunde". Also vermutlich Menschen wie ihn, die offenbar für sich bereits entschieden haben, Ashwaq eher keinen Glauben zu schenken und sie zu einer traumatisierten Gestalt zu stempeln, die nicht weiß, was sie tut. Ich bin sicher, Ashwaq weiß Dr. Blumes Freundschaft und Loyalität zu schätzen.
Das ewig gleiche Sittenbild
Blume hat es mit dem Internet. Zum "echten Freund" Ashwaqs qualifiziert ihn der Umstand, dass er die "Chancen und Gefahren des Internets" begreift und etwas von "Medienethik" versteht. Man liest das – und schüttelt den Kopf. Warum nur stößt sich Blume an dem Umstand, dass Menschen den Fall Ashwaq, der nun einmal aufsehenerregend ist, im Internet diskutieren? Wo ist da auch nur annähernd ein nachvollziehbarer Zusammenhang? Weder nimmt Ashwaq selbst irgendeinen Schaden davon, noch beeinträchtigt das die Ermittlungen der deutschen Behörden. Wir reden von einem Mädchen, das einen Völkermord überlebt hat und dem unser Land aufgrund einer fragwürdigen Grenzpolitik nicht mehr die gewünschte Sicherheit bieten kann. Wie kann man erwarten, darüber würde nicht emotional und "digital erregt" geredet?
Weil es im Kern natürlich um etwas anderes geht. Blume ist von Haus aus Religionswissenschaftler und seine Einlassungen zu seinem Fachgebiet lassen grob gesagt eine Tendenz zur Verharmlosung des Islam erkennen. So finde unter Muslimen angeblich eine unaufhaltsame Säkularisierung statt, was Blume unter anderem daran bemisst, dass immer weniger Muslime ordentlich beten. Dass der politische Islam, darunter der AKP-nahe türkische Nationalislamismus, in seiner Wirkmächtigkeit nicht unbedingt auf derartige Formalitäten angewiesen ist, scheint Blume nicht zur Kenntnis zu nehmen. Die Studien des Migrationssoziologen Ruud Koopmans zu Fundamentalismus und Fremdgruppenfeindlichkeit von Muslimen sprechen jedenfalls eine komplett andere Sprache. Aber Koopmans ist deswegen auch verhältnismäßig stark marginalisiert. Keine attraktive Option für einen Mann wie Blume, der neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit sicher weiterhin ein politisches Amt besetzten möchte, das irgendwie mit "Integration" und "interreligiösem Dialog" assoziiert ist. Kantige Islamkritik wäre dem nicht zuträglich. Ideologisch betrachtet, gehen die Bagatellisierung islamfaschistischer Tendenzen und die Befürwortung ungesteuerter (muslimischer) Einwanderung Hand in Hand. Es geht ja kaum anders. Blume ist alles in allem also ein integraler Bestandteil dessen, was ich als Gesinnungsgemeinschaft bezeichne.
Begebenheiten wie der Fall Ashwaq stützen nun aber die Argumente der Islam- und Einwanderungskritiker und zeigen die Zielkonflikte von Diskursakteuren wie Blume auf. Es ist nun einmal schwierig, eine anhaltende Islam-Verharmlosung und den Einsatz für eine vom politischen Islam verfolgte Minderheit denklogisch zusammenzubringen. Dasselbe Problem haben Aktivisten, die sich leidenschaftlich für Frauenrechte und gegen Antisemitismus, aber gleichzeitig für die unbegrenzte Aufnahme von Menschen engagieren, die misogyn und judenfeindlich sozialisiert wurden. Es ist egal, ob ein Israeli von einem muslimischen Asylbewerber mit einem Gürtel verprügelt, eine westliche Frau von einem muslimischen Asylbewerber vergewaltigt oder eine Genozid-Überlebenede im Angesicht ihres muslimischen Peinigers aus Deutschland getrieben wird – der Zielkonflikt wird jedes Mal auf dieselbe Weise überschminkt: Durch die Dämonisierung des kritischen, oppositionellen Diskurses. Er sei zu emotional, er instrumentalisiere (der Klassiker), er erfolge grundsätzlich zu wild und zu frei "im Internet". "Das Internet" scheint hier zur Metapher schlechthin für mangelnde Seriosität zu avancieren. Seriös ist es nämlich nur, wenn Dr. Blume einen unstrukturierten Beitrag auf einem Wissenschaftsblog veröffentlicht, in dem er politische Gegner beschimpft und verleumdet. Ansonsten gilt die gute deutsche Volksweisheit: Der Verursacher des Schmutzes ist ein weniger großes Ärgernis als derjenige, der auf den Schmutz hinweist.
Ali Berham richtet am Ende seines Artikels diese Fragen an die Deutschen: "Aren’t you worried about the Abu Humams who have disguised themselves as refugees to pose a serious threat to your country once they find the chance? What the Yezidi girls should do when the IS terrorists target them, no matter if they are in Mosul or in Germany?" Auf diese Fragen wird der kurdische Journalist keine Antwort erhalten. Er weiß ja nicht, dass er, würde er sie als deutscher Journalist stellen, ein "Rechtspopulist" wäre. Solange die deutsche Gesinnungsgemeinschaft einschließlich des Herrn Dr. Blume nicht bereit ist, über ihren Schatten zu springen und das No-Border-Prinzip der deutschen Asyl- und Migrationspolitik grundlegend zu hinterfragen, solange stattdessen das Dämonisieren und Niederbrüllen oppositioneller Kräfte Priorität genießt, solange zeichnet das Post-2015-Deutschland dasselbe Sittenbild. Es ist das Bild eines Landes, das so gern gut wäre, und dabei fast alles falsch macht, weil es nichts anderes außer Gesinnungsethik mitsamt ideologisch verengtem Blick gelernt hat. Das meint, das Richtige zu tun, wenn es den Schwerpunkt auf die Unterbutterung des zuvor dämonisierten Diskursgegners legt und dabei gar nicht mehr merken kann, dass es nicht dieser, sondern der Mainstream ist, der die Opfer der No-Border-Politik instrumentalisiert und vor allem verhöhnt. Der Fall Ashwaq verpasst diesem Sittenbild insofern den letzten traurigen Schliff, als dass der Ideologiegeifer gerade von demjenigen Mann produziert wird, der im Rahmen seiner politischen Tätigkeit mit dem Schutz der Opfer betraut war und, das sollte abschließend nicht unterschlagen werden, in diesem Rahmen ganz sicher auch eine beachtliche Arbeit leistete. Ashwaq ist aber wieder im Irak. Für ein dauerhaftes Vertrauen in Deutschland hätte sie eben noch mehr gebraucht.