Facebooksperren, NetzDG und Denunziationskultur – Teil 1

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Ich merke es immer am Smartphone, meistens morgens oder vormittags, wenn ich zum ersten Mal das WLAN oder die mobilen Daten einschalte. Es ist eine Nachricht vom Messenger: "Deine Sitzung ist abgelaufen, melde dich erneut an" oder auch "Du wurdest vom Messenger abgemeldet". Was das bedeutet, ist schon lange kein Geheimnis mehr: Ich wurde auf Facebook ausgeloggt. Wenn ich mich dort wieder einlogge, folgt ein weiteres bekanntes Ritual: "Wir haben etwas entfernt, was du gepostet hast", informiert mich Zuckerbergs Netzwerk. Der nächste Schritt ist spannender: Ich werde informiert, welcher meiner Beiträge gelöscht wurde. Aktuell ist es dieser.

Danach erfahre ich, wie lange ich auf Facebook gesperrt sein werde. Natürlich, es sind jetzt immer 30 Tage. Ich mache einen Screenshot von der Meldung des entfernten Beitrags und schicke ihn an meine Freunde, damit sie meine Follower auf Facebook informieren können. Und irgendwann sind die 30 Tage vorüber.

So geht es natürlich nicht nur mir, sondern auch zahlreichen anderen Facebook-Diskutanten. Die Liste insbesondere der Islam- und Einwanderungskritiker, die seit spätestens Anfang 2016 vestärkt von Sperrungen ihrer Konten und Löschungen ihrer Beiträge betroffen sind, ist lang: Die Publizistin Anabel Schunke (Tichys Einblick und Achse des Guten), diverse Blogger wie Markus Hibbeler, David Berger, Ines Laufer, Ronai Chaker und Karoline Seibt, oder Ex-Muslime wie Cahit Kaya, Imad Karim, Leyla Bilge und Laleh Hadjimohamadvali sind nur die bekannteren Beispiele. Auch zahlreiche meiner Freunde und Follower, die gar keine nennenswerte Reichweite besitzen, werden regelmäßig gesperrt.

Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG), vermutliches Lebenswerk unseres geliebten Justizministers Heiko Maas, gilt seit dem 01. Januar 2018 vollumfänglich. Bereits zuvor, in einer, wie ich es nennen möchte, vorgesetzlichen Phase, bestand eine entsprechende Zusammenarbeit zwischen dem Justizministerium und den wichtigsten sozialen Netzwerken. Die Diskussionen um das NetzDG reißen indes nicht ab - Verfolgt man sie, dann wird deutlich, dass rund um das schauerlichste Gesetz seit Bestehen der Bundesrepublik doch einige Ammenmärchen kursieren. Gern wird behauptet, Sperrungen aufgrund einer politischen Meinungsäußerung seien das Hausrecht der sozialen Netzwerke und hätten mit einer Zensur nichts zu tun. Die Betroffenen müssten eben damit leben. Vermutlich ist das NetzDG als staatliches Unterfangen an diesen Diskutanten völlig vorbeigegangen. Wieder andere stellen sich das Lösch- und Sperrgeschehen offenbar dergestalt vor, dass Heiko Maas persönlich am roten Knopf sitzt und nach Belieben zensiert. Beides sind extreme Fehlschlüsse. Weit verbreitet ist hingegen die Ansicht, "Hass und Hetze" seien nun einmal verboten, hätten im politischen Diskurs ohnehin nichts verloren und daher wäre es auch keine Zensur, wenn das NetzDG sich dagegen richtet.

In der neuen GroKo wird Maas eventuell weiterhin das Justizministerium besetzen. In jedem Fall wird das NetzDG uns bis auf Weiteres erhalten bleiben – Eine baldige Abschaffung halte ich für nicht sehr wahrscheinlich. Sollte ein entsprechender Antrag von der AfD eingebracht werden, wird er wohl ohnehin geschlossen abgelehnt. Als ein Bürger, der selbst unmittelbar vom NetzDG betroffen ist, möchte ich an dieser Stelle erstens mit Missverständnissen zu diesem Thema aufräumen und zweitens ausführen, was ein derartiges Gesetz für unsere Gesellschaft und den politischen Diskurs bedeuten kann. Ich halte es für sinnvoll und angebracht, diejenigen zu Wort kommen zu lassen, die die Konsequenzen eines derart umstrittenen Gesetzes, das ohne jeden Zweifel eine Zäsur markiert, auch tatsächlich zu spüren bekommen.

Ich tue das in zwei Teilen. Dieser erste Teil ist die Fleißarbeit. Ich lege die Entwicklungsgeschichte des NetzDG mit Quellenangaben zum Nachlesen dar. Wer darüber bereits vollumfänglich informiert ist, kann das Ganze überspringen. Im zweiten Teil möchte ich über die gesellschaftlichen Umstände reflektieren, die uns Herrn Maas' Machwerk beschert haben. Dabei werde ich meine Perspektive als Betroffener zu Grunde legen. Das geht aber nicht, ohne zu wissen, womit genau wir es beim NetzDG zu tun haben.

Das NetzDG – die Genese des Meinungsfreiheitsbeschnitts

Teil 1: Vorgesetzliche Phase

Es beginnt im September 2015: Weil das Internet angeblich vor "fremdenfeindlichen und rassistischen Hassbotschaften" überquelle, mobilisiert Justizminister Heiko Maas die sogenannte "Task Force von Internetanbietern und zivilgesellschaftlichen Organisationen", um das Problem einzudämmen. Es steht der "Umgang mit rechtswidrigen Hassbotschaften im Internet" auf der Tagesordnung. Zu den teilnehmenden Internetanbietern gehören Facebook, aber auch Twitter und Youtube (Google). Die zivilgesellschaftlichen Organisationen sind der eco-Verband der Internetwirtschaft e.V., die Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM), jugendschutz.net, klicksafe.de, der Verein Gesicht zeigen! und, besonders umstritten, die Amadeu-Antonio-Stiftung (AAS) unter der Leitung der ehemaligen Stasi-Mitarbeiterin Anetta Kahane.

Dezember 2015: Das BMJV legt die Arbeitsresultate der Task Force in Form des Ergebnispapiers Gemeinsam gegen Hassbotschaften vor. Es lohnt sich absolut, darauf einen etwas detaillierteren Blick zu werfen, denn die im Ergebnispapier festgehaltenen Prinzipien, Maßnahmen und Verfahrensformen sind ganz wesentlich für das Verständnis der Auswirkungen, die das NetzDG und die ihm zu Grunde liegende Mentalität auf den politischen Diskurs haben kann und wird.

Das Ergebnispapier kommuniziert zwei wesentliche Sachverhalte: Das "Grundverständnis" der Task Forcler sowie Handlungsempflehungen zur Bekämpfung von Hassbotschaften. Das Grundverständnis ist schnell beschrieben: Es besteht darin, Hassbotschaften oder Hassrede hätten im Internet nichts verloren und müssten von Internetanbietern entfernt werden, sobald diese Kenntnis davon nehmen. Und an genau diesem Punkt krankt der ganze Spaß von Beginn an: Es existiert – natürlich! – keinerlei unzweideutige, operationalisierbare und transparente Bestimmung, was Hassbotschaften, Hassrede/Hate Speech oder auch Hetze eigentlich sind. Immer wieder heißt es sowohl im Ergebnispapier als auch in den folgenden Monaten, damit seien selbstredend nur solche Äußerungen gemeint, die gegen deutsches Recht, insbesondere den Volksverhetzungsparagraphen, verstoßen. Die Absurdität dieser Behauptung ist offensichtlich. Die Feststellung der Rechtswidrigkeit liegt – ausschließlich – bei den Institutionen des Rechtsstaats. Nun soll eine im Internet getätigte Meinungsäußerung aber natürlich ohne ein vorangegangenes rechtsstaatliches Verfahren entfernt werden. Die juristische Beurteilung verbleibt also beim betreffenden Internetanbieter und wird somit vollkommen privatisiert. Nun wird der Delinquent allerdings auch nicht nach deutschem Recht sanktioniert, bspw. durch eine Geldstrafe – wie auch, wenn er nie entsprechend angeklagt wurde. Die Sanktion verbleibt im virtuellen Raum: Die unerwünschte Meinungsäußerung wird entfernt, und dem Autor der Zugang zu einem immer wichtiger werdenden Diskursraum entzogen.

Wenn Hassrede aber nicht auf saubere rechtsstaatliche Weise ermittelt werden kann, woran sollen die Internetanbieter sie dann erkennen? Nun, eben dafür gibt es die an der Task Force beteiligten zivilgesellschaftlichen Organisationen. Sehr eindeutig wird im Ergebnispapier festgelegt, dass die Internetanbieter dahingehend von diesen zu schulen und zu unterweisen sind: "Die in der Task Force vertretenen Unternehmen stellen sicher, dass ihre Mitarbeiter angemessen geschult werden, insbesondere durch den regelmäßigen Austausch mit bestehenden deutschen Beschwerdestellen / NGOs. Dies umfasst die Sensibilisierung und Bewusstseinsschaffung für aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen und Situationen." Ein ganzer Abschnitt widmet sich der Konkretisierung dieser Unterstützung. So soll innerhalb des ersten Halbjahres 2016 ein Leitfaden zum Umgang mit Hate Speech gemeinsam erarbeitet und das Melde- und Beschwerdemanagement für die Internetanbieter fortlaufend verbessert werden. Interessant ist in diesem Zusammenhang der Begriff "Beschwerdestelle": Später soll sich herausstellen, dass unerwünschte Äußerungen nicht nur von anderen Nutzern gemeldet werden, sondern mindestens ein Mitglied der Task Force in unmittelbarem (E-Mail)-Kontakt zu den Anbietern steht und sich um den Rapport von Inhalten kümmert. Dies ist eine solche "bestehende deutsche Beschwerdestelle".

Ist die Vorab-Unterstellung von Rechtswidrigkeit ohne deren ordnungsgemäße Prüfung schon gleichermaßen unsinnig wie alarmierend, so ist es das einseitig ausgerichtete Engagement der zivilgesellschaftlichen Task Forcler erst recht. Die AAS und Gesicht zeigen! mögen sich selbst als engagierte und seriöse Streiter für das Gute empfinden, fahren de facto jedoch eine knallharte linksideologische Agenda mit dem Ziel, die Gesellschaft in ihrem Sinne, und zwar nur in ihrem Sinne, zu lenken und zu gestalten. Überdeutlich tritt bei der AAS die Absicht zu Tage, die Menschen zu absoluten und niemals zweifelnden Befürwortern einer komplett multikulturalisierten Gesellschaft erziehen zu wollen. Jede oppositionelle Ansicht, die den ebenso legitimen Wunsch nach einem kulturell eher homogenen Gemeinwesen, einer autochthonen Leitkultur und einer Zuwanderungsbegrenzung kommuniziert, wird diffamiert und stigmatisiert. Eine ernsthafte, gleichermaßen verurteilende Auseinandersetzung mit den vielfältigen Erscheinungsformen des migrantischen sowie des linken und grünen Totalitarismus gibt es nicht, auch wenn Handarbeiter der Antifa zwischendurch gern mal einen JUler an der Uni verdreschen oder einem Plakatierteam der AfD zeigen, wo Hammer und Sichel hängen. Welche Art von "Sensibilisierung und Bewusstseinsschaffung" wird wohl erfolgen, wenn die Mitarbeiter der sozialen Netzwerke von derart einseitig gepolten Aktivisten geschult werden und ein Korrektiv vollständig fehlt?

Dezember 2015: Die erste skandlöse Zensuraktion, die ich selbst seit Beginn des maas'schen Treibens bezeugen kann, war die komplette Löschung der Facebookseite des Ex-Muslims und Islamkritikers Cahit Kaya. Die genannten Gründe waren äußerst grotesk: Angeblich soll ein Weihnachtsbild der Auslöser gewesen sein. Interessant an diesem Fall ist der Umstand, dass im Gegensatz zum sonstigen Lösch- und Sperrgeschehen die Denunzianten bekannt sind, da sie sich selbst mit ihrem Erfolg brüsteten, Kayas Seite "kaputtgemeldet" zu haben. Es handelte sich um eine Gruppe von vorwiegend türkischen (National)islamisten, die sich um den glühenden Erdogan-Anhänger Erhat Toka schart, der bereits Dieter Nuhr anzeigte, gern mal die Juden – pardon, Zionisten ins Meer treiben würde und 2016 erfolglos bei den niedersächsischen Kommunalwahlen für die islamistische BIG kandidierte. Kayas Einspruch gegen die ominöse Löschung seiner Seite blieb unbeantwortet.

Januar 2016: Facebook kündigt die Einstellung neuer Mitarbeiter an, um seinen Zusagen gegenüber dem deutschen Justizministerium, konsequenter gegen Hassbotschaften vorzugehen, gerecht werden zu können. Zugleich stellt Facebook in Berlin seine neue, mit 1 Million Euro ausgestattete "Initiative für Zivilcourage online" vor, die wiederum mit der Amadeu-Antonio-Stiftung zusammenarbeiten und vom BMJV unterstützt werden wird.

Juni/Juli 2016: Es ist erneut die Amadeu-Antonio-Stiftung, die gleich zwei Leitfäden zum Umgang mit Hassbotschaften herausgibt, so wie es auch im Ergebnispapier als Zielsetzung für die erste Jahreshälfte 2016 festgehalten wurde. Die Handreichung namens'Geh sterben': Zum Umgang mit Hate Speech im Internet (mit Geleitwort von Heiko Maas) spiegelt vollends ihren einseitigen Aktivismus und tradiert das primitive Weltbild, das von linkslastigen Organisationen ihrer Art gemeinhin vermittelt wird. Hate Speech wird, wen sollte es wundern, als Monopol-Strategie der "extremen Rechten" dargestellt. Ein migrantisches Opfer des "weißen Bürgertums (!)" sowie ein weibliches, feministisch aktives Opfer "weißer heterosexueller Cis-Männer" dürfen lauthals ihr aus Shitstorms resultierenden Leid beklagen. Unnötig zu erwähnen, dass teilweise unter Polizeischutz lebende Kritiker des Islam, die vielen unbekannten Opfer migrantisch-islamischer Hass- und Gewaltkriminalität oder von Linksextremisten schikanierte Aktivisten kein Gehör finden. Die zweite Handreichung Hetze gegen Flüchtlinge in sozialen Medien nennt die einzig relevante Opferguppe ja bereits im Titel.

August 2016: Der Staranwalt und Autor der Achse des Guten Joachim Steinhöfel stampft die Seite Facebook-Sperre – Wall of Shame aus dem Boden. Es ist eine dichte Dokumentation gelöschter und – trotz Meldung – nicht gelöschter Facebook-Einträge, die die absolute Willkür und Intransparenz des Anti-Hate-Speech-Unterfangens verdeutlicht.

September 2016: Der Justizminister ist unzufrieden: Auf Facebook wird trotz der Bemühungen der diversen Task Forcler noch nicht genug gelöscht. Laut ZON stößt er sich insbesondere an dem Umstand, dass Meldungen individueller Nutzer nicht ernst genommen würden. An dieser Stelle kommen die Beschwerdestellen wieder ins Spiel: Zumindest jugendschutz.net steht in unmittelbarem (E-Mail)-Kontakt zu Facebook und meldet regelmäßig unerwünschte Inhalte. In diesem Fall wird auch recht zuverlässig gelöscht. Nicht aber, wenn die Meldung durch Nutzer erfolgt. Auch geht es nach Maas' Dafürhalten zu langsam voran: Eigentlich sollten "strafbare" Inhalte innerhalb von 24 Stunden entfernt werden – Auch das wurde im Ergebnispapier von 2015 festgehalten.

Dezember 2016: Die SZ berichtet erstmals über die Vorgänge hinter Facebooks Kulissen. Man erfährt nun, dass Facebook in Berlin durch Mitarbeiter der Bertelsmann-Tochter Arvato löschen und sperren lässt. Die Mitarbeiter werden schlecht bezahlt und leiden stark unter der Konfrontation mit Gewaltvideos und Kinderpornografie. Was allerdings die Entfernung politischer Meinungsäußerungen anbelangt, so ist man kaum schlauer als zuvor. Mit einer "firmenintern definierten" Form von Meinungsfreiheit habe man es zu tun, über deren genaue Entstehung man "keine Angaben" mache.

Teil 2: Gesetzliche Phase

März 2017: Wichtig ist: Bis jetzt hat Maas auf eine freiwillige Kooperation der sozialen Netzwerke gesetzt. Was er bisher von ihnen verlangte, war eine Form der Selbstregulierung. Eine Selbstregulierung auf der Basis eines unguten Geklüngels staatlicher und zivilgesellschaftlicher Akteure, aber noch keine rechtliche Bindung. Weil aber vor allem Facebook seiner Aufforderung, schneller und zuverlässiger zu löschen, nicht zu seiner Zufriedenheit nachgekommen ist, sollen die Schrauben nun in Form eines Gesetzes angezogen werden. Aus diesem Grund stellt er am 14.03. erstmals den Entwurf des späteren NetzDG vor. Die Internetanbieter sollen verpflichtet werden, offensichtlich "rechtswidrige" Inhalte innerhalb von 24 Stunden zu löschen, weniger offensichtlich "rechtswidrige" Inhalte innerhalb von 7 Tagen. Was als rechtswidrige Hassbotschaft gilt, wird im Gesetzentwurf nun konkreter benannt: Natürlich Volksverhetzung (§ 130 StGB), Verbreiten von Propagandamitteln / Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86 und § 86a StGB), der "Blasphemieparagraph" (Beschimpfung von Bekenntnissen; § 166 StGB), die gegen Individuen gerichteten Äußerungsdelikte Beleidigung / üble Nachrede / Verleumdung (§ 185-187 StGB), Aufforderung zu Straftaten (§ 111 StGB) sowie noch einige andere, die bei Interesse in der in Kraft getretenen Version des NetzDG nachgelesen werden können. Weiterhin ist, sofern nicht schon vorhanden, ein Meldesystem und Beschwerdemanagement einzurichten sowie ein Ansprechpartner in Deutschland zu benennen. Ferner sind vierteljährliche Berichte zum Sperr- und Löschgeschehen anzufertigen und im Bundesanzeiger zu veröffentlichen. Für den Fall der Verweigerung droht ein Bußgeld von bis zu 50 Millionen Euro für den betreffenden Internetanbieter als juristische Person.

16. Mai 2017: Ein von Bitkom in Auftrag gegebenes Gutachten der beiden Professoren der Rechtswissenschaft Karl-Heinz Ladeur und Tobias Gostomzyk attestiert dem Gesetzentwurf schwere verfassungsrechtliche Verstöße. Auch hier wird vor allem der Umstand bemängelt, dass die Internetanbieter hinsichtlich der Rechtswidrigkeit nicht die Sachverhaltsaufklärung gewährleisten können, die in einem rechtsstaatlichen Verfahren möglich wäre. Gerade im äußerungsrechtlichen Bereich seien Kontext, Intention und die mitunter komplexe Abgrenzung von Meinungsausdruck und Tatsachenbehauptung zu berücksichtigen. Insbesondere die engen Löschfristen würden eine auch nur annähernd sinnvolle Sachverhaltsaufklärung verhindern; die Gefahr eines Im-Zweifelsfall-Löschen sei entsprechend hoch. Es ist an dieser Stelle unbedingt darauf hinzuweisen, dass das Gutachten in diesem Zusammenhang auch die Drittwirkung von Grundrechten als gegeben ansieht. Soll heißen, das Grundrecht der Meinungsfreiheit ist in diesem Fall auch privatrechtlich, also von Seiten der Internetanbieter gegenüber dem Nutzer, sicherzustellen. Als besonders problematisch ist dabei der Umstand anzusehen, dass der gesperrte Nutzer kein Recht auf Anhörung hatte. Anders ausgedrückt: Der Staat kann den privaten Internetanbietern nicht einerseits ins Handwerk pfuschen, ihnen dann aber keinerlei nennenswerten Raum zur Sicherung der Rechtsgüter des Nutzers lassen. Dabei sind diese selbstverständlich gegen die Rechte der (vermeintlich) von Hassbotschaften Betroffenen abzuwägen – und zwar so, dass Verhältnismäßigkeit gewährleistet ist. Ferner ist es die Berufs- und Staatsfreiheit der Internetbieter selbst, die durch die drohende Sanktion hoher Bußgelder massiv verletzt wird. Selbst eine Verletzung des "virtuellen Eigentums" – als solches ist z.B. eine auf Facebook getätigte Meinungsäußerung anzusehen – ist dem Gutachten nach gegeben.

19. Mai 2017: Die erste Lesung des Gesetzentwurfs im Bundestag. Es sind zehn Sachverständige geladen, von denen die überwiegende Mehrheit den Entwurf als verfassungswidrig ansieht. Verteidigt wird er vom Sachverständigen von jugendschutz.net, bezeichnenderweise die erwähnte Beschwerdestelle. Maas sieht keinen Anlass für Kritik. Unbedingt möchte er das NetzDG noch vor Beginn der Sommerpause durch den Bundestag peitschen, damit es noch innerhalb der Legislaturperiode in Kraft treten kann. Da auch der Koalitionspartner dem Gesetzentwurf kritisch gegenübersteht, wird es wohl auf einige kosmetische Anpassungen hinauslaufen, die mehr oder weniger mit der heißen Nadel gestrickt sein werden.

01. Juni 2017: Der UN-Hochkommissar für Meinungsfreiheit, David Kaye, wendet sich in einem offenen Brief an die Bundesregierung, um sicherzustellen, dass die Rechtsstaatlichkeit in Deutschland noch garantiert ist.

Juni 2017: Die Regierungsparteien werkeln am Gesetzentwurf herum. Tatsächlich handelt es sich um lediglich kosmetische Änderungen, denn die zentralen Kritikpunkte – die unrealistischen Löschfristen und die Nicht-Anhörung der Lösch- und Sperropfer – werden ignoriert. Auch an den Bußgeldern ändert sich nichts. Zwar dürfen die Internetanbieter in Zweifelsfällen ein "unabhängiges Selbstregulierungsgremium" heranziehen, über dessen Besetzung und genaue Beschaffenheit jedoch nichts gesagt wird. Zudem wird klargestellt, dass nur dann mit Sanktionen zu rechnen ist, wenn der Verstoß gegen die Löschpflicht "systematisch" wird – was auch immer das heißen mag. Der Gesetzentwurf bleibt also auch in seinen modifizierten Punkten maximal unbestimmt.

30. Juni 2017: Das NetzDG passiert in seiner aufgehübschten Form den Bundestag. Nachdem eine Stunde zuvor mehr als 600 Abgeordnete positiv über die sog. Ehe für Alle entschieden haben, sind bei der Abstimmung über das NetzDG nur noch rund 55 Parlamentarier anwesend. Der Bundestagsgeschäftsordnung nach ist das Parlament unter diesen Bedingungen eigentlich nicht beschlussfähig gewesen. Die LINKE stimmt als einzige Fraktion dagegen. Die Grünen enthalten sich.

01. Oktober 2017: Das NetzDG tritt in Kraft. Noch gilt aber eine Schonfrist für die Internetanbieter. Sie müssen nun lediglich den geforderten Ansprechpartner in Deutschland benennen.

November 2017: Um auf die kommenden knappen Löschfristen vorbereitet zu sein und die Beschwerden und Meldungen managen zu können, startet Facebook ein zweites Löschzentrum in Essen. Es wird jedoch nicht von Arvato, sondern vom Competence Call Center betrieben.

01. Januar 2018: Die Schonfrist ist abgelaufen. Ab jetzt greift die gesetzliche Löschpflicht für Facebook und Co. Spätestens jetzt ist ein Meldesystem einzurichten, ab jetzt stehen vierteljährliche Rechenschaftsberichte auf dem Plan, ab jetzt drohen für den Fall der Verweigerung die Bußgelder. Das NetzDG gilt nun vollumfänglich.

Auf Facebook gibt es jetzt auch ein entsprechendes Meldeformular:

Screenshot privat

Wie man sieht, ist das Melden durch Beschwerdestellen weiterhin möglich. Es wäre sehr interessant zu erfahren, wer außer jugendschutz.net noch dazu gehört. Bizzar ist die Formulierung "Behauptungen einer rechtswidrigen Tat stellen eine ernste Angelegenheit dar. Ziehen Sie ggf. einen Rechtsanwalt hinzu." Ja, das hat der geneigte Denunziant gewiss getan, bevor er meine Kritik an dem Artikel bei den Salonkolumnisten rapportierte.

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