Als versprochene Fortsetzung meines Artikels Wir sind berechenbar, in dem ich auf mein gleichnamiges Buch hingewiesen habe, möchte ich heute die Begriffe 'Wahrscheinlichkeit' und 'Zufall' diskutieren. Die meisten Menschen haben eine intuitive Auffassung von diesen Konzepten. Für meine Belange ist aber eine genaue Definition unumgänglich. Ich werde die Begriffe wie folgt verwenden:
1.) Die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses ist eine reelle Zahl, die zwischen 0 und 1 liegt, wobei die Werte 0 und 1 eingeschlossen sind. Jedem Ereignis wird genau eine solche Zahl zugeordnet. Diese Zuordnung wird so definiert, dass sie weitere Eigenschaften erfüllt. Für diesen Artikel ist es aber nicht notwendig, diesbezüglich ins Detail zu gehen. Wer etwas mathematische Vorbildung und Interesse daran hat, sei auf Wiki: Wahrscheinlichkeitsmaß verwiesen.
2.) Wenn eine Ursache mehrere verschiedene Ereignisse als Konsequenz haben kann, die nicht gemeinsam auftreten können, und wenn keines dieser Ereignisse die Wahrscheinlichkeit 1 hat, dann nennen wir diese Ereignisse zufällig.Nach dem kausalen Determinismus, der von mir im Buch vertretenen und argumentierten Weltsicht, gibt es in unserem Universum keine Ereignisse, die in obigem Sinne zufällig sind. Aus jeder Ursache ergibt sich ein ganz bestimmtes Folgeereignis, das die Wahrscheinlichkeit 1 hat. Daraus folgt mit den oben erwähnten Eigenschaften des Wahrscheinlichkeitsbegriffes, dass jedes Ereignis entweder Wahrscheinlichkeit 1 oder Wahrscheinlichkeit 0 hat, dass also die Kausalität den Lauf des Universums bestimmt, den Makrokosmos und auch den Mikrokosmos, "die Bewegungen der größten Himmelskörper und die des leichtesten Atoms", wie Laplace es ausdrückte.Um euch diesen Gedanken etwas näher zu bringen, möchte ich mit der Schilderung eines nur allzu typischen Beispiels fortfahren: Ein sechsseitiger Würfel wird einmal geworfen. Wir wollen dieses Geschehnis auf zwei verschiedenen Ebenen untersuchen und beginnen mit der, auf die sich das beschriebene mathematische Konzept der Wahrscheinlichkeit bezieht, mit der ideellen Ebene. In dieser ist von einem sogenanntenfairen Würfel die Rede. Unter der Bezeichnung ist zu verstehen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass eine bestimmte Seite Ergebnis des Wurfes ist, bei 1/6 liegt. Diese Wahrscheinlichkeit wird auf diese Weise festgelegt, nicht auf Grundlage irgendeiner empiristischen Anschauung, sondern auf Basis der Idee des Zufalls. Das bedeutet: In der ideellen Ebene gibt es weder Würfel noch Wurf. Eine solche Vorstellung wird abstrahiert und verallgemeinert auf die Vorstellung von sechs Ereignissen, bei denen definiert wird, dass sie alle im selben Ausmaß wahrscheinlich sind.Dass ein derart verstandener Zufall allerdings etwas rein Ideelles ist, dass er also auf eine solche Weise in der Wirklichkeit gar nicht existieren kann, möchte ich deutlich machen, indem ich das Geschehnis des Würfelwurfes auf der zweiten, der realen Ebene untersuche. In der Realität existiert ein fairer Würfel nicht. Der Schwerpunkt kann nie genau in der Mitte liegen, kleine Unreinheiten oder Unregelmäßigkeiten an der Oberfläche können das Ergebnis des Wurfes beeinflussen. Davon abgesehen ist der Wurf an sich in der Realität ein physikalischer Vorgang, der sich betrachten, beschreiben und letztendlich berechnen ließe. Denn alle Größen, die sich darauf auswirken, die Schwerkraft, der Luftwiderstand, die Wurfkraft, sämtliche Impulse, alle den Wurf beeinträchtigenden Komponenten, und mögen sie noch so mikroskopisch klein sein, führen schlussendlich in kausalem Sinne dazu, dass eine ganz bestimmte Seite obenauf liegt. Und wenn wir Menschen auch nicht in der Lage sind, alle den Wurf determinierenden Faktoren zu erfassen und zu verarbeiten, so müssen wir doch das Zugeständnis machen, dass er unter diesen Bedingungen gar kein anderes Ergebnis haben könnte. Wenn sich aber auch nur einer der Faktoren verändert, wenn beispielsweise eine Person kräftiger oder sachter wirft, oder wenn der Würfel zu Anfang auf eine andere Weise in der Hand liegt, dann mag das Ergebnis ein anderes sein. Tatsächlich ist es im Grunde unmöglich, zwei Würfe unter exakt denselben Bedingungen zu tätigen, und wir könnten niemals sagen, dass uns dies gelungen sei, da es zahlreiche Faktoren gibt, bei denen wir gar nicht imstande sind, sie wahrzunehmen.Weil sich also das Ergebnis des Wurfes so einfach ändern kann, und insbesondere weil wir selbst niemals in der Lage sind, alle Ursachen und Gründe für das Ergebnis des Wurfes nachzuvollziehen, reden wir auch in der Realität von gleichverteilter Wahrscheinlichkeit und von Zufall. Wer aber das bisher Gesagte akzeptiert, der muss nun zugeben, dass diese Begrifflichkeit der Sachlage streng genommen nicht angemessen ist, da es keine wahrscheinlichen Ergebnisse des Wurfes gibt, sondern nur ein gewisses, durch alle Faktoren bestimmtes Ergebnis des Wurfes.Es ist nicht verwunderlich, dass die Konzepte der Wahrscheinlichkeit gerade dann sehr häufig eine Anwendung finden, wenn Modelle für Phänomene besprochen werden, die sich unserer direkten Wahrnehmung entziehen. Die Auffassung, dass der Zufall in der Realität existiert, ist allerdings nicht der Glaube daran, dass es Dinge gibt, die der Mensch nicht erklären kann. Es ist der Glaube daran, dass es Dinge gibt, für die de facto keine Erklärung existiert. Wenn etwas geschehen ist, und ich stelle die Frage: "Warum ist das passiert und nicht etwas anderes?", so ist der Glaube an die Zufälligkeit des Ereignisses nicht die Auffassung, dass der Mensch auf diese Frage keine Antwort geben kann, sondern die Auffassung, dass es keine Antwort gibt. Ich kenne keine gute Argumentation für diese Einstellung und bin darüber hinaus überzeugt, dass sie dem wissenschaftlichen Streben schadet.Neben einer ausführlichen Begründung meiner Sichtweise beschäftige ich mich im Buch auch mit den Konsequenzen dieser Betrachtungen auf andere philosophische Diskussionen, etwa auf die Frage nach der Freiheit des Willens. Ich hoffe, ich konnte mit diesem Artikel das Interesse dafür wecken.Liebe GrüßeMahiat (https://nachtliteratur.wordpress.com/)
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