Die Debatte um den Vegetarismus und um den Veganismus wird in letzten Jahren immer lauter. Es handelt sich dabei nicht, wie gerne angenommen, um einen bald wieder verschwundenen Ernährungstrend. Die Gründe dafür liegen in der wachsenden Tendenz der Menschen, das Verhalten der Allgemeinheit zu hinterfragen und geltende Normen nicht als moralische Rechtfertigungsinstanz zuzulassen. Eine meines Erachtens unumgängliche Schlussfolgerung aus solchen Überlegungen ist die folgende: Wenn man gesundheitlich dazu imstande ist und wenn es die Versorgungssituation erlaubt, sich fleischlos zu ernähren, dann ist der Fleischkonsum unmoralisch.
Um das zu begründen, bedarf es zwei Argumenten:
1.) Der Fleischkonsum ist moralisch rechtfertigungsbedürftig.
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2.) Wenn man gesundheitlich dazu imstande ist und wenn es die Versorgungssituation erlaubt, sich fleischlos zu ernähren, gibt es keine moralische Rechtfertigung für den Fleischkonsum.Da der Konsum von Fleisch zahllose Konsequenzen hat, zumindest aber ohne die Tötung empfindsamer Lebewesen nicht möglich ist, ist er selbstverständlich moralisch rechtfertigungsbedürftig. Generell bekämpfe ich die antiquierte Ansicht, dass Konsum eine Privatsache sei. Die Globalisierung hat enormen Einfluss auf die Reichweite und Größe der Märkte. Wer bestimmte Lebensmittel konsumiert, fördert die unnötige Verschwendung von Ressourcen oder die Zerstörung von Lebensräumen. Wer Kleidung oder elektronische Geräte kauft, nimmt direkten Einfluss auf die Arbeitsbedingungen von Menschen in anderen Gegenden der Welt, unterstützt deren Ausbeutung oder finanziert Bürgerkriege mit. Zurzeit geschieht dies oftmals noch unwissentlich. Deshalb ist es umso wichtiger, darauf aufmerksam zu machen. Nur weil eine Ware in einem Geschäft angeboten wird, ist es noch lange nicht moralisch unbedenklich, sie zu kaufen und zu konsumieren. Im Rest des Beitrages möchte ich mich auf mein zweites Argument konzentrieren. Dafür werde ich die mir bekannten Rechtfertigungen für den Fleischkonsum anführen und möglichst kurz erklären, warum sie nicht gültig sind.1: “Ich kann nicht sicher sein, dass Tiere unter den Bedingungen ihrer Haltung und Tötung derart leiden, wie dies von Vegetariern und Veganern angenommen wird. Ich kann nicht einmal sicher sein, ob sie zu einem solchen Leidempfinden oder ob sie überhaupt zur Empfindung von Leiden fähig sind.”Diese Argumentation könnte, wenn man sie zulassen würde, auch zur Rechtfertigung des Quälens von Menschen benutzt werden. Tatsächlich können wir uns nämlich nicht sicher sein, ob überhaupt irgendein anderes Wesen auf dieser Welt zum Leid fähig ist. Sämtliche ihrer Reaktionen, die uns auf ihre Leiden schließen lassen, könnten nämlich theoretisch trügerisch, gespielt oder rein physisch sein; ob sie nun von Menschen oder von Tieren stammen. Natürlich kann man diese Argumentation aber nicht zulassen, weil es hochgradig unvernünftig ist anzunehmen, dass andere Lebewesen nicht wirklich leiden. Und wie wir den Menschen anmerken, dass sie Leid empfinden, so auch Tieren. Das enorme Ausmaß mancher ihrer Schmerzen wird durch ihr Verhalten geradezu derart offenkundig, dass es selten jemanden gibt, der es betrachten kann, ohne dasselbe Mitleid zu verspüren, das er auch Menschen entgegenbringt. Davon abgesehen gibt es empirische Hinweise auf die Fähigkeit zum Empfinden von Leiden, beispielsweise die Ausprägung des Nervensystems.
2: “Das Töten und Essen anderer Wesen ist Bestandteil der Natur. Vegetarismus und Veganismus sind widernatürlich.“Es stimmt, dass “Fressen und Gefressen werden” in der Natur Gang und Gebe ist. Das Problem mit dieser Argumentation ist allerdings, dass sie keine moralische Relevanz hat. Hätte sie diese nämlich, müsste man den Menschen viele Dinge erlauben, die die Gesetze in zivilisierten Gesellschaften verbieten. Die animalischen Triebe der Menschen sollen, und darin sind sich die meisten Leute einig, zum Zweck des Funktionierens einer Gemeinschaft, in der jedes Mitglied unter zivilisierten Bedingungen ein möglichst gutes Leben führen kann, in vielen Fällen gezügelt werden. Wer dieses Argument der Natürlichkeit verwendet, setzt also indirekt voraus, dass das Wohl der Tiere kein Anliegen einer zivilisierten Gesellschaft sein soll.
3: "Mein Interesse am Fleischkonsum wiegt höher als das Interesse des Tieres am Leben und an der Freiheit von Leid.“Sprechen wir von einem gesunden Menschen in unserer Gesellschaft, ist diese Rechtfertigung schlichtweg unverhältnismäßig. Dieser kann sich bekanntermaßen ohne gesundheitliche Bedenken vegetarisch ernähren. Primäre Interessen wie jenes an der Unversehrtheit des Körpers oder auch das an der Stillung des Hungers werden jedenfalls nicht berührt. Das Interesse am Fleischkonsum ist in diesen Fällen ein Interesse am angenehm empfundenen Geschmack und an gewohnten Ernährungsformen. Es ist ein Interesse an der Bequemlichkeit, ein Interesse am kurzweiligen Konsum, ein Interesse am Luxus, ein Interesse an der Aufrechterhaltung des hohen Lebensstandards, den zu genießen wir in unserer Gesellschaft gewohnt sind.Im Übrigen führt die Befriedigung von Bedürfnissen, die sich aus diesem hohen Lebensstandard heraus entwickelt haben, zu einer Knappheit der Ressourcen und verschlechtert in irreversiblem Ausmaß die Lebensbedingungen künftiger Lebewesen, also auch die von Menschen. Diesen Punkt habe ich aber bereits näher ausgeführt.
4: “Ich achte auf die Herkunft des Fleisches und stelle so sicher, dass das Tier ein angenehmes Leben hatte und schmerzfrei starb.”Die Überprüfung der Bedingungen, unter denen Tiere leben, fällt oft schwer. Wer sich mit der Thematik näher befasst, kennt alle Skandale und weiß durchaus, dass furchtbare Tierhaltungsformen den Stempel “artgerecht” und die schmerzvollsten Schlachtungen das Prädikat “ordnungsgemäß” bekommen können. Selbst auf Qualitätszeichen kann man sich in dieser Hinsicht nicht verlassen, schon gar nicht in Bezug auf die Umstände der Haltung und Schlachtung eines individuellen Tieres.Setzen wir trotzdem einmal voraus, dass ein Tier glücklich in einer idyllischen Umgebung lebt und dann völlig schmerzfrei geschlachtet wird. Wenn also auch das Interesse des Tieres an der Freiheit von Leid nicht verletzt wird, so zumindest sein Interesse an der Fortdauer dieses Lebens, das doch, weil wir von einem glücklichen und zufriedenen Tier sprechen, nur umso größer ist. Wer dann den unter Punkt 3 erläuterten Einwand betrachtet, der wird zugestehen, dass die Unverhältnismäßigkeit der Rechtfertigung bestehen bleibt.
5: “Fleisch ist ein unersetzbarer Bestandteil einer gesunden und energiereichen Ernährung.”In Punkt 3 merkte ich bereits an, dass dies schlichtweg nicht der Wahrheit entspricht. Es gilt für manche Tiere, für den Menschen aber nicht. Dieser kann, wenn er gesund ist und in der richtigen Umgebung lebt, Fleisch problemlos durch andere Lebensmittel ersetzen und so zu einer optimalen Ernährung gelangen. Das Argument wird heutzutage nicht mehr oft angeführt, da mittlerweile allgemein bekannt ist, dass die fleischlose Ernährung für die meisten Menschen sogar um einiges gesünder wäre.6: "Die Tiere werden nur für diesen Zweck gezüchtet. Es würde sie sonst nicht geben. Daher darf man sie bedenkenlos töten."Es gibt keine vernünftige Rechtfertigung dafür, den Interessen irgendeines Lebewesens weniger Beachtung zu schenken, weil ihm zu seiner Geburt ein Stempel aufgedrückt wurde. Diese Rechtfertigung ist der Inbegriff einer moralischen Ungerechtigkeit und ein Sinnbild für die Neigung der Menschen, moralische irrelevante Tatsachen nicht als solche zu erkennen und in einer ethischen Bewertung zuzulassen.
7: "Vegetarier und Veganer tragen durch ihren Sojakonsum zur Zerstörung des Regenwaldes bei."Jedes Argument gegen eine nicht nachhaltige Pflanzenproduktion ist ein Argument gegen den Fleischkonsum und nicht gegen die fleischlose Ernährung. Gerade der Ertrag aus gen- und chemiebelasteten Monokulturen, auf die häufig verwiesen wird, findet seine Verwendung zu großen Teilen als Futter für unser Nutzvieh. Wer ein Lebensmittel verzehrt, konsumiert natürlich in ökologischer Hinsicht auch alle Ressourcen, die zur Produktion nötig waren. Um die leider wachsende Nachfrage nach Fleisch befriedigen zu können, werden zahlreiche Rohstoffe in immer größerer Menge benötigt, die man auf direkterem und nachhaltigerem Wege nutzen könnte. Fleischproduktion steht im Zusammenhang mit dem Welthunger und geht mit einem hohen Verbrauch von Wasser einher. (Quelle) Solange der überwiegende Teil des konsumierten Fleisches aus der Intensiv- und der Massentierhaltung stammt, wird sich daran nichts ändern. Die Sojaprodukte, die in unseren Supermärkten erhältlich sind, beziehen die Bohne bevorzugt aus regionalen Quellen. (Quelle) Beachtet man das Konsumbewusstsein der Zielgruppe für diese Lebensmittel, ist das eigentlich selbstverständlich.
Sollte jemand Anmerkungen haben oder der Ansicht sein, dass diese Liste nicht vollständig ist, würde ich mich über eine Rückmeldung und über eine Diskussion in den Kommentaren freuen. Da ich mich mit dem Thema seit längerer Zeit beschäftige, kann ich interessierten Lesern weitere Beiträge auf meinem eigenen Blog anbieten. Insbesondere verweise ich auf "Zum Prinzip moralischer Gleichheit" und auf "Zu fleischlichen Halbwahrheiten".
Liebe Grüße,Mahiat