Fotomontage Manfred Breitenberger
Vor zehn Jahren wurde der australische Philosoph Peter Singer mit dem „Ethik-Preis der Giordano-Bruno-Stiftung“ ausgezeichnet, was die Stiftung in arge Erklärungsnöte und diverse Behinderteninitiativen auf die Barrikaden brachte. Der von der „GBS“ propagierte „evolutionäre Humanismus“, der auf den britischen Rassenhygieniker Julian Huxley zurückzuführen ist, bestreitet den freien Willen des Menschen, was wiederum laut dem Leiter Schmidt-Salomon die Chance birgt, „aus dem von Rachegedanken geprägten moralischen Automatismus von Schuld und Sühne auszubrechen.“ Singer halluziniert in seinen Schriften von „Speziesisten„, die für tödliche Experimente lieber Tiere als geistig Behinderte oder Säuglinge verwenden. Für Tierrechtler wie Singer ist der Speziesismus eine verachtenswerte Form des Rassismus. In seinem Werk „Praktischen Ethik“ von 1979 kalkuliert Singer: „Sofern der Tod eines behinderten Säuglings zur Geburt eines anderen Säuglings mit besseren Aussichten auf ein glückliches Leben führt, dann ist die Gesamtsumme des Glücks größer, wenn der behinderte Säugling getötet wird“. In den 1980er Jahren schlug Singer vor Säuglinge bis 28 Tage nach der Geburt nicht als volle Rechtspersonen zu behandeln, damit es Eltern möglich wäre, schwerstbehinderte Neugeborene zu töten, ohne deshalb angeklagt zu werden. Peter Singer war für die australischen Grünen aktiv, er ist Vordenker der Tierrechtsbewegung und des Veganismus und er plädierte in „A Darwinian Left: Politics, Evolution and Cooperation“ für eine neue darwinistische Linke die ihre Gesellschaftskritik zugunsten eines Biologismus aufgeben sollte.
Der Sozialdarwinismus überträgt missbräuchlich Teilaspekte des Darwinismus auf die menschliche Gesellschaft. Das biologistische Weltbild ist zumeist mit Eugenik verknüpft um die Fortpflanzung vermeintlich wertvoller Menschen zu forcieren und angeblich minderwertiger zu blockieren. Die Geschichte des Sozialdarwinismus wurde von Wissenschaftlern aus der Mitte der Gesellschaft entwickelt. Der britische Ökonom Thomas Robert Malthus behauptete 1798 in „An Essay on the Principle of Population“ die Zahl der Menschen würde sich alle 25 Jahre verdoppeln, während der Ertrag der Felder allenfalls um die gleiche Menge wachse und soziale Reformen würden das Übel nur verschärfen. Dagegen prognostizierten zur selben Zeit Ökonomen wie David Ricardo oder Friedrich List weise vorausschauend sinkende Geburtenraten in den industrialisierenden Staaten. Friedrich Engels entgegnete, dass „Überbevölkerung“ kein technisches, sondern ein sozio-ökonomisches Problem darstelle. Für Feministinnen und Anarchisten Ende des 19. Jahrhunderts war Überbevölkerung die entscheidende Ursache allen Elends und traten deshalb für den Gebrauch von Verhütungsmitteln ein, weshalb sie von Konservativen, Klerikalen und nationalistischen Rechten angegriffen wurden, weil die, wie heute die Islamisten, mehr Kinder fürs Vaterland forderten.
Der Soziologe Herbert Spencer (1820-1903) präzisierte die reaktionäre Ideologie mit dem Schlagwort vom „survival of the fittest.“ In der Tierwelt würden sich die Stärksten und Gesündesten durchsetzen, was das Überleben und die Entwicklung einer Spezies fördere, nur beim Menschen stünden die Schwächeren dem Fortschritt der Gesunden im Wege. Den Begriff der Eugenik führte der Naturforscher Francis Galton (1822-1911) ein, er war davon überzeugt, dass Menschen einen unterschiedlichen Wert hätten, sich unfähigen Menschen zu stark fortpflanzten, während sich die Elite zurückhalte.
Karl Marx und Friedrich Engels begrüßten die Evolutionstheorie Darwins als materialistische Erklärung für die Entstehung von Pflanzen, Tieren und Menschen. Engels verglich gar den kapitalistischen Konkurrenzkampf mit Darwins Kampf ums Dasein, wobei sich Marx klar dagegen aussprach, soziale Fragen mit Hilfe der Evolutionstheorie zu erklären oder sozialdarwinistische Schlussfolgerungen zu ziehen. Im krassen Gegensatz zu Marx stand der Chefideologe der SPD Karl Kautsky, er war davon überzeugt, die Evolutionslehre ließe sich auf die menschliche Geschichte übertragen. So prägte Kautsky 1910 den Begriff der „proletarischen Rassenhygiene.“ Insbesondere die Medizin störe das „Gleichgewicht in der Natur“, mindere die „Anforderungen des Kampfes ums Dasein“ und erleichtere damit „körperlich und geistig minderwertigen Individuen nicht bloß die Erhaltung, sondern auch die Fortpflanzung“. Kautsky, der im Übrigen der Theoretiker des sozialdemokratischen Antizionismus war, vermischt soziale mit biologistischen Argumenten. Kautsky forderte die soziale Kontrolle: Im Sozialismus werde Rassenhygiene als „soziale Pflicht“ gelten. „Die Zeugung eines kranken Kindes wird dann mit ähnlichen Augen betrachtet werden wie etwa heute noch die eines unehelichen Kindes.“ Kämen dennoch kranke Menschen zur Welt, „wird ihr Siechtum nicht mehr die Schuld der sozialen Verhältnisse, sondern einzig als persönliche Schuld der Eltern erscheinen“. Im Endergebnis werde im Sozialismus ein „neues Geschlecht (…) erstehen, stark und schön und lebensfreudig, wie die Helden der griechischen Heroenzeit, wie die germanischen Recken der Völkerwanderung“, schrieb Kautsky. Freilich vertrat innerhalb der SPD nur eine Minderheit diese sozialdarwinistischen und eugenischen Ansichten. Kautsky setzte sich diesbezüglich nicht durch, die Mehrheit war davon überzeugt, dass der Mensch durch die gesellschaftlichen Bedingungen geprägt werde.
Bereits vor dem Ersten Weltkrieg entstand als Teil der lebensreformerisch-esoterischen Bewegung die Anthroposophie. Sie war ein kleiner Zweig jener „völkischen Revolution“, die dazu beitrug, die Deutschen zu jenen willigen Vollstreckern zu formen, auf die sich der Nationalsozialismus stützen konnte. Rudolf Steiner (1861-1925) begründete die Anthroposophie, die in der Tradition der deutschen Romantik und der von Helena P. Blavatsky (1831-1891) begründeten Theosophie stand. Die Lebensreformbewegung propagierte ein einfaches, natürliches Leben mit gesunder Ernährung, frischer Luft und Bewegung, statt Erotik eine nordische Freikörperkultur plus Rassenhygiene und Eugenik, einer Menschenzucht, die sich am Ideal blond, groß, muskulös orientierte. Die Lebensreformbewegung lieferte den Nazis nicht nur die Ideen sondern auch das Personal. Der führende NS-Rassenhygieniker Alfred Ploetz kam beispielshalber aus der Lebensreformbewegung, der Eugeniker und Antisemit Theodor Fritsch engagierte sich in der Gartenstadt-Bewegung.
Ausgehend von Blavatskys theoretischem Ansatz baute Steiner seine Evolutionslehre der „Völker- und Rassengruppen“ auf, wonach die menschliche Seele durch aufeinanderfolgende Verkörperungen in immer „höheren“ Rassen geistig wie leiblich fortschreitet. In Rudolf Steiners theosophischem Sozialdarwinismus halluziniert dieser von „degenerierten“, „zurückgebliebenen“ oder „zukünftigen“ Rassen, die keine „Unfälle“, sondern das Ergebnis einer konsequent durchgedachten Evolutionslehre waren. Für Anthroposophen sind Hunger und Elend, Krankheit und Behinderung, Vergewaltigung und Mord karmisch bedingt. Das Leben jedes Menschen ist von seinen Handlungen im vermeintlich früheren Leben geprägt. Die absurde Ideologie Rudolf Steiners fließt in die Pädagogik der heutigen Waldorfschulen ein. In Schülerheften ist beispielsweise von Atlantis oder den Ariern und ihren Wanderungen die Rede. In den Lehrplänen der Waldorfschulen spielen Bilder von Engeln, „wie sie aus den alten Mythenkreisen der Menschheit vorkommen“ ebenso hinein wie die angebliche Existenz von „Zwergen“ und anderen Fantasiegestalten. Typisch ist die Behauptung, sämtliche Probleme, individueller wie kollektiver, physischer wie psychischer Art, würden aus mangelnder Spiritualität resultieren und seien nicht auf soziale Verhältnisse zurückzuführen. So ist es auch nicht verwunderlich, dass Rudolf Steiner ein ausgesprochener Impfgegner war. Er warnte davor, dass durch Impfungen die Seele abgeschafft und ausgetrieben werde.
Etwa zur selben Zeit versprach der Finanztheoretiker, Sozialdarwinist und Erfinder des „Schwundgelds“ Silvio Gesell (1862-1930) in seinem Hauptwerk “Die natürliche Wirtschaftsordnung“ mit seiner „Freiland- und Freigeldtheorie“ die Lösung der kapitalistischen Widersprüche. Die absurde Lehre Gesells läuft auf „Manchester-Kapitalismus“ mit dem Ziel einer Art Rassenhygiene und Menschenzüchtung hinaus. Im ersten Schritt seiner „Lehre“ wird das Privateigentum an Boden abgeschafft, um anschließend an den Meistbietenden verpachtet zu werden. Staaten, die sich der Freilandtheorie nicht anschließen ziehen die „Arbeitsscheuen“ der ganzen Welt an. „Die Pachtzahlung erfolgt zunächst an den Staat „und wird restlos an die Mütter nach der Zahl der Kinder verteilt.“ Frauen würden in „speziellen“ Gemeinschaften ihre Kinder erziehen und von Zeit zu Zeit auf Reisen gehen, um eugenisch wertvolle Männer zu suchen und sich von ihnen erneut schwängern zu lassen. Der Kranke und der Schwache hat keinen Platz in Gesells sozialdarwinistischer Theorie. Die „Fortpflanzung der Fehlerhaften“ gelte es durch „das große Zuchtwahlrecht, dieses wichtigste Sieb bei der Auslesetätigkeit der Natur“ zu bekämpfen und eben zu diesem Zweck soll die fruchtbare Frau den Zugriff auf Grundrente und Boden nach Zahl ihrer Kinder erhalten. Die übrigen Frauen würden sich sterilisieren lassen und lohnabhängig sein. Gesell betont die Züchtung von „Kraft, Gesundheit, Schönheit“ als gesellschaftliches Ziel. Frauen haben sich dem unterzuordnen und Verhütung ist laut Silvio Gesell, schlecht, weil es dann an „menschlichem Auslesematerial“ mangelt. Nach seiner sozialdarwinistischen Logik sterben diese Frauen aus und nur die „Lebensbejahenden“ pflanzen sich fort. „Bummler, Sonnenbrüder und Zigeuner würden wegziehen und auch aussterben. Eine solche „Rassenpolitik“, schreibt Gesell, „darf nicht an Staaten, Landesgrenzen, an Staatsgesetze gebunden werden. Rassenpolitik ist ureigene Angelegenheit jedes einzelnen Menschen“, er fordert die „Erlösung von all dem Minderwertigen, mit dem die seit Jahrtausenden von Geld und Vorrecht geleitete Fehlzucht die Menschheit belastet hat.“ Gesell machte unter den Zeitgenossen „Entartungserscheinungen“ aus und ginge es so weiter, bliebe „vom stolzen Menschengeschlecht nach weiteren drei oder vier Generationen“ nicht mehr übrig als „ein Häufchen Unglück.“ Schuld seien die moderne Zivilisation, insbesondere die Großstadt, dazu Alkohol und Nikotin sowie die Fortschritte der Medizin. Die Ärzte würden der Natur ins Handwerk pfuschen. Herrschten dagegen „freie Liebe“ und „freie Zuchtwahl“, könnten die Mediziner „den ekelhaften Ärzteberuf an den Nagel hängen“, denn „wie es bei den Tieren des Waldes keine Kranken gibt, so auch dann nicht unter den Menschen.“ Die Fortschritte der Medizin, die Technik des Impfens etwa gegen Tuberkulose, lehnten Sozialdarwinisten und Eugeniker ab, weil dadurch die Ausmerze der Minderwertigen beschränkt würde. (..)
Obwohl Silvio Gesells Freilandtheorie kompatibel mit NS-Lebensborn oder dem NS-Mutterkreuz ist, propagierte, so unfassbar dies auch erscheinen mag, im Jahr 2010 eine Redakteurin des „israelkritischen“ und „irgendwie linken Freitag“ Gesells sozialdarwinistische Ansichten und meinte: „Was heute reaktionär erscheint, war damals emanzipatorisch“ und „Hier geht es nicht um eugenische Ziele, denen sich die Frauen zu unterwerfen haben, sondern darum, ohne Versorgungsprostitution mit Männern, die sexy sind, Kinder zu machen. Frauen wird ja heute immer wieder vorgeworfen, dass sie zwar mit den interessanten wilden Kerlen gerne rummachen, aber sich dann in die Versorgungsehe flüchten, um das Kuckuckskind aufzuziehen.“
Noch offener aber kompatibel mit Gesell und Steiner schuf der Rechtswissenschaftler Karl Binding (1841-1920) mit seinem Werk „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens“ die Rechtfertigung zur Eugenik der Nationalsozialisten. Der deutsche Psychiater Alfred Hoche (1865-1943), der Mitverfasser von Bindings menschenverachtender Schrift, der als einer der Wegbereiter der organisierten Massenvernichtung in der NS-Zeit gilt, meinte: „…wir werden vielleicht eines Tages zu der Auffassung heranreifen, dass die Beseitigung der geistig völlig Toten kein Verbrechen, keine unmoralische Handlung, keine gefühlsmäßige Rohheit, sondern einen erlaubten nützlichen Akt darstellt.“
Mit der Machtergreifung der NSDAP 1933 und den darauffolgenden „Nürnberger Rassengesetzen“ gelangte der Sozialdarwinismus mit seiner betriebenen Radikalvariante der Eugenik in Deutschland in die politische Praxis. Die Doktrin vom Kampf ums Dasein, vom Überleben der Tüchtigsten, von Auslese und Ausmerze hat in der völkischen und faschistischen Ideologie einen herausragenden Stellenwert. Der Faschismus lehnt die Gleichheit vor dem Gesetz zugunsten einer hierarchischständisch gegliederten Ordnung in einem ethnisch-rassisch reinen Volkskörper ab. In „Mein Kampf“ nahm Adolf Hitler darauf Bezug und pries den Kampf ums Dasein als aristokratisches Prinzip der Natur. Ethnische Minderheiten, Kranke und Behinderte wurden im NS-System als “Schädlinge” bezeichnet und wurden Mithilfe von Zwangssterilisation oder Massentötungen aus der Gesellschaft entfernt, um die “deutsch-arische” Rasse aufzuwerten. Mit seinem „Euthanasiebefehl“ vom Oktober 1939 ermächtigte Adolf Hitler die Tötung so genannten „lebensunwerten Lebens“. Der Kinder-Euthanasie fielen in über dreißig sogenannten „Kinderfachabteilungen“ mindestens 5.000 Menschen zum Opfer. Der Höhepunkt dieser Politik mit seinen Krankenmorden war die 1939 gestartete “Aktion T4“. Bei dieser systematischen Massenvernichtung kamen bis 1945 rund 200.000 Kranke und Behinderte ums Leben. Insgesamt wurden in sechs Anstalten, zum Beispiel in Brandenburg an der Havel, Hadamar bei Limburg oder Hartheim bei Linz Patienten durch das Giftgas Kohlenmonoxid in eigens hierfür eingerichteten Gaskammern ermordet. Die Täter bedienten sich bei ihrer Arbeit einer bürokratischen, entmenschlichenden Sprache, für die Tötung der Patienten verwendeten sie Begriffe wie „desinfiziert“ und „erledigt“. Unabhängig von der zentralen Koordination der Krankenmorde im Deutschen Reich, kam es in den annektierten Territorien Polens und der Sowjetunion zum Mord an dortigen Anstaltsinsassen. Einzelne Vertreter der Justiz und der Kirchen versuchten, die Morde zu behindern oder öffentlich zu machen. Das öffentliche Anprangern der „Euthanasie“ durch Bischof Clemens August von Galen führte zu erheblicher Unruhe in der Bevölkerung und trug am 24. August 1941 zum Stopp der zentral organisierten Ermordung von Patienten durch die T4-Organisation bei. Kurze Zeit später befanden sich zahlreiche Mitarbeiter der „T4“-Zentrale und der Tötungsanstalten im besetzten Polen und übernahmen dort im Rahmen der sogenannten Aktion Reinhard, der „Endlösung der Judenfrage“ in den Vernichtungslagern Majdanek, Treblinka, Sobibór und Bełżec, sowie Auschwitz-Birkenau ihre „Arbeit“.
Nach Bekanntwerden der umgesetzten Eugenik des NS-Systems wandten sich nach dem Krieg die meisten Länder von ihrer vormals praktizierten eugenischen Politik ab, die Ideen verschwand allerdings nicht. Julian Huxley, der erste Generaldirektor der UNESCO und Mitbegründer des World Wildlife Fund war auch der Präsident der britischen Eugenik-Gesellschaft und enthusiastischer Unterstützer der Eugenik, er sagte bereits 1947: „Auch wenn es sicher wahr ist, dass jegliche radikale eugenische Politik für viele Jahre politisch und psychologisch unmöglich sein wird, wird es für die UNESCO wichtig sein, zu erkennen, dass das Eugenik-Problem mit größter Sorgfalt untersucht wird und das öffentliche Bewusstsein über die Sachverhalte so weit informiert wird, dass das Undenkbare wenigstens denkbar wird.“
Selbst die Impfgegnerschaft hat sich auch nach 1945 in großen Teilen der Bevölkerung verbissen gehalten. Als Ende des 18. Jahrhunderts der britische Arzt Edward Jenner die Pockenschutzimpfung erfand und damit die Opferzahlen der tödlichen Krankheit rapide zurückgingen regte sich schon kurz darauf Widerstand. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts lehnten viele Tiroler unter ihrem Rebellen Andreas Hofer die von der bayerischen Herrschaft eingeführte Pockenimpfungen mit der Begründung ab, dass der naturwüchsigen Tiroler Seele damit „bayerisches Denken“ eingeimpft werden solle. Eugen Dühring, einer der prominentesten und einflussreichsten Antisemiten des Kaiserreichs, hatte in seiner 1891 erschienenen pseudowissenschaftlichen Kampfschrift „Die Judenfrage als Racen-, Sitten- und Culturfrage“ das Impfen als von jüdischen Ärzten mit dem Ziel der persönlichen Bereicherung erfundenen Aberglauben bezeichnet. Die Idee einer Immunisierung der Massen widersprach naturgemäß im Nationalsozialismus dem Gedanken von Auslese und Abhärtung. Dass der „Herrenmensch“ durch eine Impfung den „Untermenschen“ schützt und umgekehrt der „Untermensch“ den „Herrenmensch“ war nicht zu akzeptieren. Julius Streicher schrieb im Jahr 1935 naturgemäß: „Die Impfung ist eine Rassenschande.“
Die islamistischen Taliban in Afghanistan, die aktuellen Felsen in der Brandung für die islamische Steinzeit, sind selbstverständlich Impfverweigerer. Die Taliban vermuten hinter Impfungen eine westlich-jüdische Verschwörung, und vor allem würden die Impfstoffe für die Gotteskrieger die „biologische Reproduktion der Rechtgläubigen“ gezielt stören. In Nigeria befürchten die Dschihadisten „die Amerikaner“ würden mit der Impfung versuchen, junge Frauen unfruchtbar zu machen. Deshalb überfallen Islamisten von Boko Haram regelmäßig die „verwestlichen“ Impfteams und so verwundert es auch nicht, dass in Ländern wie Nigeria, Pakistan oder Afghanistan die Kinderlähmung nach wie vor endemisch ist. Irans Religionsführer Ali Khamenei ordnete an: „Amerikanische und englische Impfstoffe dürfen nicht für den Iran gekauft oder benutzt werden.“ Der Abgeordnete des islamfaschistsichen Gottesstaates Hussein Kanani meinte diesbezüglich, in dem Impfstoff der Engländer und Amerikaner wäre GPS eingebaut, damit die Iranerinnen und Iraner kontrolliert werden könnten.
Esoterische Impfgegner mit den unfassbarsten Verschwörungstheorien gibt es freilich weltweit in so gut wie allen politschen Blasen. So erzählt man sich in der Szene, dass der Bösewicht Bill Gates per Zwangsimpfung, also durch diese Impfung eingesetzte „Mikrochips“ die Weltbevölkerung entweder kontrolliert und versklavt oder ausgemerzt werden soll. An diesem Punkt herrscht noch eine gewisse Uneinigkeit. Von Andreas Hofer über die Nazis, die Anthroposophen, den Gesellianern, den Alt-Hippies, den Neurechten bis zu Boko Haram, sie alle sehen und sahen sich als Opfer einer vermeintlichen Impf-Diktatur. Im grün-alternativen Milieu korrespondieren seit je her eine starke Affinität zur Alternativmedizin und hohe Impfskepsis.
Zusammenfasend lässt sich feststellen, die Anthroposophen, die Impfgegner, die Eugeniker, die okkultistischen Spinner, die Sozialdarwinisten oder die Esoteriker die an Erzengel, Waldfeen, Kobolde, die Reinkarnation und an das Karma glauben befinden sich auf einem Widerstandstrip gegen die Moderne. Die 100.000 Alten, die Übergewichtigen, die Vorerkrankten mit hohem Blutdruck und die jüngeren Gesunden die einfach nur Pech hatten sind für viele „Maßnahmenkritiker“ nicht der Rede wert.
„Maßnahmen-Kritiker“ mit Schweden-Flaggen oder ein Wolfgang Schäuble der meinte „der Schutz des Lebens stehe nicht über den Grundrechten“, prägen nun seit fast zwei Jahren die Landschaft. Angesichts von rund 100.000 Toten, die mit oder durch Corona alleine in Deutschland gestorben sind ist es amüsant, wenn es nicht so traurig wäre, wie Corona-Leugner oder „Maßnahmen-Kritiker“ die Corona-Maßnahmen der Regierungen der restlichen Welt offenbar ausblenden, beispielshalber den ungleich härteren Lockdown in Italien, in Spanien, in China oder zuletzt in Australien, mit strengsten Einreisebeschränkungen, limitierten Flügen und extremen Quarantänekosten. Ich frage mich haben diese Leute keine Freunde oder Bekannten die in Krankenhäusern, in Pflegeheimen, in Schulen oder in Gesundheitsämtern arbeiten? Kennen „Maßnahmen-Kritiker“ keine Menschen die schwer an Corona erkrankt oder daran gestorben sind? Glauben „Maßnahmen-Kritiker“ tatsächlich, dass Länder mit so unterschiedlichen politischen Systemen wie China, Australien, Italien, Spanien oder Frankreich mit dem jeweiligen Lockdown ihre Wirtschaft vorsätzlich zerstören wollten? Falls es so sein sollte, dann ist ihr Aberglaube nicht weit entfernt vom Aberglauben der Mullahs oder der Taliban. Der selbstverschuldete Glaubwürdigkeitsverlust der öffentlich-rechtlichen Medien durch Einseitigkeit in anderen Fragen ist gewiss Teil dieses Problems. Die fortschreitende Magisierung der Welt scheint jedenfalls nicht aufhaltbar zu sein. Am 18.09.2021 wurde der 20-jährige Alex West während seines studentischen Nebenjobs von einem „Maßnahmen-Kritiker“ an einer Tankstelle in Idar-Oberstein erschossen, weil er an die Maskenpflicht erinnert hat.
Quellen: Peter Bierl: Wie Menschen zur Schnecke gemacht werden – Zur Kritik des Sozialdarwinismus | Elke Wittich Wenn die ganze Korona protestiert | Elke Wittich Grün-alternative Impfkritik | Peter Bierl – Wurzelrassen, Erzengel und Volksgeister – Die Anthroposophie Rudolf Steiners und die Waldorfpädagogik | Peter Bierl – Schwundgeld, Freiwirtschaft und Rassenwahn, Kapitalismuskritik von rechts: Der Fall Silvio Gesell | Lucius Teidelbaum – Esos gegen Wissenschaft
Gleichzeitig veröffentlicht bei Mission Impossible