Fotomontage Manfred Breitenberger https://www.flickr.com/photos/honeybunnyandy/2558433905
Der Journalist, Freelancer und Hobbykoch Georg von Grote sorgt derzeit für Furore mit einem Facebook-Essay zu Carola Rackete, der deutschen Kapitänin, die sich Italiens rechtem Innenminister widersetzt hat. Georg von Gotes Beitrag wurde 74 Mal geteilt, hat viele Likes und wird überwiegend positiv bewertet. In seinem Beitrag schreibt Georg von Grote am 29. Juni 2019:
„Eine junge Kapitänin fordert nicht nur einen 100%igen Faschisten wie Salvini heraus, sondern entlarvt gleichzeitig auch die gesamte EU und macht unmissverständlich klar, dass die Europäische Menschenrechtskonvention nicht einmal das Papier wert ist, auf dem sie einst gedruckt und von den Staaten der EU unterzeichnet und ratifiziert wurde. Ein kleines Schiff, eine kleine Crew eine junge Kapitänin und 40 Schiffbrüchige an Bord entlarven einen ganzen Kontinent als das was er in Wirklichkeit ist, eine Ansammlung von machtgierigen, korrupten, inhumanen und vollgefressenen Politikern und Bürgern, die nur ihr eigenes Wohl im Auge haben.“ (..)
Ich habe die deutsche Staatsbürgerschaft. Aus Zufall, weil ich hier geboren wurde. Ich wurde nicht gefragt, ich hatte keine Wahl. Ich könnte auch als Senegalese geboren sein. Aber jetzt gelte ich nun einmal als Deutscher. Muss ich mich deshalb als ein solcher fühlen? Mich bindet nichts an dieses Land, nichts was mir andere Länder nicht auch bieten könnten. Ich bin diesem Staat auch zu nichts verpflichtet, es sei denn Respekt vor meinen MItmenschen zu haben. Wohlgemerkt Mitmenschen, nicht Mitdeutschen. Ich habe diesem Staat auch nichts zu verdanken. dieser Staat hat mir auch nichts geschenkt, was ich ihm zurückgeben müsste. Im Gegenteil. Jetzt werden einige kommen und etwas von Freiheit faseln, Meinungsfreiheit, Freizügigkeit, Demokratie und Frieden und was sonst noch. Sorry Leute, das alles hat der Staat uns nicht geschenkt, sondern das alles mussten und müssen wir uns immer noch erarbeiten, darum kämpfen. Staaten schenken einem nichts, egal in welchem man lebt und sich heimisch fühlt. Vor allem ist die Freiheit, die der Staat für sich definiert, nicht identisch mit der, die ich mir nehmen will und die mir zusteht. Um es für ein paar Begriffstutzige deutlich zu machen, das Verständnis von Freiheit eines Seehofer oder eines Scholz oder eines Gauland ist sich mit Sicherheit wesentlich näher als meinem Verständnis von Freiheit. Und Freiheit hat auch etwas mit Menschenrechten zu tun. Das eine geht ohne das andere nicht. Carola Rackete hat das begriffen und deshalb liegt sie mit ihrem Schiff, ihrer Crew und 40 HIlflosen vor Lampedusa und fordert die EU heraus, endlich Farbe zu bekennen und ein Walter Steinmeier sitzt derweil zu Berlin im Borchardt, schwingt hohle Phrasen und schlägt sich den Bauch voll. Und wenn er vielleicht genug intus hat, vom süffigen Roten, dann erzählt er möglicherweise die Geschichte von der St. Louis und ihrer Irrfahrt und ihrem Kapitän. Geschichten, die Deutsche immer gerne erzählen, wenn sie von dem ablenken wollen, was im deutschen Namen geschah und heute in deutschem Namen wieder geschieht. Carola Rackete ist eine junge Frau mit Prinzipien und Überzeugung und macht genau das Richtige. Sie hat nur den falschen Pass. Den deutschen. Hätte sie einen amerikanischen oder gar einen israelischen, dann hätte Salvini, trotz Trump und dessen Aversion gegen Zuwanderer, längst Feuer unterm Frack. (..)
In dem ersten Kommentar unter seinem Posting holt Georg von Grote noch einen wichtigen Gedanken nach, in dem er schreibt: „Carola Rackete wurde mittlerweile verhaftet. Und sie hat das Pech, dass sie keine Meşale Tolu ist, kein Denis Yücel. Carola Rackete hat ’nur‘ Menschenleben gerettet, das können weder Tolu noch Yücel auf ihre Druckfahnen schreiben.“
Der radikale Israel- und Judenhasser Georg von Grote, der Israel unterstellt einen „Vernichtungskrieg mit ethnischen Säuberungen“ zu führen, der Netanjahu, Liebermann, Bennet, Feigelt als „Staatsterroristen“ die ihre „Killertruppe von der Kette“ lassen beschuldigt, der den Zentralrat der Juden als „verbale Killertruppe“ denunziert, der dem Judenstaat eine „Blut- und Bodenpolitik“ unterstellt, veröffentlichte in Jakob Augsteins antizionistischen „Freitag“ am 5.4.2012 seine „Nachgedanken“ zum israelfeindlichen Grass-Gedicht:
„Ich bin ziemlich erschüttert. Ich dachte, das neue freie Deutschland hätte sich langsam aus den sich selbst auferlegten Fesseln gelöst. Grass hat gezeigt, dass dem so nicht ist. (..) Meine Eltern waren im Krieg. Meine Mutter als Krankenschwester in Frontlazaretten, mein Vater als Generalstabsoffizier. Beide mehr unfreiwillig als freiwillig. Um das alles zu verstehen war ich viel zu jung. Auch als ich, weil ich im Ausland aufwuchs, als Deutscher verprügelt und geächtet war. Ich war zu jung, um das zu verstehen. Nur langsam, als ich älter wurde, redeten meine Eltern mit mir darüber und dann begriff ich auch langsam. (..) Ich fühlte mich aber nicht schuldig, aber verantwortlich und wunderte mich, dass man versuchte mir das jetzt einzutrichtern. Argumentationen mit den damaligen Lehrern führt auch zu nichts. Nur zu Verweisen. (..) Ich habe dann ab Anfang der 80er Israel oft besucht. Aber auch den Libanon, Syrien, Türkei, Jordanien, Ägypten, und Nordafrika auch den damaligen Iran. Je öfter ich in Israel war, desto unschuldiger fühlte ich mich. (..)
Über die Jahrhunderte der Diaspora hat sich bei Juden – und ich sag jetzt bewußt Juden und nicht Israelis – ein fast schizophrener Verfolgungswahn entwickelt. (..) Und aus Schuldgefühlen heraus, machen wir in Deutschland diesen Wahnsinn mit, statt einfach mal ganz klar zu analysieren und Eigeninitive zu ergreifen und auch klipp und klar einem Netanjahu oder auch einem Herrn Broder und allen anderen, die ihnen nachlaufen zu erklären: Nein! Da spielen wir nicht mehr mit! Grass hat nun den Anfang gemacht. Wir sollten mitmachen!“
Einige begeisterte Anhänger des Rackete-Essays des Georg von Grote habe ich mit diversen antisemitischen Aussagen ihres „Idols“ konfrontiert. Antisemitismus konnten die wenigsten und wenn dann nur halbherzig erkennen. Matteo Gesualdo Corvaja war beispielsweise der Meinung: „Grotes Kritik an Israel sei noch weit von Antisemitismus entfernt, da er sich auf israelische rechtsradikale religiöse Kreise beschränkt.“
Die Gedankenwelten des Georg von Grote und die von Matteo Salvini sind zwei Seiten einer Medallie, aus der dasselbe Ressentiment erbricht. Ohne jede Sympathie für Matteo Salvini oder die europäische Flüchtlingspolitik stellen sich nun verschiedene Fragen: Wieviel Wert haben die humanistischen Ansichten der angesprochenen Verteidiger von Carola Rackete wenn sie der Antisemitismus eines Georg von Grote offenbar nicht tangiert. Und vor allem warum setzten sich deutsche Israel- und Judenhasser überhaupt für Flüchtlinge ein?
Vermutlich ist Schuldabwehrantisemitismus eine der Antworten. Je öfter Grote in Israel war umso unschuldiger fühlte er sich. Grote spricht von „auferlegten Fesseln“ wovon sich das „neue freie Deutschland“ endlich befreien müsse. Den ganzen Kontinent nennt er eine „Ansammlung von machtgierigen, korrupten, inhumanen und vollgefressenen Politikern und Bürgern, die nur ihr eigenes Wohl im Auge haben.“ Carola Rackete ist für Grote eine gute Deutsche, wäre sie Amerikanerin oder eine Jüdin würde es in Grotes Weltbild niemand wagen sie auch nur anzufassen, geschweige denn sie einzusperren. Deutschland wird wieder einmal ungerecht behandelt. Rackete hat, laut Grote das Pech, dass sie kein Halbtürke wie Denis Yücel ist.
Deutschland steht in der Welt des Georg von Grote, nachdem „Auschwitz endlich verjährt“ ist, nachdem „sich Deutschland aus seinen Fesseln befreit“ hat, wieder moralisch über dem Rest Europas. Nicht nur in seiner Welt sind Deutsche gut und moralisch weltspitze und vor allem Italiener und Juden sehr, sehr böse und moralisch minderwertig. Georg von Grote hat den Mainstream erreicht. Das Weltbild dieser wiedergutgewordenen Deutschen scheint endlich prima zu funktionieren. Grotes Artikel hätte das Zeug in der TAZ, der SZ abgedruckt oder in 3Sat vorgelesen zu werden. In Italien oder in Israel dürfte man die Angelegenheiten anders sehen, aber andere Wahrnehmungen und Empfindungen aus anderen Ländern interessieren nicht unbedingt, wenn es um die "gute Sache" geht. Die deutsche Wiedergutwerdung ist für Georg von Grote und für viele Gleichgesinnte abgeschlossen. Während Israel gegen die „Friedenspolitik“ Deutschlands eine „Blut und Bodenpolitik“ betreibt und Israel einen „Vernichtungskrieg mit ethnischen Säuberungen“ gegen die palästinensischen Brüder und Schwestern führt, lässt Italien Flüchtende lachenden Auges ertrinken, während Deutschland die Flüchtlinge gegen den Widerstand Italiens vor dem Ertrinken rettet.
Eike Geisels treffende Polemiken über die „Banalität des Guten“, über den "Otto Normalvergaser" und die „Fortsetzung der Volksgemeinschaft mit anderen Mitteln“ erscheinen im Jahr 2019 als maßlos höfliche Untertreibungen.
Gleichzeitig veröffentlicht auf Mission Impossible