Fotomontage Manfred Breitenberger
Vor vielen Jahren jammerte Edward Said, ein US-amerikanischer Literaturtheoretiker palästinensischer Herkunft, obwohl die EU und die UN Milliarden von Dollars an Hilfsgeldern an die Erben des Großmuftis von Jerusalem bezahlen: „Wir Palästinenser haben keinen Holocaust, der uns durch das Mitleid der Welt beschützt“. Etwas später, im Jahr 2003 agitierte die BDS-Aktivistin Judith Butler es sei nicht antisemitisch, Israels Existenzrecht zu bestreiten und 2006 bezeichnete sie Hamas und Hisbollah als „progressiven“ Teil der globalen Linken und verlangte von Israel, den Einsatz für den jüdischen Staat und ein eigenes Heimatland aufzugeben.
Die aktuelle Diskussion um den BDS-Befürworter, Holocaustrelativierer und „Israelkritiker“ Achille Mbembe zeigt wie die verschiedenen Spielarten der postkolonialen Studien bis hin zur Migrationsforschung in den Mainstream vordringen, wenngleich die Menschenfeinde immer wieder Dämpfer hinnehmen müssen. So beschlossen der nordrhein-westfälische Landtag, der Bundestag und zahlreiche Stadträte, weder dem BDS noch seinen Anhängern Geld oder Räume zur Verfügung zu stellen. Bereits 1989 hat der französische Philosoph der Académie française Alain Finkielkraut die Akteure und das entsprechende Bündnis der Holocaustrelativierer herausragend in seinem Buch über den Barbie-Prozess „Die vergebliche Erinnerung – Vom Verbrechen gegen die Menschheit“ beschrieben:
Der NS-Kriegsverbrecher, SS-Obersturmführer und Gestapochef von Lyon, Klaus Barbie (1913 Godesberg-1991 Lyon), der wegen seiner Grausamkeit der „Schlächter von Lyon“ genannt wurde, floh 1945 nach Südamerika und diente dort diversen rechtsextremen Diktaturen. Anfang der 1980er Jahre wurde Klaus Barbie, alias Klaus Altmann, der strategische Kopf bei der Jagd in Bolivien auf Che Guevara, von Bolivien nach Frankreich ausgeliefert und in Lyon im Mai 1987 vor Gericht gestellt. Die Nürnberger Prozesse hatten scheinbar ihre Fortsetzung in Lyon, „durch die beispiellose Kumpanei von Repräsentanten der Dritten Welt mit einem Nazi-Folterspezialisten wurde er zu dessen Spottbild.“
Die Verteidigung von Klaus Barbie wurde vom Holocaust-Leugner François Genoud finanziert und die drei Verteidiger, der Kongolese M’Bemba, der Algerier Bouaita und der Franzose Vergès mit vietnamesischen Wurzeln kamen aus dem linken Spektrum. Jacques Vergès verließ beispielshalber 1957 die KPF, weil sie ihm in der Algerienfrage zu halbherzig war. Während des Algerienkriegs verteidigte Vergès viele algerische Kämpfer der Nationalen Befreiungsfront (FLN), darunter seine spätere Frau Djamila Bouhired, die zum Tode verurteilt und später begnadigt wurde. Während des Prozesses relativierten die drei linken Verteidiger den Holocaust um auf das „viel größere Verbrechen“ des Rassismus abzulenken.
Weil nach französischem Recht die Kriegsverbrechen, also auch die Aktionen gegen die Résistance, der Nazi-Okkupanten seit 1964 verjährt waren wurden in der Anklageschrift nur Barbies antijüdische Maßnahmen aufgeführt. Dagegen klagten die Vertreter der Résistance-Verbände erfolgreich, freilich mit einer zweifelhaften Argumentation, denn sie unterstützten die Verteidiger Barbies bei ihrem Versuch, „den Juden ihre Monopolstellung zu entreißen und das Verbrechen gegen die Menschheit denen, die es an sich gerissen hatten, zu entwinden.“
Die drei „Abgesandten der nicht-weißen Menschheit“ trugen ihre Hautfarbe „wie eine Fahne vor sich her“ und versuchten die Lehren von Nürnberg vergessen zu machen. Die drei Verteidiger hätten nach mildernden Umständen suchen, sie hätten die „bürokratische Ausflucht des Gehorsams“, die „soziologische Indoktriniertheit“, anführen können. All dies taten sie nicht, sie traten im Prozess selbst als Ankläger auf. Die drei Verteidiger relativierten immer wieder im Gerichtsaal den Mord an den Juden um auf das „viel größere Verbrechen“ des Rassismus abzulenken, „dass die Vernichtung der Juden ein Verbrechen von allenfalls lokalem Interesse, ein Blutstropfen Europas im Ozean des menschlichen Leidens sei und folglich allein das Gewissen der Weißen zu beunruhigen habe“, während in Wahrheit der „unerklärte und von keinem Gericht geahndete Krieg der imperialistischen Staaten gegen die Dritte Welt den Gang der Geschichte bestimme:
„Ihr verlangt von uns, mit euch zu leiden, aber eure Erinnerung ist nicht die unsere, so signalisierten Vergas und Komparsen dem ganzen Westen, und eure narzistischen Jammereien rühren uns nicht zu Tränen. Denn ihr wollt ja die Erde nicht mit den anderen Völkern teilen; da ihr euch für den Mittelpunkt des Universums haltet, wollt ihr den Begriff der Menschheit und die Archive der Geschichte mit eurem Sein, eurer Rasse allein ausfüllen; nicht zufrieden mit eurem Reichtum und eurer Macht, wollt ihr auch noch Mitleid und versucht sogar, euch von denen bemitleiden zu lassen, die ihr nach wie vor ausbeutet, nachdem ihr sie lange Zeit als Untermenschen behandelt habt. Als Weiße vergießt ihr Tränen über das weiße Schicksal. Als Europäer bläht ihr einen Familienzwist zum Weltkonflikt und unverjährbaren Verbrechen auf. So von euch eingenommen wie ihr seid, so unempfindlich seid ihr für das Leid der wirklich Unterdrückten, ihr leckt eure eigenen Wunden und erhebt die Juden, das heißt euresgleichen, zu einer verfemten Nation, zu erwählten Märtyrern, um mit Hilfe jener Prüfungen, die ihr einmalig durchgemacht habt, leichter die Misshandlungen zu vergessen, die ihr ohne Unterlass die Völker des Südens erleiden ließet und laßt. Doch so sehr ihr auch Barbie und seinesgleichen dem Richtspruch der Welt ausliefert, so laute und so lange, von eurem gigantischen Medienpotential vervielfältigte und verstärkte Schluchzer über die Verbrechen der Nazis ihr auch hören lasst, so sind wir doch da, an diesem Ort, euch vis-ä-vis, und unsere polychrome Anwesenheit beweist, dass trotz all eurer Anstrengungen die Manipulation misslungen ist. Durch uns lacht die ganze Menschheit über euch und erklärt, dass euer Desaster nicht ihre Sache ist."
Bemerkenswert an dieser „Argumentation“ ist weniger, dass sich Linke zum Advokaten des Teufels machen, denn das war ihre Pflicht gegenüber dem Rechtsstaat, „sondern das ausgerechnet bei diesem Prozess gegen einen SS-Offizier zu verzeichnende Wiederaufleben einer Tradition, von der man vernünftigerweise hätte annehmen können, sie hätte den Mordversuch am jüdischen Volk nicht überlebt: die Tradition der dreyfusfeindlichen Linken.“ Wie sich die französischen Anführer der Arbeiterklasse damals geweigert hatten, für Dreyfus Partei zu ergreifen, „weil sie sich nicht durch einen brüdermörderischen Kampf zweier Fraktionen der Bourgeoisie vom revolutionären Kampf ablenken lassen wollten, so hatten auch für Vergas, M’Bemba und Bouaita die auf Geheiß Hitlers ermordeten sechs Millionen Juden keinerlei Recht auf allgemeine Teilnahme, denn bei der Endlösung war alles eins, weiß war weiß, ganz gleich ob Opfer oder Henker: wenn sich im Lager der Feinde der Menschheit ein Blutbad ereignete, konnte man doch vom anderen Lager, das heißt von denen, die für den Fortschritt der Menschheit zu sorgen hatten, nicht verlangen, daß sie sich in ewiger Zerknirschung und Trauer übten. Diese militanten Anwälte begnügten sich also nicht damit, für ihren Klienten zu plädieren so gut sie konnten; indem sie die Opfer des Hitler-Rassismus als Symptome des westlichen Rassismus und Imperialismus behandelten, führten sie die von der Katastrophe zunichte gemachte Metaphysik in ihrer radikalsten Form wieder ein, machten die Menschheit wieder zur »sich bewegenden Totalität« und die Menschen selbst wieder zu Instrumenten bzw. zum Hemmschuh ihrer Realisierung.“ Als Vergès vor Gericht behauptete die Kinder der Auschwitzüberlebenden fielen über die Palästinenser her, drückte Klaus Barbie die beiden Hände seines schwarzen Advokaten, ohne die Spur einer rassistischen Zurückhaltung, wie Vergès in seinem Plädoyer bewegt mitteilte.
„In Nürnberg saß die Welt über die Geschichte zu Gericht und die Richter definierten das Menschengeschlecht durch seine Vielfalt und sie haben im Namen der ganzen Völkergemeinschaft gesprochen. Diese Auffassung vom Menschen hat“, laut Finkielkraut, „den Kampf gegen die Rassentrennung in den USA angefacht und in Europa dazu beigetragen den Kolonialismus von Grund auf zu ruinieren. Erst unter dem Schock des Holocaust bekam die Bewegung zur Integration der amerikanischen Schwarzen Aufschwung und konnte die öffentliche Meinung die Schandtaten des eigenen Imperialismus bis zum Vietnamkrieg als Angriffe auf die Menschheit begreifen.
In Lyon aber, beim ersten in Frankreich wegen Verbrechens gegen die Menschheit angestrengten Verfahren, ordnete die Verteidigung die Märtyrer des Kolonialismus und der Sklaverei dem Lager des Angeklagten zu, reduzierte damit die Verschiedenheit des Menschengeschlechtes wiederum auf die Geschichte „des“ Menschen und stellte diesen Menschen, den sie allein in diesem Gerichtssaal zu vertreten beanspruchte, dem jüdisch-weißen Nazitum gegenüber. Diesem Irrsinn hat niemand das Mandat entzogen. Kein Intellektueller, kein afrikanischer, asiatischer oder arabischer Staatsmann hat erklärt, man dürfe nicht den jüdischen Schmerz beschuldigen, dass er die Erinnerung der Welt blockiere, man dürfe auch nicht frühere Sklaven und Opfer der Kolonialherrschaft als Opfer der Verschwörung der Asche von Zion hinstellen.
Für einen großen Teil der internationalen öffentlichen Meinung hat Hitler nichts mit Hitler und das Dritte Reich nichts mit der Menschheitskatastrophe zu tun. Was diese planetarische Majorität vom Zweiten Weltkrieg mitgenommen hat, ist ein einziges Wort, das Wort Nazi. Ein Wort, das heute kein Gegenstück in der Wirklichkeit, keine Verankerung hat; ein Wort, das keine Tatsachen mehr repräsentiert, ein bloßes Etikett; ein schwammiges, beliebiges, für alles zu gebrauchendes Wort, das unter dem gleichen Label des Infamen all die Gegensätze vereinigt, die die selbsternannten Treuhänder „des“ Menschen auf ihrem langen Marsch antreffen. Ein Wort, das, anders gesagt, dem Gegner das Menschsein abspricht, ihn zum Ungeheuer degradiert, gegen welches alle Mittel gerechtfertigt sind, und das im Notfall auch die zwei Praktiken, die in Nürnberg verdammt und verurteilt worden waren, mit dem Heiligenschein des Antifaschismus versehen kann: den totalen Krieg und die Vernichtung.“
Wie die Holocaustleugnung seit 1945 ein fester Bestandteil rechtsextremer Ideologien ist, ist für die meisten Vertreter der postkolonialen Antirassisten die Holocaustrelativierung, neben der Feindschaft gegen den Judenstaat und ihrer menschenfeindlichen Islam-Apologetik Grundpfeiler ihrer Ideologie. Ihr Antirassismus ist längst im Mainstream angekommen und längst nicht mehr nur eine Gefahr für Juden. Selbst für Klaus Kleber im ZDF ist es ungehörig die Zumutungen des Islam zu kritisieren. Die Frauenverachtung im Islam, die Steinigungen von Frauen im Iran sind nicht nur ein Tabu im islamisch dominierten Menschenrechtsrat der UN. Frantz Fanon schloss sich noch den Juden an, seine fortschrittliche Allianz zerbrach schon in den 1960er Jahren und die antirassistischen „identitären“ Antworten auf den Rassismus sind seit dem ein Quell der Menschenverachtung. Die Menschenfeinde interpretieren seither den 2. Weltkrieg als Kolonialkrieg, den Holocaust als „kolonialen Genozid“ und den europäischen Sklavenhandel nennen sie den „afrikanischen Holocaust“ und unterschlagen dabei, wenig überraschend, den viel umfangreicheren und grausameren islamischen Sklavenhandel.
Die aktuellen Verteidiger von Mbembe, wie Aleida Assmann, lamentieren von einer deutschen „Fixierung auf die Singularität des Holocaust“ und damit belegen sie vermutlich ungewollt ihre Ahnunslosigkeit bezüglich der Shoah. Das Hauptproblem der postkolonialen „Antirassisten“ hat der Philosoph und Sozialwissenschaftler Ingo Elbe wie folgt zusammengefasst: „Ein am Modell des europäischen Kolonialismus gebildeter Begriff von Rassismus und ‚Othering‘ wird, ohne Rücksicht auf den zu erforschenden Gegenstand, als weltanschauliche Schablone verwendet. Das führt zunächst dazu, den Antisemitismus notorisch auf eine Ebene mit dem Rassismus gegenüber Schwarzen oder Arabern zu stellen. (…) Wer nun keinen adäquaten Begriff von Antisemitismus besitzt, kann auch keinen von der Spezifik des Holocaust entwickeln. Und so wird dieser allzu häufig lediglich als innereuropäisches Kolonialverbrechen interpretiert. Zu diesem Zweck wird die Shoah systematisch vom erlösungsantisemitischen Totalvernichtungsmotiv entkoppelt und in eine Kontinuität von Versklavung und kolonialem Völkermord aufgelöst.“
Quelle: Alain Finkielkraut – Die vergebliche Erinnerung. Vom Verbrechen gegen die Menschheit, 1989 TIAMAT Verlag
Gleichzeitig veröffentlicht bei Mission Impossible