Peter Bierl - Konkret Literatur Verlag - Wurzelrassen, Erzengel und Volksgeister
Seit Jahrhunderten lechzen Menschen inmitten wirtschaftlicher Krisen oder gesellschaftlichen Umbrüchen nach einfachen Erklärungen und rettenden Auswegen. So entstand in Reaktion auf Industrialisierung, Materialismus und Urbanisierung Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland die sogenannte Lebensreformbewegung. Die Entwicklungen der Moderne wurden in dieser Bewegung als Verfallserscheinungen angesehen und eine “Erlösung” versprachen sich die überwiegend völkischen, antisemitischen und eugenischen Esoteriker mit ihren “Reformen”. Die Lebensreformbewegung propagierte ein einfaches, natürliches Leben mit gesunder Ernährung, frischer Luft und Bewegung, statt Erotik eine nordische Freikörperkultur plus Rassenhygiene und Eugenik, einer Menschenzucht, die sich am Ideal blond, groß, muskulös orientierte. Ihr angeblicher dritter Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus beinhaltete einen agrarisch-handwerklichen “fairen” Kleinkapitalismus, vorzugsweise in ländlichen Siedlungen und mit zinsfreiem Geld.
Als Teil der lebensreformerisch-esoterischen Bewegung entstand die Anthroposophie noch vor dem Ersten Weltkrieg. Rudolf Steiner (1861 -1925) begründete die Anthroposophie, die in der Tradition der deutschen Romantik und der von Helena P. Blavatsky (1831-1891) begründeten Theosophie. Das Konzept der besonders tiefschürfenden, zur Spiritualität neigenden Deutschen übernahm Steiner von Johann Gottlieb Fichte (1762-1814) und Paul de Lagarde (1827-1891). Steiners Lehre gab einflussreiche Anregungen für die Waldorfpädagogik, die anthroposophische Architektur, Medizin, Christengemeinschaft, sowie für die biologisch-dynamische Landwirtschaft. Antihumanismus, Irrationalität, Rassismus und Antisemitismus sind die entscheidenden Bestandteile der Anthroposophie, weshalb die Lehre dafür geeignet scheint autoritäre und faschistische Entwicklungen ideologisch vorzubereiten.
Karmalehre – Seelenwanderung – Reinkarnation
Die indischen Priester und Adligen legitimierten bekanntlich mit der Karmalehre das Ausbeutungs- und Herrschaftssystem der Kasten und die besondere Unterdrückung der Frau. Die Karma-Lehre im tibetischen Buddhismus geht noch einen Schritt weiter und benutzt sie sehr gezielt als individuelle und soziale Zuchtrute. Wie die Gurus erklären Anthroposophen Hunger und Elend, Krankheit und Behinderung, Vergewaltigung und Mord als karmisch bedingt. In der Rassenlehre Steiners ist die Karmalehre ein wichtiger Bestandteil, so wird das Leben jedes Menschen von seinen Handlungen im vermeintlich früheren Leben geprägt. Wer mit seinem Schicksal hadert, handelt sich laut Steiner nur „seelischen Unfrieden“ ein, darüber hinaus seien die seelischen Anlagen, das Aussehen, das Befinden, das Geschlecht und die soziale Position eines Menschen sowie sein Lebensweg karmisch determiniert. Steiner spricht von einem Karmakonto: „Durch alles, was Sie im verflossenen Leben Gutes oder Böses getan haben, sind Ihre Posten nach Soll und Haben gestimmt“. Karmische Schulden können durch Spiritualität und tugendhaften Lebenswandel getilgt werden. Jedes als Versäumnis oder Untat gewertete Handeln belastet dagegen das Konto. Insofern gilt das Karma als eine „höhere, unbestechliche Gerechtigkeit“. Die Cholera in den Slums der Dritten Welt hat nach dieser Karmalehre nichts mit den miserablen Lebensverhältnissen dieser Menschen zu tun. Steiner behauptete, Menschen mit „schwachem Ich-Gefühl“ würden sich bei der nächsten Inkarnation Gegenden aussuchen, in denen Cholera auftritt, um ihr Selbstgefühl an „derbsten Widerständen“ zu kräftigen. Anthroposophen nutzen die Reinkarnationslehre, um patriarchale Klischees zu legitimieren. Ausführlich beschrieb Steiner die Seelenwanderung: Nach dem Tod sind Geist und Seele noch aneinander gefesselt und durchlaufen ein siebenstufiges Fegefeuer. Dem Astralleib fehlen die physischen Organe, um seine Gelüste zu befriedigen, weshalb der Mensch nach dem Tode laut Steiner einige Zeit im „Kamaloka“, dem Ort der Begierde, zu schmachten habe. In diesem Fegefeuer müsse der Mensch leiden, bis er „die Begierde und Sucht, die im astralischen Leibe wurzeln und nur in der physischen Welt befriedigt werden können, ausgerottet hat“.
Wurzelrassen- Atlantis – Arier
Laut Steiners Antroposophie entwickelte sich der menschliche Geist auf der Erde in sieben Wurzelrassen mit je sieben Unterrassen. Die fünfte arische Wurzelrasse ist laut Steiner mehrere Jahrtausende lang, vom Untergang des mythischen Atlantis bis in eine ferne Zukunft, zur Führung ausersehen. Unter den sieben arischen „Unterrassen“ ist die nordisch-germanische Rasse von 1415 bis zum Jahr 3573 die auserwählte Rasse. Die Deutschen seien laut Steiner von 1879 bis ins 23. Jahrhundert prädestiniert, die Mission der Ich-Entdeckung zu verwirklichen. Diese Wurzelrassenlehre übernahm Steiner von den Theosophen Blavatsky und Alfred Percy Sinnet (1840-1921). Die ersten fünf Wurzelrassen sowie einige Unterrassen beschrieb Steiner in dem Buch „Aus der Akasha-Chronik“ ausführlich. Nach Blavatsky und Steiner gehen den Ariern vier Wurzelrassen voraus: Die ersten beiden, die polarische und die hyperboräische Rasse, hatten kaum menschliche Züge. Beispielsweise die lebte die dritte Wurzelrasse, die Lemurier, auf dem später versunkenen Kontinent Lemuria im Indischen Ozean. Nur eine kleine Gruppe der Lemurier habe sich unter dem Einfluss höherer Wesen zum Keim der nächsten Wurzelrasse entwickelt. Diese benannte Steiner nach Atlantis. Dieser Mythos findet sich in den Werken vieler faschistischer Autoren, etwa bei Alfred Rosenberg oder Hermann Wirth. Unter Anthroposophen gilt Atlantis als historische Realität, die sie verteidigen und die in Waldorfschulen gelehrt wird.
Laut Steiner betrieben die Atlantier Ackerbau und besaßen hoch entwickelte Kenntnisse der Tier- und Pflanzenzucht. Sie verfügten über eine besondere Lebenskraft, die es ihnen erlaubte, mit Pflanzensamen zu heizen und mit speziellen Fahrzeugen über dem Boden zu schweben. Die Ordnung war theokratisch. Führer mit enormen Fähigkeiten, die sie „von höheren, nicht unmittelbar zur Erde gehörenden Wesenheiten“, von Götterboten, erhalten hatten, herrschten über die Masse. Für Steiner gab es einen kosmischen Kampf zwischen dem Dämon Ahriman und dem Erzengel Michael. Bildung und Wissenschaft waren für den Kleinbürgersohn einerseits Mittel des sozialen Aufstiegs, andererseits teilte er die völkische Aversion gegen den Intellektualismus, den er als zersetzendes Gift schmähte und als jüdisch identifizierte. Seine Synthese lautete das logisches Denken eine wichtige Etappe auf dem Weg zur spirituellen Erleuchtung sei. Diese zwiespältige Haltung findet sich auch in der Charakterisierung der fünften Unterrasse der Atlantier, die Steiner bezeichnenderweise Ur-Semiten taufte. Deren begabtesten Teil lässt er zum Keim der arischen Rasse aufsteigen, „welche die vollständige Ausprägung der denkenden Kraft mit allem, was dazugehört, zur Aufgabe hat“. Die Masse der Ur-Semiten trifft aber laut Steiner der Fluch der Ratio, sie produzieren „unruhige Zustände“, beherrschen Techniken wie das Feuer, aber ohne religiösen Charakter, und gehen schließlich an „Neuerungssucht und Veränderungslust“ zugrunde. Während und nach dem Ersten Weltkrieg spitzte Steiner seine Lehre insoweit zu in dem er verkündete, dass die Deutschen zur spirituellen Mission prädestiniert seien, während die Entente-Mächte als dekadent und dem Materialismus verfallen oder wie die Russen kindlich-brutal karikiert wurden. Die übelsten rassistischen Ausfälle leistete sich der Guru 1923 während der Rheinlandbesetzung durch französische und belgische Truppen, die zum Entsetzen aller nationalen deutschen Strömungen auch aus Soldaten aus den afrikanischen Kolonien bestanden. Bei Indianern und Afrikanern wirkten laut Steiner die „abnormen Geister der Form“ auf das Drüsensystem. Steiner titulierte die Indianer als „die Rasse des finstern Saturn“ und Amerika als den Ort, „an dem die Rassen oder Kulturen sterben“.
Die „zersetzende“ Kraft des Judentums – Assimilation – Antizionismus
Steiner war davon überzeugt, dass sich das Judentum überlebt hatte. Assimilation bedeutete für ihn, dass jede eigenständige jüdische Identität verschwinden sollte. Daraus resultierte auch seine scharfe Abneigung gegen den Zionismus. Seine Sicht auf das Judentums leitete Steiner aus seiner Wurzelrassenlehre ab, kombiniert mit Motiven des traditionellen christlichen Antisemitismus. Laut Steiner waren die Juden eine verderbte, wurzellose Rasse, welche Christus leugneten. Von 1882 bis 1891 schrieb Steiner für die deutsch-nationale Presse in Österreich. 1888 rezensierte Steiner den Roman Homunculus von Robert Hamerling (1830-1889). Der Schriftsteller verteufelte in seinen Werken den Materialismus einer „entgötterten“ Gegenwart und bewunderte den alldeutschen und antisemitischen österreichischen „Führer“ von Schönerer. In dem Roman zeichnet Hamerling bösartige Karikaturen von Wucher- und Börsenjuden, die nach der Weltherrschaft streben, weswegen sein Werk als antisemitisch kritisiert wurde. Steiner dagegen feierte Hamerling. Er behauptete, der Mann habe die objektive Perspektive eines Weisen eingenommen, bloß „überempfindliche Juden“ würden sich daran stören. Steiner schrieb in der Rezension: „Es ist gewiss nicht zu leugnen, dass heute das Judentum noch immer als geschlossenes Ganzes auftritt und als solches in die Entwickelung unserer Zustände vielfach eingegriffen hat, und das in einer Weise, die den abendländischen Kulturideen nichts weniger als günstig war. Das Judentum als solches hat sich aber längst ausgelebt, hat keine Berechtigung innerhalb des modernen Völkerlebens, und dass es sich dennoch erhalten hat, ist ein Fehler der Weltgeschichte, dessen Folgen nicht ausbleiben konnten. Wir meinen hier nicht die Formen der jüdischen Religion allein, wir meinen vorzüglich den Geist des Judentums, die jüdische Denkweise.“ 1897 zog Steiner von Weimar nach Berlin. Er freundete sich mit dem jüdischen Dichter Ludwig Jacobowski an, der im Dezember 1900 starb, und unterrichtete ab 1899 an der Arbeiter-Bildungsschule der SPD. Unter dem Einfluss Jacobowskis engagierte sich Steiner kurze Zeit im Verein zur Abwehr des Antisemitismus, allerdings mit bedenklichen Argumenten. So behauptete er, die zionistische Bewegung sei schuld am Antisemitismus. Er bescheinigte nicht den Antisemiten, sondern den Zionisten eine „überreizte Phantasie“ sowie ein „gekränktes Gemüt“, das ihnen „den Verstand umnebelt“. Die Antisemiten seien ungefährlich „wie Kinder“ und „viel schlimmer“ seien „die herzlosen Führer der europaweiten Juden“ wie Theodor Herzl.
Der Holocaust als karmischer Ausgleich
Der Anthroposoph Karl König (1902-1966) war Arzt jüdischer Herkunft und stammte aus Wien. Ab 1928 leitete er die anthroposophische heilpädagogische Einrichtung Pilgramshain bei Striegau in Schlesien. 1935 wurde König und anderen aus der Anthroposophischen Gesellschaft ausgeschlossen, weil er die zentralistischen Bestrebungen des Vorstands ablehnte. 1938 emigrierte er mit anderen anthroposophischen Ärzten und Heilpädagogen nach England. Im Exil gründeten die Emigranten die anthroposophische Camphill-Bewegung, die heute vor allem in angelsächsischen Ländern Einrichtungen und Dörfer für Behinderte unterhält. Während die Nazis Behinderte als lebensunwert verfolgten und ermordeten, glaubte König, dass die Behinderung für das betroffene Individuum wichtig sei für seine Entwicklung durch viele Inkarnationen hindurch, was zwar abstrus aber immerhin dem Euthanasie-Programm der Nazis diametral entgegengesetzt ist.
In den 50er Jahren schrieb König diverse Aufsätze, in einem dieser Aufsätze charakterisierte er Sigmund Freud als menschenverachtend, irreligiös und selbstzerstörerisch und bot dafür zwei Erklärungen: Zum einen habe sich der Begründer der Psychoanalyse aufgrund karmischer Schuld den Dämonen Ahriman und Luzifer verschrieben, zum anderen sei Freud Jude gewesen, was König zu dem Urteil bringt: „Er kann sich von der Blutsgemeinschaft des jüdischen Volkes weder gedanklich noch triebmäßig befreien und fällt dadurch immer wieder in uralte Vorstellungen zurück, die für seine Zeit keinerlei Geltung mehr haben.“ Die Aufsätze von König, darunter der über Freud, wurden Waldorflehrern 1998 als Erzählstoff für die achte Klasse empfohlen. Im November und Dezember 1965 hielt König drei Vorträge zum Thema „Geschichte und Schicksal des jüdischen Volkes“. Zunächst referierte er die gängige anthroposophische Auffassung, die Juden hätten ihre Mission erfüllt und weigerten sich, Christus anzuerkennen. Er zitiert Steiner zustimmend, wonach die Zionisten schlimmer seien als die Antisemiten. Und er interpretiert den Holocaust als karmischen Ausgleich: Durch den Verrat des Judas habe ein „Drama“ begonnen, das zur Kreuzigung Christi führte. „So etwas Ähnliches musste wieder geschehen, es war sozusagen eingeschrieben in das Menschheitskarma. Und so wenig wir auch heute begreifen können, was das gewesen ist, dieser Verrat des Judas, so wenig begreifen wir dasjenige, was sich in unserem Jahrhundert vollzogen hat“, erklärte König. In diesem Sinne forderte er Verfolger und Verfolgte, also Nazis und ihre Opfer auf, zu verstehen, „was gespielt hat und noch immer spielt“. Für König war der Holocaust ein karmischer Ausgleich: „Denn es sind Taten, gleich der des Judas; Taten die geschehen mussten. Und der, der sie tat, ist ja viel schlimmer dran als diejenigen, die sie erleiden mussten.“
Anthroposophie im Nationalsozialismus
Die Anthroposophie unterscheidet sich insoweit vom NS-Rassismus, da ihr Ziel nicht ist, minderwertig definierte Menschen zu ermorden oder zu versklaven, sondern sie zu belehren, zu führen und auf den Weg zur Erleuchtung zu leiten. Anthroposophischer Rassismus ist insofern nicht eliminatorisch wie der NS-Faschismus, sondern paternalistisch. Die Geschichte der Anthroposophie während des NS-Faschismus weist viele Parallelen zu anderen völkischen Gruppen auf. Anthroposophische Projekte wurden von Nazigrößen wie Rudolf Hess oder Landwirtschaftsminister Richard Darre protegiert, SS-Führer Heinrich Himmler ließ mit biodynamischen Methoden in Konzentrationslagern experimentieren. Andere wie Martin Bormann, oder Reinhard Heydrich bekämpften die Anthroposophie und ihre Projekte, wobei ökonomische Interessen eine Rolle spielten, denn das Chemiekapital hatte andere Interessen als die biodynamische Landwirtschaft.
Zwerge – Engel – Waldorfschulen
Die Ideologie Rudolf Steiners fließt in die Pädagogik der Waldorfschulen ein. In Schülerheften ist beispielsweise von Atlantis oder den Ariern und ihren Wanderungen die Rede. In den Lehrplan der Waldorfschulen spielen Bilder von Engeln, „wie sie aus den alten Mythenkreisen der Menschheit vorkommen“ ebenso hinein wie die angebliche Existenz von „Zwergen“ und andere Fantasiegestalten.Da einige Erzieher und Pädagogen, die in diesen Einrichtungen arbeiten auch von staatlichen Universitäten kommen, weshalb ihnen anfänglich der anthroposophische Hintergrund fehlen dürfte, gibt es durchaus Unterschiede in der Umsetzung des Lehrplans. Die Praxis vor Ort in den Waldorfschulen mag sich also unterscheiden, trotzdem bestimmt die Anthroposophie den Charakter aller Waldorfeinrichtungen, wie sich schon anhand der Waldorf-Literatur belegen lässt. Die Schüler müssen zwar die Werke des Meisters nicht auswendig kennen, aber die Lehrer sind auf die anthroposophische Menschenkunde verpflichtet, Lehrplan und Fächer sind davon geprägt und Pädagogen lassen die Ideologie in den Unterricht einfließen. Zugegeben sei, bestimmte Aspekte der Waldorfpädagogik, wie beispielshalber keine Noten oder kein Sitzenbleiben hätten ohne die dazu vermittelte esoterische Ideologie durchaus ihren Wert.
Antiglobalisiserungsbewegung – Regionalgeld – völkische Lebensreformer
Die Anthroposophen haben es nicht geschafft, zu jener dominanten Massenbewegung zu werden, die Steiner einst prophezeit hatte. Ersatzweise interpretieren manche die globalisierungskritische Bewegung als anthroposophisch inspiriert. Wie in der Gründungsphase der Grünen mischen Anthroposophen mit, um neue Anhänger zu rekrutieren und ihre Lehren zu verbreiten. Das Engagement in der globalisierungskritischen Bewegung soll den Zufluss von Staatsgeldern sichern und Waldorfschulen, anthroposophische Betriebe vor Konkurrenz schützen. In der Regionalgeldszene arbeiten Anthroposophen mit Gesellianern bereits seit langer Zeit zusammen, da ihre Weltanschauung kompatibel ist. Es ist kein Zufall, dass die Waldorfschule in Prien es mit ihrem Lehrer Gellerie war, die als Erfinder des Schwundgeldes „Der Chiemgauer“ kurzzeitig für Furore sorgte. Was dem einen die Tobin-Steuer, ist dem anderen das Schwundgeld. Das Dorf, die Region oder die Heimat gegen die große weite Welt und transnationale Konzerne. Nicht von ungefähr erinnert das an die deutsch-völkischen Lebensreformer, die Ende des 19. Jahrhunderts einen Gegensatz zwischen heimischer Scholle, dem braven Bauern und der dekadenten, wurzellosen Stadt sowie dem kosmopolitischen Juden konstruierten.
Die gesellschaftliche Funktion der Esoterik
Peter Bierl schreibt in „Wurzelrassen, Erzengel und Volksgeister“: „Ausschlaggebend ist die gesellschaftliche Funktion der Esoterik, von der Anthroposophie eine Strömung ist. Der aktuelle Boom mit all seinen Facetten von Horoskopgläubigkeit, Ufologie, Feng Shui bis zu Reinkarnationstherapien und der Verkündigung eines spirituellen »Neuen Zeitalters« (New Age) ist jene Form massenhafter Regression und autoritärer Zurichtung, die vorzugsweise in der herrschenden Klasse und den akademischen Mittelschichten auftritt. Esoterik verwirft rationales Denken, selbstbestimmtes Handeln und den Gedanken an gesellschaftliche Veränderung zugunsten der abergläubischen Vorstellung, das Leben sei von höheren Mächten schicksalhaft bestimmt, der Mensch werde von Engeln und Dämonen umschwirrt und zappele wie ein Fisch im Netz seines Karmas. Typisch ist die Behauptung, sämtliche Probleme, individueller wie kollektiver, physischer wie psychischer Art, würden aus mangelnder Spiritualität resultieren und seien nicht auf soziale Verhältnisse zurückzuführen. Dieser schlichten Diagnose folgt der Ratschlag, das Individuum möge den transzendentalen größeren Zusammenhang erkennen, der jedes Leid sinnstiftend veredelt, und sich einfügen in eine als göttlich, natürlich oder ganzheitlich verklärte Ordnung. Die penetrant anvisierte Harmonie spricht sensible Gemüter an, die sich über die reale und unbegriffene Atomisierung des Individuums in einer nach den Kategorien von Waren und Konkurrenz funktionierenden Gesellschaft hinwegträumen. Hinter der sanften Fassade der Esoterik verbergen sich gezielte Verblödung, repressive Toleranz sowie rassistische, antisemitische, frauenfeindliche und antidemokratische Ansichten.“
Die erste „staatliche Waldorfschule“ Deutschlands
Obwohl oder weil die Anthroposophie geeignet ist autoritäre und faschistische Entwicklungen ideologisch vorzubereiten und obwohl in Waldorfschulen die Lehre Rudolf Steiners verbreitet wird, erfreut die "grün-alternative" Zeitschrift taz ihre anthroposophischen Leser regelmäßig mit einer anthroposophischen Beilage. Im Jahr 2013 warb ein Christian Füller in der taz-Rubrik „Zukunft – Bildung“ für die erste „staatliche Waldorfschule“ Deutschlands, als „Zukunftsmodell für das Bildungswesen“ in Hamburg.
In der damaligen Petition gegen diese Schule stand unter anderem: "Waldorfschüler werden durch den Klassenlehrer in vier Grundcharaktere (Temperamente) eingeteilt. Der Waldorflehrer soll das Karma seiner Schüler erkennen und ihren Lebensweg entlang dieses angeblichen Karmas führen. Aus dem Lehrer wird eine Führerfigur gemacht, kritisches Hinterfragen und eigenständiges Entwickeln von Ideen spielen dabei keine Rolle. (..) Wir wünschen uns eine Schulbildung, in der man die Vielfalt der wissenschaftlichen Erkenntnis vermittelt wird, anstatt sich mit der Wiedergabe alter Mythen und Märchen zufriedenzugeben. Wir wünschen uns eine Schulbildung, die Kindern Freude und Staunen über eine Welt lehrt, die man untersuchen, erforschen und verstehen kann. Wir wünschen uns eine Schulbildung, in der Kinder ermutigt werden, sich selbst, ihre Lehrer und das bisher Erforschte zu hinterfragen, zu testen und zu korrigieren. Mit der Waldorfpädagogik sind diese Wünsche nicht vereinbar. Wir fordern daher eindringlich, vom geplanten Schulversuch Abstand zu nehmen und statt esoterischer Lehren ein aufgeklärtes, modernes, wissenschaftliches Weltbild ins Zentrum der Schulbildung zu stellen.“
Überarbeitete Fassung des Textes von Mission Impossible
Quelle: Peter Bierl – Wurzelrassen, Erzengel und Volksgeister – Die Anthroposophie Rudolf Steiners und die Waldorfpädagogik – Konkret Literatur Verlag 2005