Politiker und Journalisten haben ein eigentümliches und oft heikles Verhältnis. Sie brauchen einander fast so dringend wie ein Verhungernder das vielzitierte Stückchen Brot. Journalisten und Politiker sind sich gegenseitig ausgeliefert auf Gedeih und Verderb. Der Politiker dem Medienmenschen noch viel mehr als umgekehrt. Aber auch Politiker haben über Journalisten eine ziemliche Macht und können diese bei Bedarf ganz schön dumm dastehen lassen (legendäres Beispiel: Bruno Kreisky und sein "Lernens Geschichte, Herr Redakteur")
Beide Teile sind jedenfalls nur selten mit sich und dem Gegenüber zufrieden und beide stehen dadurch unter Druck. Bekommt ein Reporter im Interview nur nichtssagende Schutz-Phrasen und Allgemeinplätze geliefert, ist er enttäuscht und dem Interviewten ist der Spott sicher: Der/die XY wollte nichts Konkretes sagen, das Gespräch war blutleer, immer dieselben Worthülsen, fade ewig gleiche Slogans etc., so lauten die Reaktionen dann.
Geht der interviewte Politiker aber aus sich heraus oder liefert er authentische Statements oder gar einen kantigen Sager, machen der Reporter oder nach der Publikation des Interviews auf jeden Fall die social media einen Shitstorm draus.
Gewisse Interviewer legen es auch darauf an, den Interviewten um jeden Preis vorzuführen, ihm angreifbare Aussagen zu entlocken oder ihn irgendwie schlecht dastehen zu lassen. Diese destruktive Attitüde wird in der Medienszene sogar als Qualitätsmerkmal des Journalisten gesehen. Dabei ist sie ja vor allem nur eines: zerstörerisch und lediglich für den Moment des Interviews von Nutzen. Langfristig bringt diese Technik auch dem betreffenden Reporter nichts, denn wer will schon immer nur das Destruktive? Zerstörung führt in die Isolation und zu Interviews, wo man nur mehr Worthülsen bekommt. In der Polit-Szene haben gewisse Damen und Herren aus den Medien auf diese Weise schon einen recht zweifelhaften Ruf erlangt: "Vor dem/der musst aufpassen, der/die ist echt ungut". Schade, denn das nützt dem in der Demokratie essenziellen Austausch zwischen Medien und Politik sicher nicht.
Manche Politiker sagen daher in den Medien nie etwas wirklich Brauchbares, andere wieder setzen gezielt den Shitstorm als Teaser und Mittel zur Aufmerksamkeitssteigerung ein. Letzterer Typus ist aber in der Minderheit, weil in der Politik grundsätzlich die Urangst herrscht, man könnte mit irgend etwas Negativem medial auffallen. Das inhaltsleere Interview ist daher eher die Regel als die Ausnahme. Und dass der Politiker ja auch punkten könnte, mit klaren Aussagen, das wollen viele aus der Politik nicht begreifen, weil der Mut nicht unbedingt die erste Politiker-Tugend ist.
Diese Situation ist aber nicht nur für Reporter und Politiker letztlich unbefriedigend, sondern vor allem auch für das Publikum. Die Erwartung bei diesem ist immer hoch, ganz einfach weil Politik ein wesentlicher und im Wortsinn bestimmender Teil des Lebens ist. Wenn ich als Bürger nur mehr entweder Phrasendrescherei oder auf der anderen Seite irgend einen Shitstorm geliefert bekomme, verliere ich langsam das Interesse an der professionellen Reportage und am professionellen Interview und auch das Vertrauen - sowohl in die Politik wie in die traditionellen Medien.
Die Bürger werden daher sukzessive auf die gar nicht mehr so neuen Medien ausweichen. Facebook, Youtube und Twitter sind die Instrumente, die den Interessierten noch am ehesten die authentischen Meinungen liefern und über die dortigen Informationen macht man sich dann sein eigenes Bild.
Denn darum geht‘s: Das Publikum will authentische und klar formulierende Politiker, seriöse Journalisten mit objektivem Informationsauftrag und die Leute wollen selber mitreden. Kein Mensch mag ständig irgendwelche geschliffene Phrasen hören und niemand will gekünstelte Empörungsstürme, die von den professionellen Medien im Labor erzeugt werden. Und schon gar niemand möchte manipuliert werden. Man wendet sich immer irgendwann ab vom Künstlichen, Gefakten, Manipulativen.
Die professionellen Medien werden also mittelfristig einen neuen Weg finden müssen, gute politische Reportagen und Berichte zu machen, die auch ausreichend Zuhörer/Leser finden. Und sie müssen neue Formate finden, mit denen man politische Meinungen offen transportieren kann. Denn auch das gehört zu jedem professionellen Medium: Meinungsvielfalt zuzulassen und diese auch zu fördern.
Der Untergang eines jeden Mediums ist dann absehbar, wenn sublime Manipulation in irgendjemandes Auftrag Platz greift oder wenn sich das Medium trotz erkennbaren Willens zur politischen Meinungsbildung nicht zu etwas oder zu jemandem bekennt bzw das nicht ersichtlich ist. Da schwindet das Vertrauen rapide.
Das Internet hat die Bürger hinsichtlich der Informationsbeschaffung und Meinungsbildung wirklich frei gemacht und das bringt die institutionellen Medien unter Zugzwang. (Dasselbe Internet-Phänomen gilt natürlich auch für die Politik selber: sie muss sich bekennen, klar und deutlich und sie muss aufhören, nur Etiketten zu produzieren).
Für die Medien überlebenswichtig: Sie müssen endlich aus dem Einflussbereich der politischen Parteien (Inserate!) kommen. Das müssen sie selber wollen, sonst wird es nicht gelingen, denn natürlich möchten politische Lobbys immer möglichst viel Einfluss in der Medien-Szene haben. Wenn allerdings diese Szene aus den oben genannten Gründen einmal nicht mehr existiert...
Es besteht also ein Circulus vitiosus, der wie erwähnt nur durch die Medienmacher selber aufzubrechen ist. Und nicht zu vergessen: Es geht um ihr eigenes Überleben.
Das institutionelle und politisch berichtende Medium von heute ist also nicht nur ein Survival Camp für Politiker, sondern auch eines für die Polit-Journalisten selber geworden.