Österreich ist und bleibt das Land Sigmund Freuds. Es wird dessen bekannten Thesen nämlich immer dann gerecht, wenn es wirklich drauf ankommt. Vor allem die Verdrängung hat bei uns eine große Tradition.

Worum es geht: Es gibt zwei offizielle EU-Elaborate (Estrela- und Tarabella-Bericht), nach welchen die Abtreibung als Menschenrecht in der ganzen EU einheitlich verankert werden soll. Naturgemäß halten konservative und bürgerliche Menschen diese Vorschläge für zynisch und menschenverachtend: Eine solche Pervertierung des Menschenrechtsbegriffs ist mit einem traditionellen Menschenbild nicht vereinbar.

In Österreich muss man vor den Brüsseler Bestrebungen, die Abtreibung durch das Menschenrechts-Geschwurbel zu verharmlosen, ziemliche Angst haben, denn bei uns hat die Abtreibung ohnehin schon eine Art verdrängten Sonderstatus: Wir wissen nicht einmal, wie viele Abtreibungen bei uns pro Jahr durchgeführt werden.

Der einfache Grund dafür ist, dass es keinerlei offizielle Statistiken darüber gibt und keines der Abtreibungs-Institute zur anonymen statistischen Dokumentation verpflichtet ist.

Zuletzt wurde 2009 von der ÖVP gefordert, dass die anonymisierte Erfassung der Abtreibungs-Daten ein Gesetz werden soll. Diese dementsprechende Forderung der ÖVP wurde vom damaligen SP-Gesundheitsminister Stöger mit dem merkwürdigen Hinweis abgelehnt, dass offizielle Zahlen „Druck auf Frauen ausüben und sie belasten würden“. Im Weltbild der berufsmäßigen Verdränger machen Zahlen offenbar Angst.

Dazu muss man wissen, dass praktisch alle EU-Länder amtliche Statistiken zum Thema führen und nach heutigem Wissensstand z.B. in Deutschland, Frankreich oder Schweden keine einzige Frau durch die anonymisierten Ziffern unter Druck gerät. Die Debatte läuft dort auch völlig anders, denn mit objektiven Zahlen redet es sich halt leichter – auch über heikle Themen.

Österreich ist offenbar anders. Da ist man entspannter, wenn man möglichst nichts Konkretes drüber weiß, was sich in den dunkleren Regionen des Lebens abspielt. Die üblichen linksideologisch motivierten Abtreibungsverfechter wollen natürlich ebenfalls weiter den Mantel des Schweigens über statistische Wahrheiten gebreitet wissen. Da stehen das feministische Ressentiment und das in dieser Thematik völlig falsch verstandene Selbstbestimmungsrecht der Frau leider im Vordergrund.

Was Ideologie mit Zahlen zu tun haben soll, bleibt aber unergründlich – zumal es in Ländern mit linker Mehrheit (wie z.B. Frankreich) die entsprechenden Statistiken gibt.

Wir bleiben also weiterhin (neben Portugal und Luxemburg) auch 40 Jahre nach Einführung der Fristenregelung das einzige Land in der EU, wo keiner weiß, wie oft, wo genau und warum abgetrieben wird.

Das ist absurd: Jeder medizinische Mini-Eingriff muss heute dokumentiert und gemeldet werden, aber eine heikle Angelegenheit wie die Abtreibung ist uns keinerlei Dokumentation oder Registrierung wert. Weil uns das Verdrängen wichtiger ist als das Wissen.

Daher bleiben uns nur Schätzungen: Wir haben zwischen 20.000 und 80.000 Abtreibungen pro Jahr. Das ist die Bandbreite, die allgemein angenommen wird.

Und die anderen Länder? Schweden hat bei 9,5 Mio. Einwohnern 37.000 registrierte Abtreibungen, Deutschland mit 80 Mio. Einwohnern 106.000. Das heißt, unsere Zahlen sind in jedem Fall vergleichsweise sehr hoch und wir dürfen uns ganz nüchtern als Abtreibungsland bezeichnen. Möglicherweise ist das auch ein Grund, warum man die exakten Zahlen gar nicht wissen will.

Weltweit sind Zahlenvergleiche ebenfalls interessant: Pro Jahr werden laut dem New Yorker Guttmacher Institute ca. 45 Mio. Abtreibungen durchgeführt. Dem gegenüber steht eine natürliche weltweite Kindersterblichkeit von 8,8 Mio/Jahr. (UNICEF)

Warum muss man diese Ziffern aber wissen? Es ist doch letztlich egal, könnte man sagen. Die Frauen, die es tun, die tun es ohnehin.

Der Grund ist einfach: der überwiegende Teil der Menschen ist der Meinung, dass Abtreibung ein echtes Problem darstellt. Die wenigsten lässt das Thema kalt. Und Probleme kann man nur lösen oder wenigstens bessern, wenn man möglichst sachlich nach Lösungen sucht.

Sachlichkeit schließt zuallererst mit ein, dass man die exakten Daten und Zahlen zum jeweiligen Problem erfasst.

Daher ist es auch in Österreich unumgänglich, eine valide Statistik zur Abtreibungsproblematik zu bekommen. Es ist notwendig, anonyme und objektive Daten über Häufigkeit, regionale Muster, Altersstruktur, ökonomische Hintergründe etc. zu sammeln. Denn nur aus der erfassten, selbstverständlich anonymen Objektivität heraus lassen sich Ideen entwickeln, die mehr Optionen für ungewollt Schwangere möglich machen und Alternativen zur Abtreibung aufzeigen. Und den Frauen (natürlich auch den Männern) steht es zu, möglichst umfassend über das Themenfeld Abtreibung Bescheid zu wissen. Das schließt das Vorhandensein von validem Zahlenmaterial mit ein.

Alle jene, die gegen eine solche Statistik sind und weiter der Verdrängung vor der Wahrheit den Vorzug geben, agieren im Grunde wider das Leben und die Vernunft.

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