Es gibt ein helles und ein dunkles Deutschland, sagte kürzlich Bundespräsident Gauck . Er meinte damit einerseits die Lichtgestalten der Willkommenskultur und andererseits die finsteren Kritiker derselben, die ihn an dunkle Zeiten erinnern würden.
Eine neue Attitüde der allumfassenden Güte hat die deutsche politische Spitze erfasst. Subsumiert wird diese Güte im Slogan „Wir schaffen das“. Kanzlerin Merkel und Präsident Gauck versäumen keine Gelegenheit, Deutschland als den Weltmeister der Humanität darzustellen. Beide streben sie vermutlich auf diese Art die heißersehnte Vergebung der deutschen Erbschuld an. Die Absolution soll aus dem Geiste der grenzenlosen Menschenfreundlichkeit und Güte entstehen.
Damit tun sie aber etwas, das Politiker immer schon gut konnten: Sie pflegen den in letzter Konsequenz nicht begründbaren Stil einer im Menschlichkeitsgewand daherkommenden Überheblichkeit, die zu verstehen gibt: „Nur wir sind gut!“ Sie werden damit genauso grandios scheitern wie alle, die das tun. Wer sich als die personifizierte Güte präsentiert, egal ob aus humanistischem, christlichem oder einem andern Grunde, muss sich früher oder später den Vorwurf des Pharisäertums gefallen lassen, das ist unvermeidlich.
Allumfassendes und grenzenloses Gutsein ist per se nicht glaubwürdig und schon gar nicht authentisch umsetzbar. Gerade der Güte und der Gnade wohnt ja das Prinzip der Begrenztheit inne, sonst wären diese Entitäten nichts Besonderes. Sie dürfen daher auch nicht immer und überall zum Einsatz kommen, das würde sie entwerten. Und je größer eine Krise ist, desto exakter und zielgenauer müssen die a priori immer begrenzten menschlichen Mittel eingesetzt werden. Grenzenlose Güte steht nur Gott zu – falls man an ihn glaubt. Und selbst der kann streng sein.
Auch der gewandelte Spruch vom deutschen Wesen, an dem jetzt die Welt genesen soll, greift bei der Beschreibung des Merkel`schen Tuns nicht und kann es schon gar nicht rechtfertigen: Die Mehrheit der nachgeordneten deutschen Politiker und vor allem das deutsche Volk sehen die Sachlage ganz anders als die beiden zitierten Staatenlenker, die so gütig ihre Arme ausbreiten. Merkel als Pastorentochter hat übrigens im Güte-Wettrennen den echten Pastor Gauck sogar schon überholt. Der sprach zwar vom weiten Herz der Deutschen, er dachte dabei aber gleichzeitig auch laut über die begrenzten Möglichkeiten des Landes nach.
Merkel leugnet diese. Sie riskiert lieber Deutschland als Ganzes – im Namen der Güte, der Menschlichkeit und offenbar der Wiedergutmachung jener unermesslichen Sünden, die im dunklen Zeitalter Deutschlands begangen wurden. Man muss der Kanzlerin nach all ihren Aussagen sogar attestieren, dass sie es ernst meint mit ihrer Haltung und kein besonderes politisches Kalkül dahinter steckt – was aber die Sache eher verschlimmert denn legitimiert.
Die Gesinnungsethik ist letztlich der Feind der Verantwortungsethik. Fährt Merkel ihren Kurs weiter, dann könnte sich ein beliebtes Historiker-Zitat auf paradoxe Weise bewahrheiten: „In der Geschichte passiert alles zweimal - einmal als Tragödie und einmal als Farce.“ Die tödliche deutsche Tragödie hatten wir schon, vor 70 Jahren. Die als Buße getarnte Farce, bei der zum Glück keiner sterben muss, dafür aber alles andere zugrunde gehen könnte, diese Farce folgt jetzt.