Politiker sind dafür da, Meinungen zu vertreten. Dazu müssen sie aber auch welche haben. Am besten eigene. Einer der berühmtesten Sager der österreichischen Politik lautet: "Ich bin der Meinung..." (genau, von Bruno Kreisky - der hatte dann auch eine meist recht klare ebensolche. Meinung nämlich). Aus verschiedenen, hier noch zu beschreibenden Gründen ist das "Meinungsprofil" seit den 70ern aber leider zu etwas geworden, das man in der Politik nahezu vergeblich sucht. Einzelne Ausnahmen bestätigen die Regel. Grundsätzlich gilt: Die Meinungs-Hoheit ist vom Politiker längst auf die veröffentlichte Meinung übergegangen. Und die wird vom Politiker höchstens fallweise und dann auch nur marginal beeinflusst, meist holt man sich die Positionen lieber gleich von dort schön vorgepackt ab.
Wer selber denkt und dann etwas sagt, das einer eigenen Meinung nahekommt, dem gnade Gott. Passt eine Aussage nicht in den Mainstream, kann sich der Urheber auf ein neuartiges meteorologisches Sturm-Pänomen gefasst machen: der Shitstorm ist ihm gewiss.
Das verstärkt natürlich das Vermeidungsverhalten vulgo die Feigheit. Und diese führt zu einem allseits verächtlich gemachten, weil unerträglichen Politiker-BlaBla. Zu Recht wird den Politikern heute oft vorgeworfen, sie würden nur Phrasen dreschen, Allgemeinplätze von sich geben oder irgend einem Medium oder einer Lobby nach dem Mund reden.
Wozu brauchen wir aber dann überhaupt Politiker, wenn diese keine eigene Meinung haben oder dieselbe nicht klar sagen können/wollen/dürfen, weil sonst der Shitstorm droht? Das Argument, sie würden ja demokratisch das Volk vertreten (müssen) und daher dessen Meinung weitertragen, gilt nur bedingt: Ja, klar - aber müssen sie deswegen Marionetten sein und möglichst allgemein verträgliche Stehsätze absondern? Ist die Volksmeinung denn so? Sollten sie nicht selber möglichst klare Haltungen haben, derentwegen sie dann gewählt werden? Und Taktgeber im Konzert der Haltungen und Positionen sein? Sollte Politik im Idealfall nicht ein gegenseitiger, auf Feedback beruhender Prozess zwischen Bürgern und deren Vertretern sein? Sind der Shitstorm hier und der BlaBla-Zwang dort nicht eigentlich das Ende der Politik?
Der Meinungsverlust und die Mitte-Sehnsucht in der Politik führen dazu, dass neben der medial gesteuerten veröffentlichten Meinung vor allem auch das dumpfe Ressentiment Platz greifen kann. Es gibt kaum Persönlichkeiten in der Politik, die sich hinstellen und etwas Gerades, Fassbares sagen. Anders formuliert: Kaum einer hat den Mumm, seine politische Haltungen zu vertreten, wenn sie nicht dem Mainstream entsprechen. Und notabene: der Mainstream ist links der Mitte. Das hat eine rezente Studie der Freien Universität Berlin ergeben. Aus dieser Arbeit geht auch hervor, dass 30% der politischen Redakteure aktiv die öffentliche Meinung beeinflussen wollen. Ohne sich allerdings als Politiker zu deklarieren, was einer gewissen Perfidie gleichkommt. Diese Haltung ist nur dann in Ordnung, wenn sie sich klar als Meinungs-Journalismus deklariert.
Aus diesen Fakten ist jedenfalls zu schließen, dass der wirtschaftsliberal-bürgerlich-konservative Politikertypus derjenige ist, der das natürliche Feindbild eines großen Teils der Medienszene dasrtellt und der dementsprechend heftig attackiert wird, wenn er konturiert auftritt.
Der Autor dieser Zeilen tut das und man kann die Auswirkungen seiner Aktivitäten beobachten: Auf jede klare und fundierte Meinungsäußerung erfolgen Anwürfe, Wortverdrehungen, Fehl-Zitate, Anpatze, Verbalinjurien, Rufmordversuche etc. Und meist kommen diese gerade von jener Seite, welche sonst mit ausgebreiteten Armen die Toleranz und die Akzeptanz für Alle und Jedes einfordert. Das beweist: Die politisch proklamierte Toleranz ist nur dort echt, wo man seine Meinungszwillinge findet. Das Wort ist also ein Code nur, eine Parole. Sonst nichts. Weitere Codes aus dieser Ecke kennen wir alle, sie heissen: Solidarität, soziale Gerechtigkeit, Gleichstellung, Anti-Diskriminierung, Frauenrechte usw.
Resümmierend haben wir folgendes Szenario: Es gibt eine breite Schicht, die ohnehin recht politikfremd lebt und die fallweise zu Wahlen geht. Sie ist das Ziel der Populisten aus allen Lagern. Diese legen sich durchaus auch mal mit dem Mainstream an - aber natürlich nur, um ihren Bekanntheitsgrad zu steigern und nur, um das Ressentiment zu bedienen. Der sogenannte Mittelstand, die breiteste Schicht überhaupt, ist tendenziell eher leicht rechts der Mitte, also konservativ-traditionell eingestellt. Je höher der sozio-öknomische Status, desto bürgerlich-konservatier werden die Mittelständler. Gerne wird die gesamte Gruppe als die "schweigende Mehrheit" bezeichnet. Die meisten Angehörigen dieses Bevölkerungsteils haben das Gefühl, dass etwas gewaltig schief läuft in Österreich und in Europa. Durch die oben erwähnten Codes ist es aber schwierig, Meinungen zu äußern, ohne angegriffen und verbal geprügelt zu werden.
Es gibt deutliche Überlappungen mit der erstgenannten Schicht. Freilich gehören auch die Akademiker, Selbstständigen, Lehrer - kurz, viele der "Gebildeten" zur schweigenden Mehrheit. Auffallend ist, dass sich nur wenige dieser marktwirtschaftlich und intellektuell gewichtigen Leistungsträger bemühen, aktiv Politik zu machen. Wahrscheinlich fehlt ihnen einfach die Zeit dafür. Der Staat hat eine tückische Methode entwickelt, die Qualitäten der Bürgerlichen zu bestrafen: Durch die enorme Abgabenquote ist der Mittelstand ins Joch des Over-Achievements gezwungen.
Die schmale Schicht der aktiven Intelligentsija ist überwiegend links, zu ihr gehören auch die oben genannten Redakteure. Aufgrund ihrer genuinen Nähe zu den Medien entsteht daher genau jener Eindruck und jene Stimmung, der in der veröffentlichten Meinung vorherrscht. Die Bürgerlichen sind dort jedenfalls in der Minderheit (auch die bürgerlichen Redakteure). Viele aus dieser Gruppe sind in den sich gerne intellektuell gebenden SM-Blasen oder in den Qualitätszeitungen präsent und versuchen auch, über online-Zeitungen, Internet-TV, Foren, Blogs etc. Meinung zu bilden.
Im Internet tritt aber immer auch ein Verdünnungseffekt ein, denn im Netz darf jede(r) mitreden, Meinung bekunden, schreien, schimpfen, whatever. Schwer ist es nur, im allgemeinen Gewirr die Spreu vom Weizen zu trennen. Die größte Herausforderung wird es sein, hier die richtigen Methoden zu entwickeln, politische Prozesse nicht einer De-facto-Minderheit zu überlassen.
Das Internet ist daher das wichtigste demokratische Instrument aller Zeiten, auch wenn wir noch nicht genau wissen, wie es am besten und am fairsten für politische Zwecke genutzt werden kann. Und das Netz hat den Vorteil, dass es keine Maulkörbe zulässt. Es besteht also Hoffnung, dass die "schweigende Mehrheit" und die Bürgerlichen ihr Schweigen beenden. Sogar bürgerliche Politiker können hier abseits aller Klubzwänge und sonstiger Nöte freie Meinungsäußerung betreiben.
Sich hinsetzen und bloggen zum Beispiel ist schon mal ein guter Anfang.